Kindern vorlesen Lesen macht glücklich

Dass Vorlesen wichtig für die kindliche Entwicklung ist, wissen fast alle Eltern. Trotzdem läuft bei der Leseförderung zu Hause nicht alles gut. Wo es hakt und wie man gegensteuern kann

Kinder lieben es, vor dem Schlafengehen noch eine Geschichte vorgelesen zu bekommen
Kinder lieben es, vor dem Schlafengehen noch eine Geschichte vorgelesen zu bekommen© Luxy Images - Getty images

Emmas Lieblingsbuch hat zwei Henkel und einen Reißverschluss. Immer wieder will die Zweijährige das blaue Stoffbuch angucken. Denn da ist dieses kleine Häschen drin, das an einem langen Bändel durchs Buch turnt. Erst wird es geweckt und angezogen, dann gebürstet und gefüttert, zuletzt werden die Zähne geputzt. „Noch mal!“, ruft Emma begeistert, wenn die Geschichte zu Ende ist.

Alle Kinder lieben das Vorlesen. Und auch den meisten Eltern ist bewusst wie vielfältig die positiven Einflüsse von Büchern sind. Wer vorliest, der genießt nicht nur einen schönen Moment mit seinem Nachwuchs, sondern unterstützt die sprachliche, kognitive und emotionale Entwicklung seiner Kinder. Und dennoch werden vielen Elternhäusern die Potenziale des Vorlesens nicht voll ausgeschöpft. kizz ist den gängig sten Missverständnissen und Problemen nachgegangen.

Zu spät anfangen

Die Vorlesestudie 2017 der Stiftung Lesen brachte es ans Licht: Die meisten Eltern beginnen spät. 55 Prozent lesen ihren Kindern in den ersten zwölf Lebensmonaten nicht regelmäßig vor. 28 Prozent fangen sogar erst nach dem dritten Geburtstag an. Das hat nichts mit Unlust, sondern viel mit Unsicherheit zu tun. Rund ein Drittel der Eltern gab bei der Studie an, dass sie nicht wüssten, wann der richtige Zeitpunkt sei, um mit dem gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern anzufangen. Fast ebenso viele waren der Meinung, dass das Kleinkind sich zunächst ausreichend konzentrieren können sollte.

„Die Eltern wollen das Beste und auf jeden Fall nichts falsch machen“, erklärt Simone Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. „Sie glauben, dass ihre Kinder bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen.“ Das sei nachvollziehbar, aber dennoch falsch. „Der Begriff Vorlesen wird zu eng gefasst.“ Ehmig empfiehlt, Bücher von Anfang an spielerisch in den Alltag mit Babys und Kleinkindern zu integrieren. Möglichkeiten gibt es viele: Plastikbücher für die Badewanne, Bücher mit Fellapplikationen, Aufklappelementen oder Toneffekten, robuste Holzbücher und sogar knisternde Papierbücher, die reiß-, biss- und lutschfest sind. „Wenn man gemeinsam mit den Kindern diese Bücher in die Hand nimmt, legt man den Grundstein für einen selbstverständlichen Umgang mit Lesemedien.“

Die Väter fehlen

Lesende Papas sind in deutschen Kinderzimmern rar. Das hat die Stiftung Lesen schon vor zehn Jahren herausgefunden. Nur acht Prozent der Kinder gaben 2008 an, dass ihre Väter ihnen vorlesen. Im Jahr 2013 hat die Stiftung erneut nachgehakt. Eine leichte Verbesserung sei eingetreten, sagt Ehmig. „Aber nach wie vor ist die Mutter die zentrale Vorleseperson. 47 Prozent der Väter lesen weniger als einmal pro Woche oder höchstens einmal pro Woche vor.“

Das hat viel mit äußeren Faktoren zu tun. In Deutschland arbeitet immer noch ein Großteil der Väter in Vollzeit, während die Mütter mehr Zeit mit den Kindern verbringen. „Hinzu kommt, dass viele Väter das Vorlesen nicht als Teil ihrer elterlichen Rolle wahrnehmen“, sagt Ehmig. Vorlesen sei gesellschaftlich weiblich geprägt. Viele Väter fühlen sich eher für Sport und Spiele zuständig.

