Da sitzt das fremde Kind. Zufrieden im Sand, umgeben von einem Haufen buntem Plastik. Förmchen, Eimerchen, Siebchen. Sogar diese süßen, kleinen Eisbecher sind dabei. Mit schwarzem Edding haben die Eltern den Besitz der Tochter markiert. „S.W.“ Initialen auf Sandspielzeug, auch so was, an das ich mich selbst nach vielen Jahren Spielplatz nur schwer gewöhnen kann. Sind wir wirklich so spießig geworden?
Egal. Mein Sohn und ich haben andere Sorgen. Nämlich leider heute nix zum Buddeln dabei. Also müssen wir uns vorsichtig ranpirschen und betteln. „Entschuldigung, dürften wir vielleicht diese Schaufel kurz ausleihen?“
Ich deute auf die rote. Die Mutter lächelt: „Aber sicher!“ Doch sie hat die Rechnung ohne ihre Tochter gemacht.
Die Schaufel hat noch nicht ganz den Besitzer gewechselt, da ertönt schon erbostes Geschrei. „Meins!“ Die Mutter zuckt zusammen und greift nach einem gelben Förmchen. Doch das will mein Sohn nicht haben. Nun erklingt es zweistimmig: „Huuuuaaaahhh!“
Es folgt, was immer folgt: Zwei betretene Erwachsene versuchen sich wortreich aus einer unangenehmen Situation zu retten. „Kein Problem, lassen Sie“, betone ich. „Vielleicht später, wenn sie nicht mehr damit spielt“, flüstert die andere Mutter entschuldigend.
Geiz ist nicht geil, Geiz ist peinlich. „Gib deinem Freund doch ein Stück ab“, ermuntern wir Eltern deshalb
ständig. „Lass deine Schwester auch mal damit spielen“, ermahnen wir. Das sind keine hohlen Phrasen. Wir hassen
es, wenn unsere Kinder sich wie knauserige Egoisten aufführen. Wie gerne würden wir der Welt ein großherziges Kleinkind präsentieren. Hier, seht her, ist es nicht der reinste Philanthrop? Stets bereit, den Schokoriegel zu brechen und die Stückchen zu verteilen. Sankt Martin 2.0. Ein selbstloser Wohltäter, der sein Herz nicht an materielle Dinge hängt.
Geiz ist nicht geil, Geiz ist peinlich
Was ist das, was uns Erwachsene da heimlich umtreibt? Sozialromantische Tagträume inmitten des beschleunigten
Kapitalismus? Sollen die Kinder im Kleinen richtig machen, was wir Ewachsene im Großen falsch machen? Oder geht es nur um den Schein, um das Teilen als Statussymbol? Nach dem Motto: Wir haben von allem reichlich, also bedient euch gerne!
Angeblich helfen Geschwister dabei, teilen zu lernen. Ich kann das nicht bestätigen. Mit meinem Bruder und meiner Schwester stritt ich um jedes Gramm Nachtisch, um jeden Krümel Keks.
Bei meinem eigenen Nachwuchs habe ich es mit Literatur versucht. Vorausschauend kaufte ich ein Bilderbuch mit dem Suggestivtitel Ich kann teilen. Jedes meiner Kinder bekam es Hunderte Male vorgelesen. Die Botschaft würde ich als wenig subtil beschreiben: „Ich bin schon groß und habe Sachen, die mir und andren Freude machen. Ich teile sie mit jedem Kind, auch wenn es meine Sachen sind. Ich teile gerne, und wisst ihr was? Ich habe doppelt so
viel Spaß.“ Die ganze Familie kann den Text auswendig mitsprechen. Aber hat’s auch geholfen?
Natürlich nicht. Es ist egal, ob und wie man Zweijährige zum Teilen zwingt. Sie hassen es. Mit sechs Jahren aufwärts sieht die Sache schon anders aus. Da sind Freundschaften gewachsen. Und mit ihnen kommt, o Wunder, die Lust am Teilen. Einfach so.