Kurz vor der Abholzeit herrschte in der Kitagruppe Langweile. Es gab nichts zu tun, etwas Neues anzufangen lohnte sich nicht mehr. Bevor die Stimmung kippte, hatte der Erzieher Florian Sump die rettende Idee: Er schloss seinen MP3-Player an die Boxen an, drehte The Notorious B.I.G. auf und begann zu tanzen. Klar, seine Breakdance-Moves waren etwas eingerostet, aber die Kinder sofort begeistert. Aus dem spontanen Einfall wurde schnell ein festes Ritual. „Ich brachte jede Woche neue Musik mit. Außerdem haben wir eigene Texte entwickelt und Tanzbewegungen geübt“, erzählt er. Acht Jahre ist das her. Inzwischen hat Florian Sump ein Workshop-Konzept entwickelt. Der oldschool Rap aus der Bronx ist weitest gehend neuen Texten und Beats gewichen. Davon hat Sump genug. Der ehemalige Schlagzeuger der Teenie-Popband Echt ist heute Teil der bekannten Kindermusik-Combo Deine Freunde. Seinen Job als Erzieher hat er an den Nagel gehängt, den Musikstunden blieb er aber treu. Einmal pro Woche ist er in einer Hamburger Kita und regelmäßig im Ferienprogramm der Hansestadt. „Gemeinsam mit den Kindern bewege ich mich zu Musik und singe mit ihnen. Mal zu Hip-Hop, mal zu schnellen Elektro beats, mal spiele ich auch einfach die ‚Vogelhochzeit‘ auf der Gitarre“, erzählt er. Auf die Vermittlung von Akkorden, Noten oder Tonleitern verzichtet er dabei bewusst. Sein Motto: Spaß vor Taktgefühl!
Dass Musik Kindern guttut, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Sie regt das Gehirn an, fördert das Sprachverständnis und das Wortgedächtnis. Musizierende Kinder lernen leichter Fremdsprachen, können sich besser konzentrieren. Mit anderen zu musizieren, in einer Band oder einem Orchester zu spielen, stärkt die Sozialkompetenz, macht kooperativer. Bereits Babys werden animiert selbst zu sprechen, wenn wir ihnen etwas vorsingen, vorlesen oder mit ihnen reden. Ein Tänzchen mit dem Nachwuchs auf dem Arm stärkt das Takt- und Rhythmusgefühl. Und alle Eltern haben bestimmt schon die Erfahrung gemacht, dass das Singen Kindern hilft, sich an Rituale zu gewöhnen, und außerdem Konfliktsituationen entschärfen kann. Bestes Beispiel dafür ist das Gutenachtlied. Es erleichtert nicht nur das Einschlafen, die Kinder schlafen auch tiefer – selbst, wenn der Papa das Ganze eher brummelig vorträgt. Doch die Welt der Töne nur auf ihre pädagogischen Vorteile zu reduzieren, täte ihr unrecht. „Musik macht in erster Linie einfach glücklich und weckt Emotionen“, sagt Elisa Läubin, Professorin für Elementare Musikpädagogik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Gerade für Kinder sei die Musik deshalb eine tolle Möglichkeit, sich auszudrücken und ihre natürliche Kreativität auszuleben.
Die Welt ist voller Töne
Tatsächlich scheint die Leidenschaft für Musik zur Grundausstattung des Menschen zu gehören. Schon Babys greifen nach allem, was Geräusche macht. Krabbelkinder trommeln eifrig mit dem Löffel auf den Tisch. Was für uns Eltern vor allem laut ist, ist für den Nachwuchs die erste Drum-Session. Professorin Läubin plädiert deshalb dafür, Kindern einen klingenden Alltag zu ermöglichen. Wer mit offenen Ohren und Augen durch die Welt geht, entdeckt schnell viel Potenzial für Rhythmus. Der Reißverschluss der Jacke gibt mehrfach auf- und zugezogen tolle „Töne“ von sich. In der Küche schlummert ein ganzes Schlagzeug aus Töpfen. Auch die Erfahrung, dass es anders klingt, wenn ich auf den Boden klopfe oder an den Schrank, ist eine musikalische Bereicherung. Gleiches gilt natürlich für das Singen: Unsere alltägliche Kommunikation, Geschichten, Ermahnungen – all das lässt sich auch problemlos singen. Auf den Rhythmus kommt es dabei nicht so sehr an. „Spiel und Freude an Klängen brauchen weder einen genauen Viervierteltakt noch ausgebildete Opernstimmen. Musik darf man nicht nur den Experten überlassen, sondern sollte sie als Familie selbst erleben“, sagt die Musikpädagogin.
