Um es gleich zu sagen: Jemanden zu lieben, heißt nicht, alles toll zu fi nden, was der andere fühlt, denkt oder tut. Das gilt selbstverständlich auch für Eltern. Kinder sind oft charmant, klug und umwerfend witzig, aber manchmal auch nervig, fordernd und anstrengend. Das ist normal. Und Eltern brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie ihre lieben
Kleinen am liebsten auch mal auf den Mond schießen würden. Worauf es in der Eltern-Kind-Beziehung jedoch wirklich ankommt, ist eine wohlwollende Grundhaltung. Das Kind muss spüren, dass die Eltern es prinzipiell gut mit ihm meinen – auch dann, wenn es sich mal danebenbenimmt, wütend ist oder sich einfach anders entwickelt, als die Erwachsenen sich das ausgemalt haben.
Futter fürs Selbstbewusstsein
Ein Kind entwickelt dann Urvertrauen, wenn es spürt, dass es mit all seinen Eigenschaften, Bedürfnissen und Impulsen
erwünscht ist: „Ich bin gut und richtig, ich werde versorgt und getragen.“ Mit diesem Vertrauen ausgestattet, kann es sich im Leben dauerhaft wohlfühlen, Sinn fi nden und seine Potenziale frei entfalten. Dazu gehören Eltern, die ihr Kind aufmerksam und liebevoll begleiten und stets achtsam darauf eingehen, wenn es sie braucht. Ist Ihr Kind verängstigt, dann nehmen Sie es beschützend in den Arm. So lernt es, dass es auch Angst haben darf und sich sicher und geborgen fühlen kann. Ist Ihr Kind traurig und findet bei Ihnen Trost, dann weiß es, dass seine Traurigkeit gesehen und ernst genommen wird, und
kann wieder zur Ruhe kommen.
Nun ist es aber naturgemäß leichter, liebevoll auf ein Kind einzugehen, wenn es die unbewussten und bewussten Erwartungen der Eltern erfüllt. Was aber, wenn es das nicht tut? Wenn das Kind ganz anders ist, als Vater oder Mutter es
sich vorgestellt haben? „Als ich schwanger war, schwebte meine Tochter in meinen Fantasien schon als herzallerliebste
Primaballerina über die Bühne“, erzählt Brigitte Berger* lachend. „Als Emilia dann vier war, wurde mir klar, dass aus
diesem Traum nichts werden würde. Sie mochte ‚Mädchenkram‘ nicht und bolzte lieber mit ihren Brüdern auf dem Fußballplatz
herum.“ Mittlerweile ist Emilias Mutter längst versöhnt: „Anfangs war es schwer, von meiner Vorstellung loszulassen, und ich war wirklich traurig, weil ich mich so auf dieses Bild von einem Mädchen eingeschossen hatte.“ Erst als Brigitte klar wurde, dass sie ihre eigenen unerfüllten Kindheitswünsche auf ihre Tochter übertragen hatte, gelang es ihr mehr und mehr, Emilia so anzunehmen, wie sie war.
Manche Eltern irritiert es auch, wenn ihr Kind Eigenschaften zeigt, die sie selbst nicht mögen oder lästig finden.
Stefan Ringwald* ärgerte sich oft darüber, dass sein Sohn Lukas so schüchtern ist und schnell in Tränen ausbricht, wenn er sich überfordert fühlt. Je mehr er den Sechsjährigen drängte, sich mal etwas zu trauen, desto stärker zog sich dieser zurück.
Jedes Kind in seinem Tempo
Die Beweggründe des Vaters sind nachvollziehbar: Er selbst litt als schüchternes Kind lange unter fiesen Klassenkameraden und hatte Angst, dass seinem Sohn dasselbe passieren könnte. Doch es stellte sich heraus, dass die Sorge
unbegründet war: Denn Lukas ist in seiner Klasse sehr beliebt. Inzwischen kann Stefan gelassener mit seinem Sohn umgehen und sieht in ihm wieder mehr den liebenswerten Jungen, der in manchen Dingen einfach noch etwas Zeit braucht.
Gerade, wenn es um die Entwicklung ihrer Kinder geht, neigen Eltern hin und wieder zu Ungeduld. Wie gelassen sind Mütter und Väter, wenn ihr Kind als einziges noch nicht krabbeln, durchschlafen oder Zweiwortsätze bilden kann? Können sie akzeptieren, dass sich ausgerechnet ihr Nachwuchs langsamer entwickelt als die anderen Gleichaltrigen? Auch hier gilt es sich zu verabschieden, zum Beispiel von der Vorstellung, man müsse immer schnell sein, um gut durchs Leben zu kommen.
