Rosa für Mädchen, blau für Jungs?!Das Geschäft mit den Farben

Die Spielzeugwelt ist immer noch streng in Hellblau und Rosa aufgeteilt. Doch es regt sich Widerstand

Mädchen rosa, Junge blau: Kinderkleider werden meist nur in
Mädchen rosa, Junge blau: Kinderkleider werden meist nur in "geschlechtsspezifischen" Farben angeboten© Ben Kerckx - Pixabay 

Ein Recherchebesuch im örtlichen Spielwarenladen. Während die Kinderbücher noch bunt gemischt sind, ist der hintere Teil des Geschäfts in zwei Welten aufgeteilt. Links die Mädchensachen: eine Puppenstube, eine Wand voller Einhörner und allerlei Dinge für Prinzessinnen. Rechts das Jungspielzeug – Bagger, Star Wars und eine überdimensionale Ritterburg. Auf den ersten Blick verwundert diese klischeebehaftete Spielewelt. Denn schließlich nimmt die neue Generation Väter selbstbewusst Elternzeit, schmeißt den Haushalt und steht am Herd. Frauen machen Karriere und erobern langsam, aber sicher Männerdomänen. Sicher sind längst nicht alle Ungerechtigkeiten behoben, doch das öffentliche Bewusstsein dafür wächst. Bei der Spielwarenindustrie dagegen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. In den Katalogen, die regelmäßig auf unserem Esstisch landen, kochen Mädchen brav in der Spielküche und träumen davon, Prinzessin zu werden. Jungen dürfen wild toben und als hellblaue Piraten die sieben Weltmeere erobern.

Roboter für Jungs, Schuhe für Mädchen

Das Journalistenpaar Almut Schnerring und Sascha Verlan bekämpft genau diese Spielzeugklischees. Sie haben ein lesenswertes Buch geschrieben (siehe Buchtipp) und den Negativpreis Goldener Zaunpfahl ins Leben gerufen. Ausgezeichnet werden dabei die schlimmsten „Gender-Produkte“, in diesem Jahr war es der Barbie Experimentierkasten. Er soll Mädchen für Technik begeistern, grundsätzlich ein löbliches Anliegen. Doch statt Autos oder Roboter liefert der Kasten eine Waschmaschine und ein drehbares Schuhregal. „Er unterstellt, dass sich Mädchen nur dann für Technik interessieren, wenn sie rosa verpackt wird“, lautet die Kritik der Jury. Kein Einzelfall, wie Sascha Verlan erklärt: „Seit einigen Jahren werden immer mehr Spiel zeuge bewusst für Jungen oder Mädchen beworben. Das gilt auch für eigentlich geschlechtsneutrale Produkte wie Rutschautos, Teddys oder Bauklötze.“ Durch die Aufmachung lassen sich die Produkte auf den ersten Blick zuordnen – nicht nur von Eltern, sondern bereits von Kleinkindern. Jungen bekommen den Bagger im hellblauen Karton, Mädchen die rosa Feenwelt. Aus Verlans Sicht schränken die Hersteller mit ihrem Marketing die Wahlmöglichkeiten und Interessensoptionen der Kinder ein und beeinflussen damit indirekt sogar die spätere Berufswahl.

