Warum Ben oft ungeschickt ist, Sarah häufig ängstlich wirkt und Tom beim Anschauen von Bilderbüchern davonzappelt, dafür gibt es die unterschiedlichsten Erklärungsansätze von „entwicklungsverzögert“ bis „ADHS“. Manchmal steckt jedoch etwas ganz anderes dahinter, das sich ganz einfach beheben lässt: Die drei Kinder haben eine Sehschwäche. Ben und Sarah fehlt das räumliche oder stereoskopische Sehen – kein Wunder, dass sie kaum Bälle fangen und ungern auf Bäume klettern. Tom hingegen ist weitsichtig und sieht die Bilderbücher, die sich seine Mutter mit ihm anschauen möchte, nur unscharf. Deshalb spielt er lieber draußen im Freien und beschäftigt sich nicht gerne mit Papier, Schere oder Stift.
Etwa jedes zehnte kleine Kind ist fehlsichtig. In den meisten Fällen sieht dabei ein Auge schlechter als das andere, Fachleute nennen das „schwachsichtig“. Da das bessere Auge den Sehfehler ausgleicht, fällt das häufig weder den Eltern noch den Kinderärzten auf. Doch auf Dauer bevorzugt das Gehirn die Bilder, die von dem besseren Auge geliefert werden, und das schwächere Auge „verlernt“ das Sehen. Als Folge verlieren die Kinder die Fähigkeit, räumlich zu sehen.
Die häufigste Ursache der Schwachsichtigkeit ist Schielen. Das heißt, die Blickwinkel der beiden Augen unterscheiden sich und liefern dem Gehirn versetzte Bilder. Nicht immer ist ein Schielen so offensichtlich, dass es erkannt wird. Aber auch geringe Abweichungen des Blickwinkels können zu Problemen führen. Außerdem können Weitsichtigkeit, Kurzsichtigkeit oder eine Hornhautverkrümmung auf einem Auge ein Auslöser dafür sein, dass das schwächere Auge „abschaltet“. Ein schwaches Auge kann wieder trainiert werden, indem das stärkere Auge abgeklebt wird.
Sehfehler können auch auf beiden Augen auftreten und die Sehfähigkeit insgesamt beeinträchtigen. Die Hornhaut ist die durchsichtige Schicht, die unseren Augapfel nach außen hin abschließt – sozusagen das Fenster, durch das das Licht ins Auge einfällt. Wenn ihre Krümmung nicht perfekt kreis förmig ist, äußert sich das in unscharfen Bildern auf der Netzhaut. Diese Hornhautverkrümmung, auch Astigmatismus genannt, ist fast immer angeboren und zeigt sich häufig bei mehreren Familienmitgliedern. Anders als Weit- oder Kurzsichtigkeit verändert sie sich im Lauf des Lebens wenig.
Für kurzsichtige Kinder verkleinert sich die Welt: Das Ferne wird unscharf, nur Dinge in der Nähe bleiben erkennbar. Kurzsichtigkeit ist selten angeboren, fast immer entwickelt sie sich im Lauf der Schulzeit. Starke Weitsichtigkeit, bei der das Nahe unscharf zu sehen ist, ist hingegen meist genetisch bedingt oder entwickelt sich erst im Alter. Eine schwache Weitsichtigkeit ist bei sehr kleinen Kindern häufig und gibt sich, wenn das Auge wächst.
Hilfe auf der Nase
Die meisten Sehfehler lassen sich unproblematisch mit einer Brille korrigieren, jedoch nur, wenn diese auch regelmäßig getragen wird. Wie kann man gerade kleine Kinder dazu motivieren? „Wichtig ist, dass die Eltern eine positive Einstellung zur Brille vermitteln und dass die Brille jederzeit richtig und bequem sitzt“, sagt Augenoptikermeisterin Eva Michelbach. Die Motivation der Kinder steige, wenn sie sich ihr Brillenmodell innerhalb einer anatomisch passenden Vorauswahl selbst aussuchen dürften. „Die Brille sollte morgens ganz selbstverständlich auf- und erst beim Schlafengehen wieder abgesetzt werden – so ist sie immer dabei und geht seltener verloren.“
Je früher bei Kindern Sehschwierigkeiten erkannt und behoben werden, umso besser. Wenn Kinder schielen, sich häufig die Augen reiben, unkoordiniert bewegen oder wenig Lust zeigen, sich Dinge länger anzusehen, sollte direkt ein Termin beim Augenarzt vereinbart werden. Im Idealfall wird das Kind dann zusätzlich von einem speziell für Kinder ausgebildeten Optometristen untersucht. Die meisten Experten sind sich einig, dass die Sehtests während der gesetzlich vorgeschriebenen U-Untersuchungen beim Kinderarzt nicht ausreichen. Der Berufsverband der Augenärzte fordert, dass die Sehfähigkeit aller Kinder spätestens im Alter von vier Jahren von einem Spezialisten durchgecheckt wird.
kizz Info
Kurzsichtigkeit nimmt global zu
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt diesen Anstieg „alarmierend“. In Deutschland ist jeder vierte Erwachsene kurzsichtig, Tendenz steigend: Die Kinder von heute sind die kurzsichtigen Erwachsenen von morgen. An vorderster Front der ansteigenden Kurzsichtigkeit steht Asien. Kein Wunder, denn nirgendwo sonst verbringen Schüler im Durchschnitt mehr Zeit am Schreibtisch. Obwohl Kurzsichtigkeit auch eine genetische Komponente hat, ist der Einfluss von Umweltfaktoren groß. Kinder, die viel Zeit drinnen verbringen, viel lesen oder auf kleine elektronische Geräte schauen, sind besonders gefährdet. Hingegen hilft es dem noch wachsenden jungen Auge, sich längere Zeit beim Schauen in die Ferne zu entspannen und möglichst viel Tageslicht zu tanken, mindestens zwei Stunden pro Tag. Auch der Leseabstand spielt eine Rolle: Bücher sollten möglichst nicht an der Nase kleben; größere Schrift und größere Displays sind deshalb besser.