Wir Eltern von heute verlangen viel von uns. Wir wollen die Kinder optimal großziehen, im Beruf gute Arbeit leisten, einen ordentlichen Haushalt führen, uns um unsere Beziehung und unsere Freundschaften kümmern – und vergessen dabei oft, für uns selbst zu sorgen.
Denn alles geht nicht, schon gar nicht gleichzeitig. Es wird Zeit, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Der ständige Druck, egal ob bewusst oder unbewusst, macht uns auf Dauer fertig. Der Haushalt jedoch ist nie fertig, das sind am Ende des Tages nur wir. Wenn wir merken, dass es alles zu viel wird, wenn wir einfach nicht mehr können, dann ist es höchste Zeit zu handeln. Burn-out bei Eltern ist heutzutage keine Ausnahme mehr. Das Müttergenesungswerk sprach jüngst vom „Gesundheitsrisiko Muttersein“ und meinte damit nicht das Risiko der Geburt. Die Zahl kurbedürftiger Eltern steigt Jahr für Jahr. Aber viele ignorieren alle Anzeichen, bis es schließlich nicht mehr geht und sie einfach zusammenbrechen. Dabei kündigt sich ein Burn-out schleichend an. Die gute Nachricht: In jeder Phase können wir das Ruder herumreißen. Je früher wir gegenwirken, desto schneller kommen wir wieder raus aus der Überforderungsfalle.
Die Notwendigkeit erkennen
Aber wie schafft man es, das Hamsterrad zu stoppen? Sich dieser Notwendigkeit bewusst zu werden, ist der erste Schritt. Sich klarzumachen, dass es so nicht weitergehen kann. Dazu müssen wir mehr auf unseren Körper achten und seine Signale ernst nehmen. Es ist eben nicht normal, dass man sich nach einem Wochenende erschöpfter als vorher fühlt und die Erholung nach dem Urlaub keine zwei Tage anhält. Es ist nicht normal, seit Wochen jeden Abend um 20 Uhr kraftlos einzuschlafen und zu nichts mehr Lust zu haben. Den Gedanken „Ich kann nicht mehr“ hat jeder einmal. Doch es ist nicht normal, wenn er das Leben dominiert, wochenlang, monatelang. Kommen Schlafl osigkeit, ein ständig erhöhter Puls, Kopfoder Rückenschmerzen hinzu, dann spätestens ist klar: Es muss sich etwas ändern.
Das schlechte Gewissen abschalten
„Aber meine Familie braucht mich doch. Ich kann doch nicht einfach an mich denken.“ Doch! Der zweite Schritt ist es, die inneren Vorwürfe und das schlechte Gewissen auf stumm zu stellen. Denn wenn wir Eltern zusammenklappen, ist am Ende niemandem geholfen. Wir müssen nicht perfekt sein. Gut genug reicht. Was das bedeutet, das bestimmen wir selbst. Wem nützt es, wenn wir uns täglich aufreiben und unsere eigenen Bedürfnisse verleugnen? Niemandem. Kinder brauchen keine perfekten Eltern, die Haus und Leben auf Hochglanz polieren, dafür aber immer gestresst und am Rande des Nervenzusammenbruchs sind. Sie brauchen Eltern, die gut für sich sorgen.
Prüfen und entrümpeln
Im nächsten Schritt gilt es, alles auf den Prüfstand zu stellen: Was ist mir wirklich wichtig? Mache ich etwas, weil es mir Spaß bringt? Oder weil ich denke, dass ich es tun muss? Backe ich die Regenbogentorte, weil ich Freude daran habe? Dann los, Backen kann Entspannung sein! Geht es aber darum, beim Kindergeburtstag die anderen Eltern zu beeindrucken, dann Finger weg! Kindern schmeckt auch der einfachste Kuchen, Hauptsache, es sind genug Schokolinsen drauf. Muss das Haus wirklich rundum geputzt sein, wenn Besuch kommt? In einem Haushalt mit Kindern steht halt manchmal (oder auch ständig) das Frühstücks geschirr noch neben der Spülmaschine, weil die Zeit zum Einräumen fehlte. Auch das Schuhchaos vor der Garderobe ist völlig normal.
