Hilfe gegen EinnässenWenn's mal in die Hose geht

Besonders vor der Einschulung sind viele Eltern beunruhigt, wenn ihre Kinder einnässen. Dabei liegt das Problem meist bei falschen Gewohnheiten

Locker bleiben! Wenn Kinder einnässen, läuft die Waschmaschine eben öfter
Locker bleiben! Wenn Kinder einnässen, läuft die Waschmaschine eben öfter© PaulMichaelHughes - iStock

Max weint, Papa schimpft: „Nächstes Jahr bist du ein Schulkind und du machst immer noch ins Bett!“ Auch Marie macht regelmäßig beim Spielen in die Hose. Eine Träumerin sei sie, verliere im Spiel das Gefühl für Zeit und Raum. Da sind sich ihre Erzieherin und ihre Mutter einig. Max und Marie wollen anscheinend einfach nicht trocken werden – und sind damit keine Seltenheit: Etwa 12 Prozent der Kinder, die eingeschult werden, nässen nachts noch ein, viele von ihnen auch tagsüber „Das Thema ist ein Riesentabu“, sagt Gabriele Grünebaum, Geschäftsführerin der Initiative Trockene Nacht e. V. Vor Jahren hatte ihr Neffe Probleme mit dem Trockenwerden. Die Medizinjournalistin wollte helfen und beschäftigte sich mit dem Thema. Heute veranstaltet sie Info-Abende für Eltern, Erzieher, Lehrer und Ärzte. Die Webseite des Vereins bietet Aufklärung und ein Forum für Betroffene. Viele Eltern haben Probleme, über das Einnässen zu sprechen, und sind wütend auf ihr Kind oder sich selbst. „Doch Einnässen hat in der Regel weder mit Erziehungsfehlern noch damit zu tun, dass ein Kind das bewusst macht oder noch nicht verstanden hat, wann und wie es auf die Toilette gehen soll“, betont Grünebaum.

Bis zum Alter von drei bis vier Jahren ist es ohnehin normal, wenn Kinder nachts ins Bett machen.Erst wenn Schulanfänger noch regelmäßig einnässen, sollten Eltern aufhorchen und sich beraten lassen. „Das kann verschiedene Gründe haben“, sagt Gabriele Grünebaum. Trockenwerden hängt vor allem von der Fähigkeit zur Blasenkontrolle ab, die Kinder erst mit der Zeit erwerben. Bei einigen dauert das eben ein bisschen länger. Nur selten sind aber Fehlbildungen von Blase und Harnröhre oder Seelenstress wie Scheidung, Mobbing oder die Geburt eines Geschwisterchens die Auslöser für nächtliches Einnässen. Wächst sich das Problem nicht von alleine aus oder leiden Eltern und Kind sehr darunter, sollten sie den Kinderarzt um Rat fragen. Er wird das Kind untersuchen, gegebenenfalls eine Behandlung vorschlagen oder an einen Facharzt überweisen. Dr. Thomas Harms ist Urologe und bietet in seiner Kölner Praxis eine eigene Kindersprechstunde an. Aus Erfahrung weiß er: „In vielen Fällen liegt die Ursache im falschen Trinkverhalten und verkehrten Toilettenritualen.“

Verblüffend effektiv: Rituale ändern

Auf der Suche nach den Gründen fürs Einnässen spielt für den Urologen das „Blasentagebuch“ eine große Rolle. Darin notieren Eltern und Kind über einige Zeit hinweg täglich, wann das Kind einnässt, wie viel es wann trinkt, wann und wie oft es zur Toilette geht und wie viel Urin es etwa dabei tagsüber und nachts ausscheidet. „80 Prozent der Kinder trinken falsch und machen nicht richtig Pipi“, erklärt Gabriele Grünebaum. Bei den Mahlzeiten ein, zwei Gläser zu trinken und danach aufs Klo zu gehen, das alleine könnte schon einen Großteil der Kinder trocken machen. Doch stattdessen trinken die meisten Kinder tagsüber zu wenig und holen das ab dem Nachmittag zu Hause in rauen Mengen nach. „Die Flüssigkeit drückt dann während des Schlafs auf die Blase, die regelrecht überläuft“, sagt Grünebaum. Deshalb sei es so wichtig, dass Kinder über den Tag verteilt gut trinken und bis 17 Uhr mindestens zwei Drittel der gesamten Tagesmenge aufgenommen haben. Auch mit anderen einfachen Regeln können Väter und Mütter das Trockenwerden fördern: Beim gemeinsamen Essen achten sie darauf, dass ihr Kind ausreichend trinkt. Damit das auch beim Mittagessen in der Kita klappt, ist ein Gespräch mit den ErzieherInnen sinnvoll. Auch eine schöne Armbanduhr mit Vibrationsalarm, die man auf bestimmte Zeiten einstellt, kann Kinder unterstützen. Mit tonlosem Vibrieren erinnert sie ans Trinken und Pipimachen.

