Hauterkrankungen und Psyche hängen zusammen. Gilt das auch für Neurodermitis?
Absolut. Und zwar nicht nur für die Kinder, auch für ihre Eltern. Bei den Kindern sieht man, dass Belastungen immer zu einer Verschlechterung der Haut führen. Und die Eltern sind sehr geplagt, weil sie ihr Kind leiden sehen müssen und auch ihre Nächte aufgrund des Juckreizes der Kinder oft schlecht sind. Neurodermitis ist im Vergleich zu anderen Krankheiten nicht so schwerwiegend, aber die betroffenen Familien haben einen enormen Leidensdruck. Das erlebe ich auch in meiner Praxis. Beim ersten Besuch herrscht manchmal eine große Anspannung, weil die Eltern schon mehrere Ärzte und etliche Cremes ausprobiert haben. Wenn dann die Therapie anschlägt, sind sie beim nächsten Termin erleichtert und viel entspannter. Daran merkt man, unter welchem Stress die Eltern stehen.
Wie sieht diese Wechselbeziehung genau aus?
Man darf die Ursache nicht zu sehr auf die seelische Ebene heben. Ein hoher Anteil der Kinder hat nachweislich eine genetisch bedingte gestörte Hautbarriere, sodass sich ihre Haut nicht so gut schließt wie bei Gleichaltrigen und immer wieder kleine Infektionen und Entzündungen entstehen. Das ist die Basis einer Neurodermitis. Durch Stress verschlimmert sich natürlich das Hautbild. Auslöser eines Schubes können auch Infekte, Impfungen oder Familienprobleme sein: Wenn Eltern von Kindern mit Neurodermitis sich trennen, spiegelt sich die Traurigkeit der Kinder oft in ihrer Haut wider
Worunter leiden die Kinder am meisten?
Das hängt vom Alter ab. Kleine Kinder stört es nicht sehr, wenn sie einen roten Kreis auf dem Arm oder Kopf haben, da steht der Juckreiz im Vordergrund. Bei älteren Kindern spielt die Peergroup eine große Rolle. Für sie sind die Ausschläge sehr belastend, sodass sie manchmal das Haus nicht mehr verlassen wollen. Die Haut sieht einfach entzündet aus, und leider sind Altersgenossen mitunter so knallhart, dass sie Neurodermitispatienten zum Außenseiter machen.
Viele Eltern ermahnen ihr Kind, nicht zu kratzen. Leidet darunter auch die Beziehung?
Ganz schwieriges Thema. Das Kind vom Kratzen abzuhalten klappt bei Babys und Kleinkindern sowieso nicht und auch bei Vier- bis Fünfjährigen kaum. Deswegen muss man die Kinder möglichst schnell aus dem Juckreiz herausholen. Dafür braucht es eine gute Creme-Therapie. Das ständige Ermahnen ist für beide Seiten ermüdend und nervenaufreibend und führt in einen Teufelskreis, den man als Therapeut schnell beenden sollte.
Wie sieht diese Therapie genau aus?
Die Neurodermitis sollte immer stadiengerecht behandelt und gecremt werden. Die Eltern bekommen in meiner Praxis einen Therapieplan und können auch immer anrufen, wenn etwas nicht gut läuft. Jedes Kind braucht seine eigene Creme, denn nicht jedes Produkt funktioniert bei jedem Patienten. Je nach Fett-, Feuchtigkeits- oder Entzündungsgrad der Haut benötigt man verschiedene Cremes und muss die Behandlung dynamisch gestalten. Das Schöne an der Therapie ist aber, dass die Kinder durch das Cremen und Streicheln eine positive Zuwendung durch ihre Eltern erfahren und viel Nähe spüren. Allein dadurch verbessert sich oft der Zustand der Haut. Wichtig ist, dass beide Elternteile eingebunden sind und sich beim Eincremen abwechseln.
Das klingt nach viel Arbeit für die Eltern.
Ja. Es ist eine große Verantwortung und auch anstrengend. Wenn man drei Kinder hat und zwei davon müssen jeden Tag dreimal gecremt werden, ist das Stress für die Eltern. Wir versuchen dann, den Druck herauszunehmen und sagen: zweimal täglich reicht. Und wenn die Haut stark entzündet ist, muss man sich manchmal dem schwierigen Thema Kortison stellen. Kortison hat heute viel weniger Nebenwirkungen als früher, man muss sich davor nicht mehr fürchten. Außerdem gibt es mit den Calcineurininhibitoren eine ganz neue Klasse von Cremes zur Entzündungshemmung. Wenn sich die Haut infiziert hat, benötigen die Kinder auch schon einmal Antibiotika oder Kortison als Saft oder Zäpfchen. Das ist zum Glück selten der Fall.
Was wird in Neurodermitis-Schulungen für Eltern vermittelt?
Im St. Josefskrankenhaus in Freiburg zum Beispiel sind das immer sechs Termine, bei denen verschiedene Aspekte der Erkrankung beleuchtet werden; nicht nur von Ärzten, sondern auch von Psychologen oder Alternativmedizinern, zum Beispiel. Die Schulung soll den Eltern helfen, die Krankheit besser wahrzunehmen und ihre Therapieoptionen zu kennen. Bei allen Familien, die teilgenommen haben, läuft die Therapie nach meiner Erfahrung besser. Entscheidend ist, dass Eltern sich der Diagnose überhaupt erst einmal stellen. Dann können sie die Prognose akzeptieren, die Erkrankung definieren und die Therapie annehmen. Ich stelle ängstlichen Eltern oft die Frage: „Wie viele Erwachsene mit Neurodermitis kennen Sie?“ Da fällt ihnen meist kaum jemand ein. Die Krankheit ist oft vorübergehend und tritt vor allem bei Kindern auf, das sollte man sich immer vor Augen halten. Sie kann aber auch der Anfang einer „allergischen Karriere“ sein.
Was geben Sie Eltern noch mit auf den Weg?
Meine Botschaft ist immer, dass es nicht das Ziel der Therapie ist, die Krankheit auszulöschen, sondern sie unter Kontrolle zu bringen. Die Neurodermitis darf eine Familie nicht beherrschen. Wenn Eltern die Diagnose annehmen und die Therapie konsequent durchführen, wird es in den meisten Fällen gut. Der Verlauf liegt mit in ihren Händen. Wir Ärzte können ein bisschen steuern, welche Cremes benutzt werden. Aber das Entscheidende ist, dass die Eltern ein Verständnis für die Krankheit entwickeln, denn sie sind die wichtigsten Therapeuten.