Ein alter, manchmal grummeliger Mann und ein Kater mit grüngelb gestreifter Latzhose und viel Quatsch im Kopf, die
zusammen mit einer Schar dummer Hühner auf einem Bauernhof wohnen: Kann daraus ein erfolgreiches Kinderbuch werden? Aber ja! Doch warum mögen so viele Kinder und Eltern die Geschichten von Pettersson und seinem Kater Findus? Was macht
Kinderbuchhelden aus, die heiß geliebt werden, aber dabei so unterschiedlich sind wie der Drache Kokosnuss, die Olchis, Pippi Langstrumpf, Ritter Trenk oder der Grüffelo?
Egal, ob Menschen, Tiere oder Fantasiewesen: „In den Figuren gibt es immer etwas, mit dem sich das Kind identifizieren kann – aber auch etwas, wohin sich das Kind träumen kann“, sagt Kerstin Behnken. Sie ist Kinderbuchlektorin beim Hamburger Verlag Friedrich Oetinger, Astrid-Lindgren-Expertin und verantwortlich für das Bilderbuchprogramm. „Stark, mutig, clever, lustig, neugierig, eigenständig“ seien Kinderbuchhelden oft, sie hätten häufig aber auch ihre Schwächen und Bezugspunkte zu täglichen Erfahrungen der Kinder. Dass sich Figuren und Leser sehr ähneln, ist fürs Miterleben gar nicht nötig. Kleine Mädchen brauchen nicht unbedingt Geschichten von anderen kleinen Mädchen, obwohl auch das funktionieren kann: Das zeigen zum Beispiel die Conni-Bücher, in denen die gut gelaunte Titelheldin die Herausforderungen
des kindlichen Alltags stets bravourös bewältigt. Mindestens genauso spannend kann aber eben auch eine kleine, vorlaute Katze sein, die so oft Geburtstag hat, wie sie will, und von ihrem alten Freund Pettersson Pfannkuchentorte gebacken bekommt.
Abenteuer zum Mitfiebern
„Die Mehrheit der erfolgreichen Kinderbuchhelden – egal ob männlich oder weiblich – sind Figuren, die handeln“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Gabriele von Glasenapp. Die Professorin leitet die Arbeitsstelle für Kinder und Jugendmedienforschung an der Universität zu Köln. „Freche Kinder wie Pippi Langstrumpf oder auch das Sams finden Kinder super“, sagt sie, aber auch vermeintliche Verlierertypen kämen sehr gut an, wie etwa bei Grundschulkindern Gregory Heffley aus der Bestseller-Reihe „Gregs Tagebuch“. Die Figuren sind meist einfach angelegt, haben klare Eigenschaften und
erleben überschaubare, ereignisreiche Geschichten. „Es sind Figuren, die offen sind und in die Welt hinausgehen, aber auch nach Hause zurückkommen können“, sagt Kerstin Behnken. In den Abenteuern geht es zumindest indirekt um Themen wie Freundschaft und Familie, Selbstständigkeit und Geborgenheit. Und damit sind auch der Drache Kokosnuss, die Kinder aus Bullerbü oder Findus, der probeweise ganz allein in Petterssons altes Klohäuschen zieht, nahe dran an der Erlebniswelt von Kindern und ihren sozialen und emotionalen Entwicklungsaufgaben, wie das Pädagogen gerne nennen.
In diesen Strukturen hinter den Geschichten sehen Behnken und von Glasenapp auch einen Grund dafür, dass klassische, zum Teil jahrzehntealte Kinderbuchfiguren wie Lindgrens Pippi Langstrumpf, aber auch das kleine Gespenst, der Räuber Hotzenplotz und die kleine Hexe von Ottfried Preußler heute noch so populär sind. „Die Protagonisten kommen dem Empfinden von Kindern nahe, auch wenn die Kinder wissen, dass sie selbst kein kleines Gespenst sind“, sagt Gabriele von Glasenapp. Bis auf wenige Zeiterscheinungen wie etwa die viel diskutierte Verwendung des Wortes „Neger“ werde an den Lindgren-Texten
nichts geändert, sagt Lektorin Behnken. „Allerdings müssen wir die Bücher optisch zeitgemäß halten.“ So seien etwa die Pippi-Bücher neu bebildert worden: Die Illustrationen waren nach Einschätzung des Verlags schneller gealtert als der Text.
Erfolg ist nicht planbar
Auch wenn sich dieselben Grundmuster bei vielen erfolgreichen Kinderbuchhelden zeigen, geht eine wirklich gute Geschichte darüber hinaus, hat eine eigene literarische und bildliche Qualität und ihr Erfolg ist, trotz bekannter Rezepte, nicht komplett planbar: „Die Verlage würden sich am liebsten Bücher wie Marmorkuchen backen – nur klappt das nicht immer“, sagt von Glasenapp.
Natürlich beobachten Verlage Entwicklungen auf dem Markt und überlegen, welche Nische sie besetzen, berichtet Lektorin Behnken: „Wir wollten zum Beispiel gerne etwas mit einer Fee machen, aber mit einer, die nicht so rosa ist wie Lillifee, sondern etwas taffer.“ So entstand „Die Feenschule“, eine Reihe, die „sehr schön“ laufe. Aber sie ist immer wieder über Erfolge überrascht: Als ihr Verlag in den 90er-Jahren die Abenteuer der Olchis auf den Markt brachte, habe es zunächst
Proteste von Eltern gegen die kleinen grünen Wesen gegeben, die in einer Höhle auf der Müllkippe von Schmuddelfing leben. „Heute sind die Olchis unsere stärkste Marke.“
Neue Medien ergänzen
Je mehr man in die Gegenwart komme, desto größer werde das Spektrum der Kinderbuchhelden, sagt von Glasenapp. Manche Illustrationen sind von Comics und Mangas beeinflusst, inhaltlich fließen auch aktuelle gesellschaftliche und politische Themen in die Geschichten ein, vor allem allerdings im Jugendbuch. Und neue Medien treten neben das „Traditionsmedium Buch“, wie von Glasenapp es nennt: Hörbücher zum Beispiel oder Animationen. Junge Verlage wie etwa Mixtvision bieten Kindern Figuren und ihre Geschichten crossmedial an.
„Wir denken das immer mit“, sagt auch Kerstin Behnken. Kinderhörbücher seien inzwischen „total etabliert“ und ein stabiles Standbein des Verlags, auch eine eigene App namens Tigerbooks für digitale Kindermedien gibt es. „Die neuen Medien leben in friedlicher Koexistenz mit gedruckten Büchern“, sagt sie. Das glaubt auch Gabriele von Glasenapp: Die neuen Medien böten zusätzliche Möglichkeiten, das Buch aus Pappe oder Papier bleibe aber „unverzichtbar“.
Für Pippi und Pettersson, Findus und die Olchis gilt das sowieso, egal ob gedruckt oder digital: Laut einer aktuellen
Befragung von Stiftung Lesen, der Wochenzeitung Die Zeit und der Deutsche Bahn Stiftung lieben es 91 Prozent der Fünf- bis Zehnjährigen, wenn ihnen vorgelesen wird. Neben der schönen Atmosphäre ist den Kindern dabei eines besonders wichtig: spannende Geschichten und Figuren.