Begeisterung steckt an
Der einfachste Weg zum Musikerlebnis ist immer noch das Hören. Dabei muss es nicht immer Musik für Kinder sein. Florian Sump empfiehlt Eltern, ruhig ihre eigenen Lieblingskünstler aufzulegen und dazu mit den Kindern zu tanzen, mitzusingen oder einfach nur zuzuhören. „So vermittelt man die eigene Begeisterung und kann die Emotionen der Musik authentisch vorleben. Außerdem fällt es leichter, zur eigenen Lieblingsmusik Faxen zu machen“, sagt er. Seinen beiden Kindern spielt er nicht nur Songs von Deine Freunde vor, sondern auch allerlei Rapmusik für große Hörer. Einzige Vorgabe: Es werden keine Mütter beleidigt und nicht zu viele Kilos Koks verschoben. Wer sich übrigens Sorgen macht, seine Lieblingsmusik sei nicht förderlich genug, kann durchatmen. Lange galt Klassik als idealer Stimulus für das Gehirn. Heute weiß die Forschung, dass auch Heavy Metal oder Rap positive Effekte haben. Das Genre ist nicht entscheidend, sondern wie der Hörer die Musik empfindet.
Besonders interessant ist das „bewusste“ Musikhören. Kinder zeigen im Gegensatz zu uns Erwachsenen offen und spontan, was ihnen gefällt und was sie doof finden. Das bietet Raum, um mit ihnen über das Gehörte ins Gespräch zu kommen: Magst du diese Musik? Wie fühlt sie sich an? Welche Klänge hörst du? Auch der Blick über den Genre- Teller rand lohnt sich. Gemeinsam mit den Kindern kann man nach neuen Musik stilen Ausschau halten. Ob Klassik, Jazz, Punk oder Heavy Metal: Von all diesen Genres gibt es inzwischen Musik für Kinder. Das Erleben von Vielfalt ermöglicht es den Kindern, ihren eigenen Geschmack zu entwickeln. Auch ein früher Konzertbesuch ist kein Tabu. Dabei erfahren Kinder hautnah, welche unterschiedlichen Arten von Musik, Gesang und Instrumenten es gibt. In vielen Städten gibt es Konzerte speziell für Kinder – von Klassik bis Pop. Der Vorteil: Die Konzerte sind kindgerecht, nicht zu lang und finden bettgehfreundlich am Nachmittag statt.
Augen zu und durch
Der intimste Musikmoment bleibt jedoch das gemeinsame Musizieren oder Tanzen. Die gute Nachricht: Auch dafür braucht es nicht mehr als Lust und Freude an der Musik. Gerade kleinen Kindern ist es egal, ob Mama schief singt oder Papas Tanzbewegungen unbeholfen sind. Obwohl Kinder also bedingungs lose Fans sind, fällt es vielen Erwachsenen schwer, ungehemmt und offen mit dem Nachwuchs musikalisch aktiv zu werden. Schuld daran ist oft der Musikunterricht aus der eigenen Schulzeit. Lange galt Vorsingen vor der ganzen Klasse als profundes Mittel, das musikalische Talent zu messen. Wer die Töne nicht traf, dem wurde gesagt, dass er oder sie nicht singen könne. „Manche glauben das bis heute“, sagt Läubin. Völlig unmusikalische Menschen gibt es aus ihrer Sicht jedoch gar nicht. Das Gefühl, nicht singen oder tanzen zu können, entstehe meistens nur durch mangelnde Übung und fehlende Routine. Genau diese kann man aber gemeinsam gewinnen. Egal, ob sie am Ende jeden Ton treffen oder nicht: Eltern haben es selbst in der Hand, welche Beziehung zur Musik ihr Kind entwickelt.
kizz Tipp
Mehr Musik im Alltag
- Nur Mut: Kinder achten nicht auf schiefe Töne oder ungelenke Bewegungen.
- Die Welt ist voller Klänge und Instrumente. In unserer Umgebung lassen sich viele entdecken (oder auch selbst basteln).
- Musik hilft, sich an Rituale zu gewöhnen (zum Beispiel beim Aufräumen immer dasselbe Lied singen).
- Kinder interessieren sich auch für den Musikgeschmack der Eltern.
- Oper, Rap oder Jazz: Es lohnt sich, gemeinsam mit den Kindern neue Musikstile zu entdecken.
- Konzerte sind für Kinder eine tolle Möglichkeit, Instrumente, Gesang und ihr Zusammenspiel zu erleben.