Wenn man bei Google die Begriffe „Familie“, „Beruf“ und „Spagat“ eingibt, bekommt man 250 000 Treffer. Man kann sich das Bild ja auch gut vorstellen: ein Bein im Büro, wo die Besprechung mal wieder länger dauert und auf dem Smartphone der nächste Termin blinkt. Und ein Bein zu Hause, wo Spielzeugberge das Wohnzimmer blockieren, die Kinder schreien und das eh schon späte Abendessen anbrennt. Wenn dann noch eine Dienstreise dazukommt oder die Kita anruft, weil das Kind krank ist, braucht es gute Kondition und Opa, Oma oder Freundin als Stütze, um sich im Dauerspagat keine Zerrung zu holen.
Familie und Beruf irgendwie miteinander verbinden, das wollen wohl die meisten Eltern. Also einen interessanten Job, genügend Zeit mit den Kindern (und vielleicht gelegentlich als Paar oder gar allein …) bei ausreichendem Einkommen. Aber wie geht das im Alltag, und was bräuchten Eltern, damit die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit kleiner – und so die Verletzungsgefahr beim Alltagsspagat geringer wird?´
Bestandsaufnahme
Schaut man in die diversen Studien und Statistiken, scheint die Sache klar zu sein: Familien in Deutschland leben und arbeiten heute nach dem sogenannten Zuverdienermodell. Immer mehr Mütter von Kleinkindern arbeiten, aber in der Regel in Teilzeit. Die Väter arbeiten voll. Die Zahlen sind eindeutig: 69 Prozent der erwerbstätigen Mütter von minderjährigen Kindern arbeiten in Teilzeit – und sechs Prozent der Väter. Nur bei einer kleinen Minderheit von fünf Prozent haben beide Eltern einen Teilzeitjob. Väter arbeiten im Durchschnitt sogar eine Stunde pro Woche länger als Männer ohne Kinder, ein Ergebnis, das Familienforscher regelmäßig staunen lässt.
Im deutschen Vereinbarkeitsmodell der Gegenwart macht der Vater also Vollzeit plus Überstunden, die Mutter macht Teilzeit plus Haushalt und Kinder. Aber wollen Eltern das auch so? Vereinbarkeit bedeute eigentlich „Teilhabemöglichkeiten“, sagt Janine Bernhardt. Die Sozialwissenschaftlerin forscht am Deutschen Jugendinstitut in München zu Lebensführungen von Familien. Teilhabe meine für Eltern konkret „die Chance, einem Beruf nachzugehen und Zeit für die Familie zu haben.“ Und zwar „jeder für sich und gemeinsam als Paar.“
Das sehen inzwischen auch die meisten Eltern so, zumindest im Prinzip. Im aktuellen Väterreport der Bundesregierung heißt es: „Studien zeigen, dass der Wunsch nach einer partnerschaftlichen Aufteilung des Familien- und Erwerbslebens von Eltern verbreitet ist. So wünschen sich gut 60 Prozent der Eltern, deren jüngstes Kind zwischen einem und drei Jahren alt ist, dass beide Partner in gleichem Umfang erwerbstätig sind und sich gleichermaßen um Haushalt und Familie kümmern.“ Außerdem seien viele der Väter in Vollzeitstellen unzufrieden mit ihren Arbeitszeiten, sie würden sie gerne reduzieren. Allerdings nicht zu sehr: Je nach Befragung ist mal von 35 Arbeitsstunden pro Woche die Rede, mal von 38.
Ideal und Realität
Wie passt das alles zusammen? Väter wollen sich auch um Kinder kümmern. Mütter wollen auch arbeiten. Und trotzdem sitzen – Zufallsstichprobe auf einem großen Freiburger Kinderspielplatz – um 17 Uhr auf den Bänken neben Sandkasten, Rutsche und Nestschaukel 25 Frauen. Und vier Männer. Wo kommt sie her, diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, und wie ließe sie sich zumindest ein bisschen weiter schließen?
Viele Eltern sehen für sich keine praktische Möglichkeit, Beruf und Familienarbeit gleichmäßiger aufzuteilen, sagt Janine Bernhardt, obwohl sie die Idee eigentlich gut fänden. Die Männer nennen vor allem berufliche und finanzielle Gründe, die dagegensprechen. Und die Frauen sehen Probleme im Bereich von Familie und Betreuung. „Es ist für ein Paar zunächst oft rational, dass der Mann viel arbeitet und die Frau sich vor allem um die Familie kümmert“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Denn Männer verdienen meist immer noch besser als Frauen, und sie gehen erst einmal kein Karriererisiko ein, wenn sie voll weiterarbeiten und auf eine längere Elternzeit verzichten. Außerdem fördern Ehegattensplitting und Sozialversicherung dieses Modell. Also kümmert sich der Vater erst mal weiter um den Job und arbeitet sogar noch mehr als früher, wie oben erwähnt. Die Mutter erledigt die Familienarbeit und hat irgendwann wieder eine Teilzeitstelle. Und beim nächsten Kind öffnet sich die Schere zwischen Mutter und Vater noch weiter, jetzt erscheint eine gleichmäßige Aufteilung noch schwieriger. Das Modell verstärkt sich selbst, sagt Bernhardt: „Jeder wird in seinem Bereich immer besser und verliert im anderen Bereich Kompetenzen – die Mutter im Beruf, der Vater in der Familie.“
Fürsorgliche Unternehmen gefragt
Was hilft Müttern und Vätern, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, wie es doch ihr Wunsch ist? Flexible und verlässliche Arbeitszeiten, sagt Bernhardt. Vorgesetzte, die Mütter und Väter gezielt fördern, auch wenn diese zeitweise ihre Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzieren. Überhaupt eine familienfreundliche Unternehmenskultur.
