Wie andere Eltern ticken Spieglein, Spieglein

Wer anderen Eltern zuguckt, lernt viel über sich selbst. Unsere Kolumnistin ASTRID HERBOLD ist jedenfalls eine leidenschaftliche Voyeurin

Spieglein, Spieglein
Was würden denn die anderen sagen? © Daniela Kohl

Ich habe es vor langer Zeit aufgegeben, Erziehungsratgeber zu lesen. Obwohl ich anfangs gar nicht genug davon kriegen konnte. Es fühlte sich so gut an, beim Lesen die Häkchen im Kopf zu machen: Kenn ich, weiß ich, mach ich alles richtig! Ich gab mir selbst imaginäre Smileystempel und Fleißkärtchen.

Dann aber kam die Zweitgeborene zur Welt und beschloss, zu einem nächtlichen Schreikind zu werden. Nichts, was in all den Büchern stand, half. Und ich, die selbstreflektierte, belesene Mama, saß irgendwann heulend bei unserer Kinderärztin, die auch keinen wirklichen Rat wusste. Aber eines Tages hörte ich dann aus dem Mund einer anderen Mutter den entscheidenden, tröstlichen Satz: Du wirst sehen, das verwächst sich. Mit zwei oder drei Jahren ist es bestimmt vorbei. Und so war es.

Seitdem hole ich mir Rat und Infos nur noch aus erster Hand. Und wo ich nicht direkt hingehen und nachfragen kann, da beobachte ich andere Familien. Am liebsten im Schwimmbad. Nirgendwo kann man Menschen besser ins Visier nehmen. Man muss sie gar nicht belauschen. Es reicht, ihre Gestik und Mimik zu studieren. Wie ein pantomimisches Theaterstück, das dem Zuschauer auch ohne Text den Spiegel vorhält. Guck genau hin und du siehst, wie wir Eltern so ticken.

Neulich habe ich einen Vater beobachtet, der mit seinen Kindern im Babybecken saß. Warmes Wasser mit angenehmem Geblubber unterm Hintern, dazu ein Ball in der Hand und drei ausgelassene Nachkommen vor der Nase. An sich nicht die schlechteste aller Lebenslagen. Trotzdem schien der Mann außerordentlich genervt von der Gesamtsituation. Motzte rum, zerrte die Kinder unsanft am Arm, verdarb allen die Laune. Warum bloß, dachte ich. Und: Bin ich auch manchmal so?

Ein paar Meter weiter ein wortkarges Dreiergespann, Vater, Mutter, Kind. Die Mutter hatte sich demonstrativ auf einer Liege niedergelassen. Ihre Körpersprache sagte deutlich: Ich hab die ganze Woche Stress! Jetzt ruh ich mich mal aus! Und du kannst mit unserem Sohn das Brustschwimmen üben. Der Vater kam der Pflicht eher mürrisch nach. Das Kind wiederum stand mit verschränkten Armen am Beckenrand. Die schlechten Schwingungen zwischen den dreien konnte man förmlich sehen. Tausend Mal selbst erlebt, dachte ich.

Es gibt aber auch Familien, in denen spiegelt man sich leider nicht. Sondern da bewundert man nur, und zwar grenzenlos. Einmal lag ich im Schwimmbad Liege an Liege mit einer jungen Frau, die alleine mit vier Kindern war. Einem Fünfjährigen, einer Dreijährigen und einjährigen Zwillingen. Wir kamen ins Gespräch, während sie ein Kind abtrocknete, einem anderen die Flasche reichte, dem dritten ein Handtuch gab und irgendwie auch noch das planschende vierte im Blick behielt. „Ja, sicher, es ist anstrengend“, sagte sie, aber ihre Augen leuchteten. Später sah ich, wie sie die Zwillinge in Richtung Dusche schleppte, während der Ältere brav folgte. Natürlich hatte er seine kleine Schwester fürsorglich an der Hand.

Ich habe lange darüber nachgedacht, was das Geheimnis dieser Mutter gewesen sein mag. Vielleicht war es die Ruhe, die sie ausstrahlte. Manchmal ist die Wahrheit eben banal: Glück ist, wenn keiner heult, alle gesund, satt und unversehrt sind.

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