Ob ich nicht mal was über deutsche Tupperdosen auf deutschen Spielplätzen schreiben könne, hat die Chefredakteurin gefragt. Über die obligatorischen Apfelschnitze und Dinkelkekse, mit denen sich Mittelschichtsmütter das schweigende Wohlwollen anderer Mittelschichtsmütter sichern. (Subtext: „Wir sind die Guten.“, „Ja, wir achten auf die Ernährung unserer Kinder.“) Angesichts dieses Gruppen drucks, der fraglos auf allen Eltern lastet, erscheint das Mitbringen einer Tafel Schokolade schon fast als Akt der Revolution. Wer es dann noch wagt, die verpönten Süßigkeiten nicht nur an die eigenen, sondern an fremde Kinder zu verteilen – ohne die Erziehungsberechtigten um Erlaubnis zu fragen –, bringt sich beinahe in Lebensgefahr. Giftige Blicke sind jedenfalls garantiert. (Subtext: „Total verantwortungslos!“, „Absolut übergriffig!“)
Ach. Denke ich. Und dann noch mal: Ach. Eigentlich war es ganz schön, als die Sandkasten-Peergroup mein Leben bestimmte. Als wir uns noch den Mund zer reißen konnten über Eltern mit Chipstüten im Kinderwagen. Und als klebrige Kinderpfötchen, die nach unseren Obstschüsseln griffen, noch ausreichten für die mütterliche Selbstvergewisserung. (Alles richtig gemacht! Nachwuchs happy und gesund!)
Leider wird die Sache mit dem Essen mit den Jahren komplizierter. Wenn die Kinder klein sind, sorgen wir uns um den Zucker: „ Wieso hat Oma ihnen schon wieder Gummibärchen in die Hand gedrückt?“ Wenn sie größer werden, sorgen wir uns um die Vitamine: „Das Kind isst zu wenig grünes Gemüse!“ Wenn sie noch größer werden, sorgen wir uns um den Familienfrieden: „Warum gibt es bei jedem Abendessen Gemaule?“ Und werden sie noch größer, sorgen wir uns um ihr seelisches Gleichgewicht: „Was, wenn das Kind in der Grundschule gemobbt wird, weil der Babyspeck noch nicht ganz weggeschmolzen ist?“
Essen kann traumhaft sein oder zum familiären Alptraum werden
Und dann werden sie noch größer. Und wollen plötzlich Vegetarier sein. Oder Veganer. Auf einmal legen sie gar keinen Wert mehr auf gemeinsame Mahlzeiten am Tisch. Sie essen im Liegen oder im Stehen. Sie gucken dabei am liebsten auf Bildschirme („Leg doch endlich mal das Ding weg!“). Oder sie vergraben sich in ihren chaotischen Teenagerzimmern. Wo sie entweder zu viel oder zu wenig, auf jeden Fall lieber Tiefkühlpizza essen und dazu literweise Club-Mate trinken. Mittlerweile sind wir schon froh, wenn sie wenigstens die Finger von Zigaretten, Alkohol und Drogen lassen. Und – Gott sei Dank! – nicht an einer Essstörung leiden wie so viele andere in ihrem Alter.
Essen ist Liebe, Essen ist Lust. Essen ist aber auch Macht. Und Ideologie. Essen kann traumhaft sein – oder zum familiären Alptraum werden. Daher, liebe Mamas, liebe Papas, an dieser Stelle mein gewohnter Schlussappell: Wenn ihr noch am Sandkastenrand hockt und erst am Anfang dieser weiten Reise seid, dann lasst die Schokopralinen kreisen und köpft noch eine Flasche Sekt dazu (ja, auch mal am helllichten Nachmittag). So leicht wie jetzt, wo ihr über fast alles bestimmen könnt, was sich eure lieben Kleinen in den Mund stecken, wird es nie wieder.