Bevor ich Kinder bekam, hatte ich keinen blassen Dunst, worauf ich mich da einließ. Ich hatte wenig Ahnung von Frühförderung im Babyalter oder interaktiven Kinderspielsachen, aber noch viel weniger wusste ich über die Lobby der Supermütter, deren Bekanntschaft ich jedoch sehr bald machen sollte. Die Supermütter erkennt man daran, dass sie ähnlich wie Raubvögel geduldig ihre Kreise über Spielplätzen, Krabbelgruppen und nachbarschaftlichen Müttertreffen ziehen. Entdecken sie ein elterliches Verhalten, das nicht ihren Vorstellungen entspricht, stechen sie im Sturzflug aus der Luft herab und machen sich über ihre Beute her, denn sie haben sich „korrekte Erziehung und Aufzucht“ auf die Fahnen geschrieben. Schließlich ist
Elternsein eine exakte Wissenschaft, das weiß ja jeder.
Keine macht alles richtig
Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Begegnung mit einer superengagierten Mutter erinnern. Mein Sohn war damals knapp ein Jahr alt. Er war mein erstes Kind und manchmal fühlte ich mich wie ein europäischer Tourist in einer südkoreanischen Großstadt – etwas verloren, gelinde gesagt. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass ich als Mutter viel meinem Bauchgefühl gefolgt bin, und das war oft gar nicht so schlecht. Mein Bauch sagte mir damals, dass es in Ordnung ist, wenn mein Kleinkind eine Banane isst. Doch die Vertreterin der Mütterlobby sah das leider anders und hielt mir unaufgefordert einen langen Vortrag über gesunde Ernährung. Laut der Auffassung der japanischen Kampo-Medizin sei Banane ein für Kinder absolut ungeeignetes Lebensmittel und verzögere die sprachliche Entwicklung. Mein Kind werde also erst spät mit dem Reden beginnen und Sprachprobleme entwickeln, sollte ich seine Ernährung nicht baldmöglichst umstellen. Ich tat nichts dergleichen und mein Sohn lernte – man staune – ohne Probleme sprechen.
Ich könnte an dieser Stelle noch einige andere Begegnungen mit superengagierten Müttern aufführen, aber ich denke, das ist gar nicht nötig. Wahrscheinlich haben die meisten von uns schon ähnliche Situationen erlebt. Eigentlich schade, sitzen wir doch alle im selben Boot. Das Leben mit unseren Kinder fordert uns gleichermaßen heraus und ich bin überzeugt: Wir alle machen es so gut wir können! Was treibt uns also dazu, die Erziehung anderer Eltern zu be- oder verurteilen? Kann es sein, dass wir uns manchmal selbst nicht sicher sind, ob wir alles richtig machen? Ob unsere Erziehungsmethoden „erfolgreich“ sind? Kann es sein, dass wir andere Mütter und Väter deshalb kritisieren, weil wir versuchen, unsere eigene unsichere Position zu stärken?
Sich gegenseitig den Rücken stärken
Wie wäre es, wenn wir Eltern uns stattdessen immer mal wieder gegenseitig ermutigen würden? Wenn wir aufhören würden, die Erziehungsmethoden anderer Mütter zu kontrollieren, zu kommentieren und ändern zu wollen? Wir könnten der Mutter an der Kasse, deren Kind sich schreiend auf den Boden wirft, weil es keine Schokolade bekommt, verschwörerisch zuraunen: „Mein Kind
hat das auch immer gemacht.“ Anstatt augenrollend den Kopf zu schütteln. Wir könnten unseren inneren Katalog von „richtigen Erziehungsmethoden“ um ein paar Dutzend Seiten erweitern. Und uns mit den anderen Eltern solidarisieren, statt sie zu kritisieren.
Schon bei der Vorstellung breitet sich auf einmal ein Wonnegefühl in meiner Bauchgegend aus …