Probier's mal mit Bequemlichkeit

Manche Kinder sind auch einfach zu quirlig, um ruhig auf der Toilette zu sitzen. „Es wäre gut, wenn Eltern nicht nur beim großen Geschäft darauf achteten, dass sich das Kind Zeit fürs Klo nimmt und dort entspannt sitzt“, meint Dr. Harms. Denn nur, wenn Körper und Beine einen rechten Winkel bilden, kann sich die Blasenmuskulatur entspannen. „Bei zu kurzen Beinen hilft schon ein kleiner Hocker für die Füße“, rät der Urologe. Für eine entspannte Atmosphäre sorgt zum Beispiel auch das Lieblingsbuch des Kindes, das es mit aufs WC nehmen darf.

Der Weg zum Trockenwerden ist nicht immer leicht. Sich über Fortschritte freuen, aber auch Rückschläge hinnehmen – beides gehört dazu. Kein Wunder, dass bei Eltern die Nerven immer mal wieder blank liegen. Gabriele Grünebaum empfiehlt gestressten Großen und ungeduldigen Kleinen deshalb, sich das Leben ein bisschen leichter zu machen: So verhindert eine wasserdichte Einlage auf der Matratze oder ein Windelhöschen auch für ältere Kinder in der Nacht das nasse Bett. In der Kita rettet die Ersatzwäsche das Kind aus unangenehmen Situationen. Am Ende tröstet ja auch die Tatsache, dass die meisten der betroffenen Kinder im Laufe der Zeit ganz von alleine trocken werden.

kizz Webtipp

www.initiative-trockene-nacht.de

kizz Interview

Weder Eltern noch Kinder sind schuld

kizz sprach mit Dr. Thomas Harms, Kölner Facharzt für Urologie und Mitglied der internationalen Gesellschaft für kindliche Harninkontinenz

Wie sieht die Diagnostik für betroffene Kinder aus?

Zur körperlichen Untersuchung kommen Fragen zur familiären Vorgeschichte und zum Verhalten beim Trinken und Wasserlassen. Ein von Eltern und Kind geführtes Blasentagebuch gibt schon eine Menge Aufschluss über eventuelle falsche Gewohnheiten und zeigt, wo wir mit sinnvollen Tipps im Alltag ansetzen können.

Was sind mögliche körperliche Ursachen fürs Einnässen?

Manche Kinder haben eine Entwicklungsverzögerung, das heißt sie sind noch nicht fähig, ihren Harn entsprechend zu speichern. Bei anderen bildet der Körper zu wenig von einem Hormon, das die Urinproduktion der Nieren in der Nacht runterfährt. Manchmal kommt dazu noch ein besonders tiefer Schlaf oder eine familiäre Veranlagung. Je nach Ursache suchen wir dann nach einer geeigneten psychologischen oder medikamentösen Therapie.

Wie können Sie Kindern und Eltern helfen?

Ich kläre die Eltern auf und empfehle, den Druck aus dem Thema zu nehmen. Dass sie mit dem Problem nicht alleine sind und keiner daran schuld ist, sorgt oft schon für Erleichterung. Es ist wichtig, dass das Kind an der Besserung mitarbeiten muss, Stichwort Blasentagebuch führen. In manchen Fällen helfen eine Physiotherapie oder Verhaltenstherapie.

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