Klischees sichern Umsätze

Natürlich geschieht die Aufteilung der Spielzeugwelten in zwei Farben nicht grundlos, sondern vor allem aus wirtschaftlichem Interesse. Eltern und Großeltern geben viel Geld für Spielwaren aus. „Aus Sicht der Hersteller ist eine geschlechtsspezifische Werbestrategie durchaus sinnvoll. Der Markt ist hart umkämpft, Produkte für alle bringen nicht genug Umsatz“, erklärt Marion Halfmann, Professorin für Marketing an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Geschlechtsspezifisches Spielzeug lasse sich viel gezielter vermarkten. So berichtet der Kinderversandhändler JAKO-O, dass sich ein Traktor deutlich besser verkauft, wenn er mit Jungs beworben wird. Positiver Nebeneffekt für die Unternehmen: Je individueller das Spielzeug ist, desto schwieriger lässt es sich „vererben“ – und schon steigen die Umsätze. Welcher Junge fährt schon mit dem Glitzerfahrrad der großen Schwester? Und welches Mädchen hat Lust, sich als zotteliger Chewbacca oder Bob der Baumeister zu verkleiden? Doch reichen Werbung und kaufwillige Eltern, um die Rollenklischees im Kinderzimmer aufrechtzuerhalten, oder gibt es noch andere Gründe? Dieser Frage gingen Psychologen der Universität London nach. Sie analysierten dazu Studien zu Spielzeugvorlieben aus den vergangenen 85 Jahren und beobachteten Kindergartenkinder beim Spielen. Ihr Ergebnis: Mädchen bevorzugen Mädchenspielzeug, Jungen Jungsspielzeug. Der Effekt zeigte sich unabhängig davon, wann und wo die Studien gemacht wurden. Auch die Rollenbilder in den Herkunftsländern hatten kaum Effekt auf die Spielzeugwahl. Die Vorlieben scheinen nicht nur das Ergebnis von sozialen Faktoren zu sein, schreibt Studienleiterin Brenda Todd.

Genetische Unterschiede

Aus ihrer Sicht existiert damit zumindest eine milde genetische Veranlagung, zum Beispiel durch Androgene wie das Testosteron. Solche Hormone steuern unter anderem das Wachstum der Geschlechtsorgane im Mutterleib. „Die Gene beeinflussen uns genauso wie unsere Umwelt“, bestätigt auch Eduard Waidhofer, Psychologe in Linz und Autor des Buches Jungen stärken (Fischer & Gann). Sein Rat an uns Eltern: Es ist völlig in Ordnung, dem Sohn einen Fußball oder einen Sternenzerstörer zu schenken, auch Mädchen dürfen sich gut und gerne für Puppen und Einhörner interessieren. „Beim Spiel sollten Freude und Spaß im Vordergrund stehen und diese Freiheit sollte nicht zu stark eingeschränkt werden“, sagt Waidhofer. Das nehme Eltern aber nicht aus der Verantwortung, sich Gedanken über die passenden Spielmaterialien zu machen. Spielen ist immerhin ein wichtiger Bildungs- und Lernprozess. Genau deshalb sollten alle Kinder wählen dürfen, ob sie lieber wild toben wollen oder sich mehr für Puppen interessieren – ganz unabhängig von ihrem Geschlecht.

Sprache hat eine enorme Wirkung

kizz sprach mit der Genderforscherin Evelyn Ferstl über Rollenklischees in der Sprache

Sprechen Erwachsene mit Jungen anders als mit Mädchen?

Aber ja. Erwachsene behandeln schon Babys anders, je nachdem, ob sie glauben, dass es sich um Jungen oder Mädchen handelt. Mädchen werden häufiger wegen ihrer Nettigkeit oder ihres Aussehens gelobt („Du hast aber süße kleine Fingerchen!“), Jungen wegen ihrer Energie oder Stärke („Schau mal, wie kräftig diese Finger schon zupacken!“). Weinen wird bei Mädchen als Angst oder Verzweiflung interpretiert, Jungen als Ärger oder Willensäußerung. die Themenauswahl unterscheidet sich: Mädchen werden öfter in Gespräche über Gefühle und soziale Themen einbezogen, Jungen in Gespräche über Fakten oder Zahlen.

Verstärken wir durch unsere Sprache unbewusst Rollenklischees?

Wie die Beispiele zeigen, fließen die Geschlechterrollen einer Gesellschaft selbstverständlich in die Erziehung mit ein – und somit auch in die Sprache. Mein wichtigstes Anliegen ist, Menschen dafür zu sensibilisieren, dass Sprache einen unmittelbaren Einfluss auf das Denken Deshalb sollten wir sie auch nutzen. Statt „Gendern“ als einen Zwang zu betrachten, sollten wir uns freuen, dass wir so vielfältige Möglichkeiten haben, mit Sprache zu einer gleichberechtigten Gesellschaft beizutragen.

Wie stark ist die Wirkung von Sprache überhaupt, wie müssen wir uns ihren Einfluss vorstellen?