Kinder lernen in ihrem eigenen Tempo – und das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Vielleicht können Sie hier umdenken und den Blick auf das Positive lenken: „Wenn ich mir so viel Zeit lassen könnte wie mein Kind, dann wäre mein Leben viel entspannter.“
Solch eine annehmende Haltung zu entwickeln, fällt manchmal schwer. Insbesondere auch bei anstrengenden Gefühlsausbrüchen der Kinder. Es ist sehr viel leichter, ein verletztes Kind zu trösten oder ein verängstigtes Kind zu ermutigen, als ein wütendes Kind liebevoll in seiner Wut zu begleiten. Viele Eltern fühlen sich dann provoziert, sie werden hilflos oder ebenfalls wütend. Dass der Konflikt so nur eskalieren kann, liegt auf der Hand. Dabei bräuchte das tobende Kind dringend Verständnis und Beruhigung. Jemanden, der ihm freundlich sagt: „Ich sehe deine Wut und die ist ganz schön stark.“ Die kindliche Wut zuzulassen, bedeutet aber nicht, sich alles gefallen zu lassen: „Trotzdem möchte ich, dass wir jetzt nach Hause gehen.“ Das garantiert zwar nicht, dass sich das Kind sofort wieder beruhigt, aber es merkt immerhin, dass
Sie seine Wut erkennen, ohne sich von ihr erpressen zu lassen. So sorgen Sie einerseits für emotionale Beruhigung,
gleichermaßen aber auch für Klarheit und Orientierung. Und manchmal hilft es auch, sich mit seiner eigenen Wut zu
beschäftigen. Je besser Eltern mit unangenehmen Gefühlen umgehen können, desto souveräner begegnen sie auch den starken Emotionen ihrer Kinder – ohne diese unterdrücken zu müssen.
7 Wege, Ihrem Kind zu zeigen, dass es sein darf, wie es ist
- Gehen Sie achtsam mit Ihrem Kind um. Nehmen Sie seine Verhaltensweisen, Eigenschaften und Gefühle wahr, ohne diese gleich zu bewerten. Es muss nicht gut oder schlecht sein, wenn Ihr Kind traurig oder wütend ist, oder wenn es lieber malt, als sich mit Freunden zu treffen. Es ist einfach so.
- Sie können nicht alle Wünsche Ihres Kindes erfüllen. Frustration gehört in Maßen also zur Erziehung dazu: „Nein, heute
bekommst du keine Schokolade mehr.“ Wichtig ist, dass Ihr Kind das beschriebene Grundvertrauen hat. Dann weiß es im tiefsten Inneren, dass Sie ihm die Schokolade nicht aus Bosheit vorenthalten.
- Erlauben Sie Ihrem Kind zu fühlen, was es fühlt. Es gibt keine schlechten Gefühle. Alle Emotionen haben ihre Berechtigung. Machen Sie Ihrem Kind das deutlich, indem Sie seine Gefühle wahrnehmen und benennen, anstatt sie herunterzuspielen. „Wow, bist du aber wütend!“, „Ich glaube, du freust du dich gerade, stimmt’s?“
- Vermeiden Sie Vergleiche mit Geschwistern oder anderen Kindern. Sätze wie „Der Florian ist aber viel mutiger als du!“ verletzen und schwächen das kindliche Selbstvertrauen. Glauben Sie an Ihr Kind und vertrauen Sie darauf, dass es sich gut entwickeln wird – mithilfe Ihrer liebevollen Begleitung und Unterstützung.
- Überprüfen Sie, was Sie von Ihrem Kind erwarten. Sind diese Ansprüche überhaupt realistisch? Kinder können keine Erwartungen erfüllen, die gar nicht zu ihnen passen oder zu hochgesteckt sind. Ein Junge, der lieber liest als Judo zu machen, sollte nicht zum „Weichei“ oder „Langweiler“ erklärt werden. Kinder sind okay so, wie sie sind. Und haben außerdem noch jede Menge Zeit, um dazuzulernen und Neues zu entdecken.
- Kritisieren Sie nur das Verhalten des Kindes, nicht seine Persönlichkeit. Vermeiden Sie Vorwürfe und formulieren Sie lieber klare Erwartungen. Statt „Du hast die Zahnpastastube nicht zugemacht“ sagen Sie besser „Ich möchte bitte, dass du nächstes Mal die Zahnpastatube zumachst.“ Verallgemeinern Sie nicht („Immer lässt du deine Socken rumliegen“) und verzichten Sie auf Festschreibungen („Du bist faul!“). Auch vermeintlich positive Festschreibungen können die Entwicklung einschränken. Ein Kind, dem ständig gesagt wird, dass es niedlich sei, lernt, dass es möglichst niedlich sein muss, um geliebt zu werden.
- Seien Sie aufrichtig. Zeigen Sie Ihrem Kind auch mal, wenn Sie genervt oder wütend sind. Lassen Sie diese Gefühle aber nicht an ihm aus und geben Sie ihm keine Schuld. Übernehmen Sie die volle Verantwortung für Ihre Gefühle. Sagen Sie statt „Du machst mich so wütend“ lieber „Ich bin jetzt wütend“. Bitten Sie Ihr Kind um Entschuldigung, wenn Sie unfair geworden sind. Indem Sie einen Fehler eingestehen, sind Sie ein gutes Vorbild. Denn: Niemand ist perfekt!