Dann heißt es: Überfl üssige Termine streichen. Muss das Kinderturnen sein? Hat das Kind wirklich Freude am Klavierunterricht? Finden wir eine Alternative zum Fußballtraining, zu der wir nicht eine halbe Stunde mit dem Auto fahren müssen? Haben die Kinder nicht schon im Kindergarten ausreichend Bewegung und Musik, sodass wir die Nachmittage lieber zum freien Spielen nutzen können? Kein Kind verliert den Anschluss, nur weil es nicht mit fünf zum Ballett geht.
Auszeiten einbauen
Ist der Nachmittag entrümpelt, gehen wir auf die Suche nach kleinen ritualisierten Auszeiten im Alltag, in denen wir neue Kraft tanken können. Es muss keineswegs gleich das lange Wellnesswochenende sein. Wie bringt man das schon im Terminkalender unter? Wenn es nach dem Kurztrip genauso stressig weitergeht wie vorher, ja vielleicht sogar noch stressiger, ist der Erholungseffekt schnell wieder verpufft. Das Hamsterrad läuft unerbittlich weiter.
Viel wichtiger und nachhaltiger ist es, kleine Zeitfenster festzulegen, die nur für einen selbst bestimmt sind. „Me-Time“ heißt es neuerdings so schön. Diese kleinen Auszeiten sind viel leichter im Alltag unterzubringen. Das kann die Viertelstunde bei Kaffee und Zeitung sein, die man morgens nur für sich hat, bevor man den Rest der Familie weckt. Es kann der Sonnengruß sein, den man in der Mittagspause oder vor dem Schlafengehen praktiziert. Die zehn tiefen Atemzüge am offenen Fenster nach dem Aufstehen. Auch schon kleine Kinder verstehen den Satz „Ich lese jetzt noch diese drei Seiten und dann bin ich ganz für dich da.“ Ehe man sichs versieht, sind die Kinder so in ihr Spiel vertieft, dass man glatt noch Zeit für weitere Seiten hat!
Luft holen
Wir können außerdem den Atem nutzen, um uns kleine Pausen zu verschaffen. Indem wir kurz innehalten und uns auf das Ein- und Ausatmen konzentrieren, nehmen wir Tempo aus dem Alltag und beruhigen den Puls. Das Telefon klingelt? Niemand muss beim ersten Klingeln den Hörer abheben. Wenn man sich bewusst vornimmt, immer erst nach dem dritten Klingeln abzuheben und vorher tief ein- und auszuatmen, lässt sich das Telefonat gleich entspannter führen. Die Kinder rufen und quengeln? Man muss nicht sofort springen. Zeit für ein paar tiefe Atemzüge ist immer drin. Diese Atempausen versorgen uns mit Sauerstoff und liefern Energie.
Den Blickwinkel ändern
Kleine Ruhepausen finden sich überall im Alltag – auch da, wo man sie nicht vermutet. Es ist nämlich oft eine Ansichtssache! Die Kasse im Supermarkt ist mal wieder die längste? Das ist keine „gestohlene“, sondern gewonnene Zeit: eine Zwangspause. Zeit zum Atmen, Zeit zum Nachdenken, Zeit, einfach mal nichts zu tun. Ebenso kann der Arbeitsweg zu einer „Me-Time“ werden. Im Zug haben wir endlich Zeit, ein Buch zu lesen. Im Auto hören wir ein Audiobuch oder die Lieblingsmusik. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad haben wir frische Luft und Bewegung.
Auf diese Weise kann auch die gemeinsame Zeit mit den Kindern zur Ruheoase werden. Wenn wir uns nämlich darauf einlassen und nicht in Gedanken die Einkaufsliste für die Woche planen oder nebenbei auf das Handy schielen. Kinder merken es, wenn wir nicht bei der Sache sind, und mutieren genau in diesen Augenblicken zu Wutzwergen. Lieber nur eine halbe Stunde mit dem Kind spielen, dafür aber achtsam und ungestört. Wer absolut keine Freude daran hat, Mensch ärgere Dich nicht zu spielen, sollte sich damit nicht quälen, sondern das der Oma oder den Freunden überlassen. Stattdessen lieber mit dem Kind puzzeln oder ein Buch anschauen. Wenn wir mit den Kindern das machen, was uns auch selbst Freude bringt, ohne Zeitdruck im Nacken, dann gelingt es uns, aus diesen Momenten neue Kraft zu schöpfen.