Sprache hat eine enorme Wirkung. Wörter dienen dazu, die Welt Kategorien einzuteilen, zum Beispiel Hunde von Katzen unterscheiden zu lernen. Wenn wir eine Geschichte hören, entsteht sofort eine bildhafte Vorstellung. Diese Verknüpfung von abstrakter Sprache mit der konkreten Welt üben wir auch mit kleinen Kindern intensiv ein: Wir lesen reich bebilderte Bücher vor und ermuntern die Kinder dazu, den mit den Illustrationen zu verbinden.

Wie können Eltern und ErzieherInnen sensibel Sprachgebrauch im Alltag?

Der erste Schritt ist, auf den subtilen Sexismus in der Sprache zu achten. Machen Sie sich doch einmal bewusst, oft sie die männliche Form verwenden jeder einen Pulli dabei?“) und variieren die Formen („Haben alle einen Pulli dabei?“). Achten Sie auf Ihre eigenen Klischees: Sie Mädchen und Jungen gleichermaßen hübsch, kräftig oder brav? Sagen Sie Dinge wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“?

Seit einiger Zeit wird die Forderung nach einer geschlechtsneutralen Sprache laut.

Diese ist gar nicht so neu. Sie geht schon die 70er-Jahre zurück, als zwei Linguistinnen erstmals das „Deutsche als Männersprache“ beschrieben haben. Sie meinen damit, unsere Grammatik ja jedem Nomen einen Artikel voranstellt (der, die, das). Wenn Geschlecht einer Person nicht bekannt nicht relevant ist, nehmen wir einfach männliche Form. Deshalb fordert uns zum Beispiel die Hustensaft-Werbung auf: „Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ – und alle wissen, dass sie auch ihre Apothekerin dürfen. In Experimenten können wir aber zeigen, dass solche Formulierungen automatisch zuerst eine Vorstellung von Männern erzeugen. Wenn Sie Ihre Bekannte etwa nach ihrem Lieblingsschauspieler fragen, werden Sie zum Beispiel Robert de Niro oder Matthias Schweighöfer hören. Wenn Sie stattdessen eine neutrale Formulierung wie Lieblingsfilmstar verwenden, werden ab und zu auch Romy Schneider oder Heike Makatsch genannt. Das Problem ist, dass männliche Personenbezeichnungen sehr stark überwiegen und dieser Sprachgebrauch Mädchen und Frauen unsichtbar macht. Weibliche Personen kommen in vielen oder Gesprächen nicht explizit vor, sondern müssen immer erst mitgedacht werden. ist aufwendig und unnötig. Welche Form der gendersensiblen Sprache nun am besten ist, wird heiß diskutiert. Vorschläge, welche die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten repräsentieren (beispielsweise Freiburger*in), lösen heute Schreibweisen wie das Binnen-I ab, die das Weibliche in den Vordergrund rücken.

Zum Schluss direkt zu den Kindern: Gibt es eigentlich eine typische Jungen- beziehungsweise Mädchensprache?

Im Sprachgebrauch gibt es weniger Unterschiede, als das Vorurteil vermuten lässt. Jungen sprechen genauso viel oder wenig wie Mädchen, und der Sprachstil, also Wortwahl oder Grammatik, sind sehr ähnlich. Auch wie viel die Kinder reden, lässt sich nicht nach Geschlecht unterscheiden. Jedoch können die Inhalte verschieden sein. Je nach Interessen oder Umfeld sprechen Mädchen vielleicht mehr über Pferde und Jungen über Fußball. Außerdem drücken die Eltern eher ein Auge zu, wenn Jungen fluchen oder laut sind. Mädchen werden auch immer noch stärker zu Höflichkeit und Zurückhaltung erzogen, Jungen weniger häufig ermuntert, über ihre Gefühle zu sprechen. Das wirkt sich dann zum Beispiel so aus, dass Mädchen eher indirekte Aufforderungen benutzen („Wollen wir jetzt mit dem Bagger spielen?“), Jungen dagegen eher direkt formulieren („Los, du nimmst die Schaufel!“). Dies hat aber nichts mit den Sprachfähigkeiten oder gar einem biologischen Unterschied zu tun, sondern liegt daran, dass von klein auf Geschlechterrollen imitiert und eingeübt werden.

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