Aller Anfang ist schwer. Deshalb bekommen die Erstklässler an der Grundschule Am Castrum im niedersächsischen
Gehrden genug Zeit um sich einzugewöhnen. In den ersten Wochen stehen weniger Buchstaben oder Zahlen im Mittelpunkt, sondern vor allem das Kennenlernen. „Ein sanfter Start ist uns wichtig. Schließlich ist der Sprung
vom Kindergarten in die Grundschule groß“, sagt Lehrerin Celine Bohn. Im Kindergarten konnten die Kinder noch ihren eigenen Interessen folgen, ganz ohne Stundenplan, Fächer oder Stillsitzen. Nun ist der Lernalltag deutlich
strukturierter. Nicht die einzige Herausforderung: An der Grundschule sind die Großen aus dem Kindergarten wieder die Kleinen. Sie müssen sich auf dem Schulhof behaupten, neue Freunde finden und eventuell mit ersten Frustrationserlebnissen umgehen.
„Um die schulischen Abläufe zu verstehen, brauchen die Kinder natürlich Zeit. Gleichzeitig darf das Lernen nicht zu weit hinausgezögert werden“, erklärt Ursula Carle, Professorin für Grundschulpädagogik an der Uni Bremen. Um den Übergang zu erleichtern, arbeiten viele Grundschulen und Kinder gärten eng zusammen. Gerade das letzte
Kinder gartenjahr leistet dabei wichtige Vorarbeit. Hier entdecken die Kinder zum Beispiel spielerisch Mengen und
Silben. Außerdem werden sozial-emotionale Fähigkeiten, aber auch die Konzentration und Selbstregulation geübt.
Bei Schnupperbesuchen haben die zukünftigen Erstklässler die Gelegenheit, Schule und Pädagogen kennenzulernen. Ein weiterer Teil der Kooperation: Vor dem Schulstart tauschen sich Fachkräfte und Lehrpersonal vielerorts über die Kinder aus. Außerdem gibt es die Schuleingangsuntersuchungen, bei denen der Entwicklungsstand der Kinder dokumentiert wird. Diese Informationen helfen den Lehrern dabei, auf individuelle Lernbedürfnisse einzugehen und
die Klassen gut zusammenzustellen.
Das Miteinander ist wichtig
Der wichtigste Teil der Arbeit beginnt jedoch mit dem Schulstart. Die Kinder müssen sich nun an das Lernen im
Klassenzimmer und die Regeln der Schule gewöhnen. Dazu gehört nicht nur die Rhythmisierung des Unterrichts oder die Orientierung im Schulgebäude, sondern auch das Zusammenwachsen als Klassengemeinschaft. „Wir arbeiten im ersten Jahr intensiv am Miteinander der Kinder und stärken soziale und emotionale Kompetenzen“, erklärt Bohn.
Unterstützung bekommt die Pädagogin dabei unter anderem von einer Puppe, dem Chamäleon Ferdi. Gemeinsam mit den Kindern sucht es nach einem Piratenschatz. Auf der Reise treffen sie allerlei Fabelwesen, zum Beispiel emotionale
Gespenster. Eins ist traurig, ein anderes wütend. Spielerisch lernen die Kinder so, woran man Gefühle erkennt
und wie man seinem Gegenüber helfen kann. Am Ende der Reise wartet auf die Klasse sogar ein echter Schatz, vergraben auf dem Schulhof. Gehoben werden kann er nur, wenn alle mithelfen.
Auch die Unterrichtsgestaltung kann die Gewöhnung an den Schulalltag erleichtern. „Kinder lernen Neues schneller von anderen Kindern als frontal von einer Lehrerin. Daher fällt ihnen ein Übergang mit jahrgangsübergreifenden Schuleingangsstufen – wie ihn manche Grundschulen bieten – oft leichter“, erklärt Carle. Der große Vorteil: Die jüngeren Kinder schauen sich von den älteren ab, wie der Unterricht funktioniert. Auch Celine Bohn setzt in ihrer ersten Klasse auf ein offenes Unterrichtskonzept. „Die Schülerschaft wird immer heterogener. Daher ist es wichtig, auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen“, sagt sie. Ihre Schüler lernen deshalb mit individuellen Wochenplänen, wobei sie auch den eigenen Interessen folgen sollen. Wer alle Matheaufgaben gelöst hat, kann sich eingehend mit Dinosauriern beschäftigen oder gemeinsam mit anderen naturwissenschaftliche Experimente ausprobieren. Stillsitzen ist keine Pfl icht, stattdessen kann im gesamten Klassenraum gearbeitet werden – im Sitzen, Stehen oder sogar Liegen.
Vorbereitung ist kaum nötig
Natürlich spielen auch die Eltern beim Schulstart eine wichtige Rolle. Auf Infoabenden lernen sie die Schule
kennen und werden so auf den neuen Lebensabschnitt ihres Nachwuchses ein gestimmt. Das ist auch gut so: Schließlich müssen auch die Eltern in eine neue Rolle hineinwachsen. Viele haben Respekt vor der Institution
Schule und möchten ihr Kind möglichst optimal auf die neuen Anforderungen vorbereiten. Dabei ist das kaum nötig.
Kindliche Neugier und Wissbegierde sind die besten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Schulstart. Die allermeisten Kinder wollen von sich aus schreiben und rechnen lernen. „Die Eltern sollten ihr Kind durch Zuversicht stärken und seinen Weg als interessierte Begleiter unterstützen. Druck oder Ehrgeiz sind dabei fehl
am Platz“, erklärt Carle. Eltern können Gruppen von Kindern organisieren, die zusammen zur Schule laufen, und wenn nötig, können sie sich mit Fragen an die Lehrkräfte wenden. Auch eine zurückhaltende Unterstützung bei den ersten Hausaufgaben ist erlaubt. Doch spätestens an der Klassentür sollte ihr Engagement enden. Dahinter muss sich ihr Kind selbst zurechtfi nden – und wird das auch schaffen.
Gute Voraussetzungen: Ihr Kind...
- ist neugierig und hat Lust aufs Lernen.
- kann seinen Namen schreiben und kennt seine Adresse.
- kann seine Meinung und Wünsche äußern.
- bringt soziale Kompetenzen im Umgang mit anderen Kindern mit, dazu gehört zum Beispiel Selbstregulation oder Hilfsbereitschaft.
- kann sich konzentriert einer Aufgabe widmen.
- kann sich selbstständig anziehen, essen und auf seine Sachen aufpassen. Auch Fahrradfahren oder einen Ball fangen sind wichtige, motorische Fähigkeiten.
Keine Sorge:
Die meisten Fähigkeiten bringt Ihr Kind von ganz allein mit oder hat sie bereits im Kindergarten erworben.
Liebevolle Begleitung ist deshalb wichtiger als übermäßiger Ehrgeiz.