Diese Rollenaufteilung benachteiligt Jungen, die sich schon früh an den Männern in ihrem Umfeld orientieren. Nachweislich lesen im Grundschulalter Mädchen mehr und lieber als Jungen. Bei der KIM-Studie 2016, bei der 6- bis 13-Jährige zu ihrer Mediennutzung befragt wurden, gaben nur 39 Prozent der Jungen an, außerhalb der Schule regelmäßig zu Büchern zu greifen. 21 Prozent sagten, sie läsen nie.

Simone Ehmig plädiert deshalb dafür, dass Väter so oft wie möglich die Vorleserolle übernehmen. Und dass sie im Alltag generell ein Lesevorbild sind. „Es ist gut, wenn der Papa auch mal eine Zeitung in der Hand hält oder auf dem Tablet mit seinen Kindern ein digitales Magazin anschaut.“

Zu wenig Stoff

Die Anzahl der Kinderbücher im Haushalt hängt eng mit dem Bildungsniveau und den ökonomischen Verhältnissen der Eltern zusammen. Laut der KIM-Studie besitzen Kinder, die mit sehr gebildeten Eltern aufwachsen, im Durchschnitt fast doppelt so viele eigene Bücher wie Kinder aus Elternhäusern mit niedriger Bildung. Doch wo kaum Lesestoff verfügbar ist, da wird auch weniger vorgelesen. Die positiven Effekte bleiben aus, eine negative Spirale entsteht. Umgekehrt steigt mit jedem Kinderbuch im Haushalt die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern die Bücher auch zur Hand nehmen – selbst wenn Lesen in ihrem Alltag bisher keine große Rolle gespielt hat. Die Stiftung Lesen macht sich deshalb für Büchergeschenke stark. „Gerade Kindern aus bildungsfernen Schichten kommen geschenkte Bücher nachweislich zugute“, sagt Ehmig.

Monologisch und langweilig

Manchen Eltern fällt es schwer, anregend vorzulesen. Sie gestalten die Vorlesesituation zu monologisch, manchmal auch zu monoton. Bei der zwanzigsten Wiederholung eines Pixi- Buchs kann das schon mal passieren, es sollte aber nicht die Regel sein. „Wenn Eltern keine Lust haben, überträgt sich das Gefühl auf die Kinder“, erklärt Simone Ehmig. Vorlesen dürfe man nicht als „mechanische Dienstleistung“ verstehen. „Es geht immer um Zuwendung und den Austausch, den alle Kinder und Eltern lieben.“

Beides lässt sich anhand von Büchern wunderbar erfahren. In der Forschung unterscheidet man dabei das klassische und das dialogische Vorlesen, bei dem das Buch mehr als Inspiration für eine Unterhaltung mit dem Kind genutzt wird. Gerade bei Letzterem tun sich einige Erwachsene schwer. „Dabei hat sich das dialogische Vorlesen als sehr förderlich für die Sprachentwicklung von Kindern erwiesen“, sagt Erziehungswissenschaftlerin Annegret Kieschnick, die als Referentin für Pädagogik und Qualitätsentwick lung bei dem Kita- Träger Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH in Berlin arbeitet. Beim dialogischen Vorlesen rückt der Text in den Hintergrund. „Stattdessen wird ein Buch, ein Katalog, eine Zeitschrift als Gesprächsanlass genommen.“

Das Kind im Blick

Wer dialogisch vorliest, sollte genau auf die Reaktionen des Kindes achten. Wo bleibt der Blick hängen, wo wird schnell weitergeblättert? Trotzdem müsse man das klassische Vorlesen nicht aufgeben, so Kieschnick. „Am besten ist eine Kombination aus beiden Vorlesemethoden.“ Kinder genießen es auch mal, still und passiv zuzuhören. Vor allem abends, wenn sie müde sind. Dann gibt es nichts Schöneres, als in Papas oder Mamas Armen zu liegen und einer spannenden Geschichte zu lauschen.

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