Wer Kleinkinder hat oder kennt, kann bestätigen, dass sie eine Menge Ausdauer haben. Doch nach jedem wilden Spiel und jedem Herumtoben kommen sie irgendwann an den Punkt, an dem sie müde und quengelig werden. Wichtig ist es hier, rechtzeitig und vorbeugend die Bremse zu ziehen und dem Kind aus der Überreiztheit herauszuhelfen. Eine Mischung aus fordernden und ruhigen Phasen ist für Kinder wichtig, nicht nur für eine gesunde Entwicklung, sondern auch für effektives Lernen. Erwachsene haben dabei eine entscheidende Vorbildfunktion und können vorleben, dass
auf Anspannung Entspannung, auf Hektik stets Ruhe folgen sollte.
Pausen helfen Energie zu tanken, neue Erfahrungen zu reflektieren und Gelerntes zu verarbeiten. Nicht immer ist Schlaf hierfür notwendig. Auch ein Ausfl ug in die Natur kann entspannen. Versuchen Sie doch einmal, mit Ihrem
Kind Mandalas aus Naturmaterial zu legen, über Wolkenbilder zu fantasieren oder Steine über Wasser hüpfen zu lassen. Solche Naturerfahrungen können Kinder ganz mühelos erden. Und auch der Müßiggang ist ein Mittel, um Kraft zu schöpfen. Kinder können das meist noch ganz intuitiv: in den Tag hineinleben, im Spiel aufgehen und dabei Zeit und Raum vergessen.
Wie gut ein Kind zur Ruhe findet, ist nicht zuletzt eine Frage der Persönlichkeit. Ruhigere Charaktere ziehen
sich ganz eigenständig zurück. Andere Kinder hingegen benötigen Begleitung und Anleitung. Ihnen hilft es, wenn sie mit einem Übergangsritual unterstützt werden. Ein Lied, ein Reim oder eine Kerze und vor allem ein fester Tageszeitpunkt führen das Kind hin zur Pause. Auch ein fester Rückzugsraum kann gemeinsam mit dem Kind gestaltet werden.
„Wenn ich merke, dass mein Kind zu sehr aufdreht, setze ich mich mit ihm hin und wir schauen ein Buch an“, berichtet Maren T., Mutter des vierjährigen Jasper. Dabei genießt das Kind die volle Aufmerksamkeit. „Mats entspannt es, wenn ich ihm den Rücken kraule“, erzählt Sarah N., „hierbei kommen wir beide zur Ruhe.“ Direkter Körper kontakt wie Fingermalereien auf dem Rücken bis hin zur Massage fördern das Ruhigwerden und die Ausschüttung des Kuschelhormons Oxytocin, welches zusätzlich für Entspannung sorgt.
Entspannung kann man lernen
Autogenes Training oder Kinderyoga können einen geeigneten Ausgleich schaffen. Dabei erlernen die Kinder
spielerisch Entspannungstechniken, die sich auch zu Hause umsetzen lassen. Solche Momente können auch für Eltern
ein Ruhepol sein.
Ziel des autogenen Trainings ist es, durch Wiederholung neue Muster ins Unterbewusstsein einzuprägen. Bei
Kindern wird die Technik anders praktiziert als bei Erwachsenen. In lockerer Haltung sitzend, lauschen sie der Erzählung von Fantasiereisen. In diese sind Entspannungsformeln in Form von Reimen oder Zaubersprüchen integriert.
„Man kann gar nicht früh genug damit anfangen, Kindern bereits einfache Übungen zu vermitteln. Sie lernen so schon früh Techniken kennen, die sie bereits im Schulalter eigenständig anwenden können,“ betont Klaudia Schädler, Lehrerin für Entspannungsübungen am Bodensee. Und sie hat noch einen ganz einfachen Tipp, der zur Ruhe führt und die Eltern-Kind-Beziehung stärkt. „Miteinander reden und einander zuhören wirkt entspannend und kann Gefühlsblockaden lösen.“
Auch Kinderyoga lehrt vielfältige Techniken der Entspannung. Yoga ist die indische Lehre der Verbindung von Geist und Körper. Dabei geht es nicht darum, perfekte Körperstellungen einzunehmen, sondern um das Ausprobieren und Erfahren. Die verschiedenen Körper-, Balancier- und Gleichgewichtsübungen sind zumeist eingebettet in eine Geschichte, in Reime und Tänze gefolgt von einer abschließenden Entspannungsreise. Im Alter von drei bis vier Jahren können Kinder bereits mit Yoga beginnen. Durch spezielle Wahrnehmungsübungen lernen sie, ihren Körper bewusst zu erleben und zu fühlen und damit auch, achtsamer mit ihm umzugehen. Regelmäßig praktiziertes Yoga hat eine beruhigende und ausgleichende Wirkung; Atemübungen können jederzeit im Alltag angewendet werden. Das bewusste tiefe Atmen in den Bauch etwa ist eine simple Übung, die zur Ruhe kommen lässt, aber auch bei Wut und Traurigkeit helfen kann.
