Sobald Mikas* Mutter mit ihrem Sohn den Kindergarten betrat, ging es los. Der Vierjährige schrie und tobte, krallte sich an seiner Mutter fest und ließ sich nicht beruhigen. Dabei war der Junge gerne in den Kindergarten gegangen. Die Eingewöhnung hatte gut geklappt und er war in seine Gruppe integriert. Dann plötzlich, nach den Sommerferien, wollte Mika nicht mehr. Über einen Monat ging das so, Tag für Tag. „Da blutet einem das Herz“, erinnert sich seine Mutter. „Aber ich wusste, er ist reif für den Kindergarten und er hat dort Freunde. Letztlich hatte Mika kein Problem mit dem Kindergarten, sondern mit mir. Damit, sich von mir zu trennen.“
Gelegentliche Unlust ist normal
Für gelegentliche Kindergartenunlust gibt es meist harmlose Erklärungen: ein Konfl ikt, ein Infekt, ein strengeres Wort der Erzieherin. Da helfen Trost und Aufmunterung. Was aber, wenn der Kindergarten-Boykott zum Dauerthema wird? Wenn das Kind zum Beispiel jeden Morgen erklärt, dass es Bauchweh hat und nicht in den Kindergarten gehen will? Die
Mutter der kleinen Emilia wurde weich. „Ich war noch nicht wieder berufstätig und habe sie zu Hause gelassen. Dann ging gar nichts mehr!“
Erzieherin Viola Lilienweiß rät, nicht darüber zu diskutieren: „Wenn nichts Gravierendes vorliegt, sollten Eltern ihrem Kind verdeutlichen, dass sie seine Sorgen und Ängste zwar sehen, dass der Besuch des Kindergartens aber nicht zu verhandeln ist. Da ist eine klare Haltung wichtig.“ Dabei kann es helfen, dem Kind zu verdeutlichen, dass man selbst auch nicht jeden Tag gleich gerne arbeiten geht und dass es zum Leben dazugehört, auch mal Dinge zu tun, auf die man weniger Lust hat. Sonst sind tägliche Diskussionen absehbar.
Oft stecken Trennungsängste dahinter
Im Fall des kleinen Finn* gab es einen konkreten Auslöser: „Am Nikolaustag rief die Erzieherin an, ich sollte ihn
abholen“, erzählt seine Mutter. „Als ich kam, war er vollkommen aufgelöst.“ Der Nikolaus war zu Besuch im Kindergarten
und Finn hatte Angst vor ihm und seiner tiefen Stimme. „Die Erzieherin hinderte ihn daran, das Zimmer zu verlassen. Sie hat es sicher gut gemeint, aber sie hat ihn festgehalten“, berichtet seine Mutter. Finn hatte sehr negative Erinnerungen an Situationen, in denen er aufgrund notwendiger medizinischer Untersuchungen festgehalten worden war. Die Kombination aus dem unheimlichen Nikolaus und dem Festhalten war zu viel für den sensiblen Jungen. „Finn ist vier Monate lang nicht in den Kindergarten gegangen. Er wollte das Haus nicht mehr verlassen.“ Der Junge brach zusammen, sobald die Mutter vor die Haustür ging, versteckte sich, wenn Besuch kam. „Da war klar, dass wir professionelle Hilfe brauchten“, sagt seine Mutter. „Wir sind zu einer Psychologin gegangen, die sehr einfühlsam war und ihm geholfen hat.“
Nach den Ursachen forschen
Katharina Häberle, systemische Familientherapeutin, erläutert die Gründe von Kindergartenunlust: „Ein besonders labiles Alter gibt es nicht. Aber Veränderungen – von den Eltern vielleicht gar nicht als solche wahrgenommen – können die kindliche Seele aus dem Gleichgewicht bringen. Wichtig ist dann, sein Kind genau zu beobachten. Es kann verschiedene Ursachen für Kindergartenunlust geben. Ein Konflikt, der Umzug eines Freundes, ein Wechsel der Bezugsperson. Manchmal haben Kinder auch das Gefühl, sie werden zu Hause gebraucht. Zum Beispiel wenn ein Familienmitglied erkrankt oder wenn ein Geschwisterchen kommt. Es gibt Fälle, in denen ein Gruppen- oder sogar Einrichtungswechsel nötig ist, weil das Konzept nicht passt oder weil das Verhältnis zur Erzieherin nicht stimmt. Wenn das Kind auch außerhalb des Kindergartens verändert wirkt, sich zurückzieht und bedrückt zu sein scheint, müssen Eltern aufhorchen.“ Andererseits ist nicht jeder kindliche Unmut Grund zur Sorge. „Kindergartenunlust darf auch mal sein“, sagt Katharina Häberle. „Solange diese Phasen nicht ungewöhnlich lang und intensiv sind, kann man das tolerieren“.
Wichtig ist eine gute Gesprächskultur zwischen Eltern und Fachkräften. Die Erzieherin Viola Lilienweiß erklärt: „Es ist entscheidend, dass beide Seiten das Gespräch suchen. Eltern sollten auch von sich aus auf die Fachkräfte zugehen und ihnen berichten, wenn es Veränderungen gibt und wie es ihnen damit geht.“ Oft fi ndet man gemeinsam eine Lösung. Bei Emilia hat das geklappt. Ihre Eltern überlegten mit den Erzieherinnen, wie sie dem Mädchen das Ankommen in der Kita erleichtern könnten. Emilia bekam bestimmte Aufgaben übertragen, durfte den Frühstückstisch decken und die Blumen gießen. Weil sie morgens gebraucht wurde, wollte Emilia nicht mehr fehlen.
Die Freude kommt zurück
Finn, inzwischen ein Schulkind, ging später wieder gerne in den Kindergarten. Die Therapie hat ihm geholfen und er kann mit Trennungssituationen umgehen. Seine Mutter ist froh, dass sie rechtzeitig professionelle Hilfe gesucht hat. Auch Mika ist wieder gerne ein Kindergartenkind und schätzt am meisten die Ausflüge. „Die Montage liebt er noch immer nicht besonders. Aber dadurch, dass ich konsequent war und ihm gezeigt habe, dass er mir vertrauen kann, war das Thema irgendwann abgehakt“, freut sich seine Mutter.