Der berühmte Philosoph Immanuel Kant lehnte die Lüge kategorisch ab, denn jede noch so kleine Verletzung der Wahrhaftigkeit würde die Menschheit im Allgemeinen schädigen. Auf dem hohen Ross des Moralapostels mag dies gut klingen, im Alltag mit Kindern hilft es nur bedingt weiter.
Denn, machen wir uns nichts vor, die Lüge ist ein unerlässlicher Erziehungshelfer. Sie erspart nervenaufreibende Diskussionen mit dem Nachwuchs und sorgt dafür, dass Kinder sich gesund ernähren („In der Schokolade ist Alkohol. Die ist
leider nur für Mama und Papa.“), nicht zu lange vor der Glotze sitzen („Der Fernseher muss sich jetzt ausruhen, sonst geht er kaputt.“) oder zu jeder Jahreszeit die passende Kleidung tragen („Spiderman zieht im Winter auch Schal und Mütze an.“). Der flexible Umgang mit der Wahrheit dient aber nicht nur dem Wohle des Kindes, sondern auch dem der Eltern („Ich würde dir gerne zum 243. Mal Conni vorlesen, aber der Hund hat das Buch gefressen.“).
Ohnehin sollten wir die Lüge nicht als moralisch verwerflich verteufeln. Sofern sie nicht dazu dient, um boshafte Unwahrheiten über andere zu verbreiten, ermöglicht sie überhaupt erst ein friedvolles Miteinander („Nein, Schatz, du siehst in dem Kleid nicht fett aus.“). Nicht umsonst lautet eine chinesische Redensart: „Wer lügt, ist nett.“ Daher sollte Kindern frühzeitig das wohldosierte Lügen beigebracht werden. Schließlich wollen wir doch alle, dass unsere Kinder nette
Menschen werden.
Es ist übrigens nicht verwunderlich, dass Kant die Bedeutung der Lüge in der Erziehung nicht erkannte. Er hatte keine Kinder.