Phasen der Entspannung sind heute wichtiger denn je. „Kinder sind heutzutage auffällig unruhiger, und das ist
mitunter klar auf den zunehmenden Medienkonsum zurückzuführen“, sagt Dr. Florence Decard, Kinder- und Jugendärztin
aus Freiburg im Breisgau. „Selbstverständlich gibt es von Natur aus bereits ruhigere und unruhigere Kinder. Aber eine übermäßige Mediennutzung verstärkt hier eindeutig Anspannung und innere Unruhe.“ Daher sollte der Umgang mit Medien verantwortungsbewusst gestaltet werden, ohne sie pauschal zu verteufeln.
Die Medizinerin nennt noch einen Grund für unruhiges Verhalten bei Kleinkindern: einen inkonsequenten Erziehungsstil. „Kinder brauchen klare Regeln zur Orientierung. Denn Orientierungslosigkeit erzeugt Unsicherheit und Unruhe.“ Regeln gilt es für beide Seiten klar einzuhalten. Ausnahmen sind zwar erlaubt, doch zu viele von ihnen heben die Regel auf. Dadurch müssen Grenzen immer wieder neu ausgetestet werden. Dies wiederum erzeugt Anspannung – bei Kindern und Eltern.
Sind Kinder häufig unruhig, müssen Eltern sich nicht gleich Sorgen machen. Oft werden quirlige Kinder vorschnell als hyperaktiv abgestempelt, doch die wenigsten sind es. Eine klare Diagnose stellt der Kinderarzt. „Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn die Kinder sich auch noch im Vorschulalter sehr zappelig, impulsiv, sprunghaft und unkonzentriert zeigen sowie Aktivitäten selten beenden und nur selten Regeln befolgen“, rät Ärztin Decard..
kizz Interview
Schon Kinder haben Stress
kizz sprach mit Diplom-Sozialpädagoge und Yogalehrer Thomas Bannenberg
Sind Entspannungstechniken für Kinder heute wichtiger als früher?
Kinder sind heute weit mehr in die Welt der Erwachsenen integriert als noch vor ein bis zwei Generationen. Das bedeutet leider auch, dass Kinder nicht nur Stress bei ihren Eltern erleben, sondern Zeit- und Erwartungsdruck
auch Teil des kindlichen Alltags geworden sind. Dementsprechend sind gerade für Kinder „Inseln“ der Ruhe und
Entspannung wichtig, damit sie ganz bei sich ankommen können.
Können Kinder durch Yoga einen leichteren Zugang zur Entspannung erfahren?
Ja, aber die Ruhe sollte auch nicht überbetont werden. Denn die Dynamik der lebendigen Kräfte, die in einem Kind wirken, führen eben zu Neugier, Bewegung – und Abenteuer. So geht es im Yoga stets um den Ausgleich und die Harmonie im „Sowohl – als auch“, also bewegt sein und innerlich entspannt. Ruhig sein im Geiste und dynamisch im Tun.
Kann Kinderyoga auch verhaltensauffällige Kinder unterstützen?
Bei sogenannten Auffälligkeiten ist immer die Situation zu beachten. In einer stillen Kirche fällt ein unbekümmert plapperndes Kind viel eher auf als auf einem Spielplatz. Somit sind immer die Parameter der Messung entscheidend. Yoga kann immer eine Hilfe sein für Kinder mit starkem Bewegungsdrang und für solche, die eine
innere Unruhe spüren, denn die achtsame körperliche Praxis der Haltungen im Yoga fokussiert. Der Atem unterstützt die körperliche Aktivität und hilft dem Geist, im Moment anzukommen.