Und es gibt Hoffnung: „Das Thema Familienfreundlichkeit steht ganz oben auf der Liste der Unternehmen, denn es hat unmittelbar damit zu tun, ob man heute Arbeitskräfte bekommt und halten kann“, sagt Rudolf Kast. Er war lange Personalchef eines großen südbadischen Sensorenherstellers und berät heute mittelständische Unternehmen. Wenn ein Arbeitgeber „fürsorglich“ mit seinen Mitarbeitern umgehe, mache ihn das attraktiv, sagt er. Den Arbeitnehmern gehe es um praktische Fragen: „Wann kann ich mein Kind in die Kita bringen, wann abholen, sind die Zeiten verlässlich, kann ich früher gehen, wenn das Kind krank ist, ist es auch möglich, mal von zu Hause aus zu arbeiten?“ Potenzial sieht Kast in der noch selten angebotenen Möglichkeit, die Arbeitszeit je nach Lebensphase zu reduzieren oder zu erhöhen.
Das sieht auch Janine Bernhardt so: Offenheit und Flexibilität von Betrieben helfe Paaren, das für ihre Lebensphase passende Modell zu finden. Auch die Politik sei gefordert, die Kinderbetreuung müsse weiter ausgebaut werden. Gering verdienende Eltern bräuchten finanzielle Unterstützung, um sich Teilzeitarbeit leisten zu können. Außerdem sollten sinnvolle Förderungen wie das Elterngeld ausgebaut werden. Die Wissenschaftlerin schlägt vor, die sogenannten Vätermonate von zwei auf vier oder sechs zu erhöhen.
Elternzeit nutzen
Und dann, sagt Bernhardt, sind auch die Eltern selbst dran: Sich zu überlegen, was sie wollen, einzeln und als Paar. Sich zu trauen, Möglichkeiten wie die Elternzeit zu nutzen, vielleicht gemeinsam über Arbeitszeiten nachzudenken, Kompetenzen bei der Kinderbetreuung zu teilen, auch wenn der Partner manches anders macht als man selbst.
Das wird nicht unbedingt einfacher, denn der Absprachebedarf steigt weiter; und wer in beiden Bereichen gut sein will, kann schnell das Gefühl bekommen, sowohl im Job zu wenig zu leisten als auch nicht genug entspannte Zeit mit den Kindern zu verbringen. Und doch scheint es sich zu lohnen, wie Bernhardts Untersuchungen nahelegen. „Eltern, die annähernd gleich viel arbeiten, finden das überwiegend gut und wollen das beibehalten“, sagt sie. Wer Beruf und Kinder aktiv erlebt, scheint in der Regel zufriedener mit seinem Familienleben zu sein – übrigens auch mit seiner Partnerschaft. „Letztlich geht es darum, dass Paare sich gemeinsam einen Alltag als Eltern basteln“, sagt Bernhardt. Eine manchmal anstrengende Übung ist der Spagat dann immer noch. Aber eine, die Spaß machen kann.
kizz Info
Diese Rechte haben Eltern Elternzeit
können Mütter und Väter beanspruchen, die als Angestellte arbeiten: Sie können sich in den ersten drei Lebensjahren ihres Kindes unbezahlt beurlauben lassen, wie lange, entscheiden sie selbst. Der Arbeitgeber muss nicht zustimmen, sondern nur rechtzeitig informiert werden. Nach der Unterbrechung können Vater und Mutter gesetzlich garantiert in einen gleichwertigen Job beim Arbeitgeber zurückkehren.
Elterngeld ist eine staatliche Geldleistung für Väter und Mütter eines bis zu 14 Monate alten Kindes, die in dieser Zeit nicht oder zumindest nicht in Vollzeit berufstätig sind. Das Elterngeld ersetzt einen Teil des Verdienstausfalls. Ein Elternteil alleine kann bis zu zwölf, beide können gemeinsam bis zu 14 Monate Elterngeld beziehen. Das Elterngeld Plus bietet spezielle Angebote für Eltern, die in Teilzeit arbeiten.
Brückenteilzeit ist der Anspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeitarbeit, der seit Januar 2019 gilt: Unter bestimmten Bedingungen können Arbeitnehmer – nicht nur Eltern – verlangen, dass ihre Arbeitszeit für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum von einem bis fünf Jahre verringert wird. Danach gilt wieder die vorherige Arbeitszeit. Schon länger gibt es einen Anspruch auf Teilzeit ohne Rückkehrrecht.
Einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz haben Eltern für Kleinkinder ab dem Alter von einem Jahr. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung nennt auch einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen als Ziel. Dieser soll ab 2025 gelten.