Ben, vier Jahre alt, weigert sich seit einem halben Jahr, andere Schuhe als seine verschlissenen Gummistiefel
zu tragen. Marlene, zweieinhalb Jahre, kippt fast täglich ihren Trinkbecher um und „malt“ mit der Flüssigkeit auf dem Tisch. Louis hat als Fünfjähriger ein neues Ritual entwickelt: Seine Zimmertür muss zweimal geschlossen und wieder geöffnet werden, sonst kann er nicht einschlafen. Und die sechsjährige Sarah hat die Angewohnheit, am Tisch mit ihrem Oberkörper vor und zurück zu wippen.
Macken wie diese irritieren Eltern. Wenn sie andauern, verfestigt sich der Zweifel, dass das normal ist. Hat das nicht etwas Zwanghaftes? Wie reagiert man richtig auf ein solches Verhalten?
Macken haben eine Berechtigung
Die gute Nachricht: Das alles ist völlig im Rahmen und kein Grund zur Sorge. Zwangsstörungen entstehen bei Kindern erst ab dem Schulalter; in der Kindergartenzeit kommen sie so gut wie nicht vor. Wenn Kleinkinder zwanghaft wirken, hat das andere Gründe. „Kinder handeln einfach nach ihren Bedürfnissen, Erwachsene interpretieren da häufig etwas hinein, was nicht da ist“, erklärt Lea Nikov, eine ausgebildete Montessori-Erzieherin. Viele der genannten Beispiele haben mit Sinnesempfindungen zu tun: Gummistiefel schlackern so schön am Fuß und machen beim Laufen tolle Schlurfgeräusche. Mit Flüssigkeiten herumzupatschen fühlt sich gut an. Dasselbe gilt auch für genitale Stimulationen, die in diesem Alter noch keine sexuelle Komponente haben. Ständige Wiederholungen sind dabei Teil des kindlichen Lernprozesses.
50% aller Kinder im Grundschulalter entwickeln vermutlich einen vorübergehenden Tic
Aber was ist mit Louis und seiner Einschlafroutine? Sogar erfundene Rituale oder abergläubisches Verhalten gehören phasenweise zum Kindsein dazu. Denn sie geben Jungen und Mädchen Sicherheit in Zeiten des Umbruchs, wie etwa dem nahenden Schulbeginn oder bei Spannungen zwischen den Eltern. Auch Sarahs motorischer Tic kann aus
Unsicherheit entstanden sein und verschwindet wahrscheinlich von selbst. Je mehr Aufmerksamkeit Eltern diesem
Verhalten schenken, umso stärker festigen sie es. Gelassen bleiben ist schwer – aber auch hier die beste Devise. Wenn Tics jedoch über einen sehr langen Zeitraum bestehen und die Kinder unter ihrem zwanghaften Verhalten leiden, sich zurückziehen oder offensichtlich unter Anspannung stehen, sollten Eltern aktiv werden, mit ihrem Kinderarzt sprechen und psychologische Hilfe suchen.
kizz Info
Tics & Zwänge
Tics sind unwillkürliche Bewegungen oder Lautäußerungen ohne offensichtlichen Grund. Motorische Tics bestehen meist aus abrupten, heftigen Bewegungen, wie ein wiederholtes Kopfrucken, Schulterzucken oder Augenblinzeln. Vokale Tics sind reflexartige Töne oder Geräusche, wie Räuspern, Schniefen oder sogar lautes Schreien. Die stärkste Ausprägung kombinierter Tics findet sich beim sogenannten Tourette-Syndrom.
Typisch für Zwangsstörungen sind ständige Wiederholungen und Kontrollhandlungen. Dahinter stecken irrationale Ängste und Befürchtungen, wie zum Beispiel das Gefühl „unrein“ zu sein. Häufige Symptome sind Wasch- und Putzzwänge sowie Kontroll-, Ordnungs- oder auch Zählzwänge. Die Kinder achten hartnäckig darauf, bestimmte Handlungen immer wieder genau gleich durchzuführen: Sie kontrollieren Fenster und Türen oder zählen bestimmte Gegenstände immer wieder. Unordentliche Kinder entwickeln höchst selten eine Zwangsstörung.