Die Schere ist zu klein und natürlich kindersicherstumpf. Der Kleber verklebt und leer zugleich. Wo ist jetzt schon wieder der Bleistift hingerollt? Und wieso kratzt der rote Filzer so blutarm auf der Pappe? Ich könnte schon wieder alles vom Tisch fegen!
Wir wurden herbestellt, ich hatte keine Wahl. 12 852 Tage, nachdem ich als Kind die Kindergartentür das letzte Mal hinter mir zugeschlagen habe, sitze ich wieder auf einem Holzstühlchen und fühle Verzweiflung aufsteigen. Warum klappt bei dem Mädchen, Pardon, der erwachsenen Frau neben mir alles reibungslos? Wieso sieht ihr dreidimensionales, halbtransparentes Deko- Objekt (aka Laterne) schon jetzt so formvollendet und stilvoll aus wie aus einem Manufactum-Katalog? Während mir nicht mal ein rechter Winkel, geschweige denn eine saubere Kante geglückt ist?
Ich muss tief durchatmen: Astrid, nicht schlimm. Nicht jeder ist ein Kreativtyp. Nicht alle haben ein Gespür für Farben oder ein Händchen für Materialien. Du kannst nicht malen, nicht zeichnen, nicht modellieren, aber du kannst andere Dinge. Lesen, Schreiben, Kopfrechnen zum Beispiel. Ja, stimmt, nur fragt danach gerade leider niemand. So wie auch niemand fragt, ob uns berufstätigen Müttern diese regelmäßig anberaumten Bastelnachmittage mit Kleinkindern Freude machen. Ob wir überhaupt Zeit haben – oder einen halben Urlaubstag dafür opfern müssen. Wenn wenigstens jemand mit einem Tablett voller Cappuccino vorbeikommen würde. Stück Sahnetorte wäre auch fein. Serviert von einem jungen, Kellner mit engem T-Shirt und gut definierter Schulterpartie ...
Jetzt fällt mir wieder ein, was ich gut kann und gerne mache: feministische Reden schwingen! Apropos: Wo sind denn hier eigentlich die Papas? Morgens sehe ich sie, wie sie einhändig- lässig die Kinderwagen über die Bürgersteige schieben. Nur nachmittags, wenn wir Mamas das Après-Kita- Programm starten, haben sie sich in irgendwelche Löcher verkrochen.
So kann das nicht weitergehen. Männer, raus aus euren Verstecken, ran an die Laternen! Wir Frauen streiken nämlich jetzt. Genug geschnippelt! Auch uns ist das geduldige Basteln nicht in die Wiege gelegt worden. Die meisten von uns haben es sich in jahrelangem Selbststudium notgedrungen angeeignet. ES LIEGT NICHT IN UNSEREN GENEN. Genauso wenig wie es in euren Genen liegt, dass ihr euch immer geschickt wegduckt, wenn’s um die weniger spaßigen Aspekte der Elternschaft geht. Und wir wollen nicht vom Thema Wäsche und Einkauf anfangen ...
Hoppla. Ich habe gar nicht bemerkt, dass die Bastelstunde fast zu Ende ist. Die ersten packen zusammen. Nur ich habe immer noch kein Resultat vorzuweisen. Was soll nur werden aus meinem armen Kind? Großgezogen von einer Mutter ohne haptische Soft Skills. Vielleicht demnächst noch gemobbt und ausgelacht, weil die Laterne beim ersten Windstoß auseinanderfällt. Hilfe heischend suche ich den Blickkontakt zum pädagogischen Fachpersonal. Äh, habt ihr nicht Lust, das fix für mich fertig zu machen? Die Erzieherin lächelt ermutigend zurück. „Sieht doch schon ganz toll aus.“ Dann reicht sie mir das Glanzpapier.