Paulina und Leyla haben mal wieder Spaß. Eigentlich hatte Paulinas Mutter den beiden Dreijährigen Papier und Fingerfarben hingelegt. Doch Paulina fand es witziger, der Freundin die Farbe ins Gesicht zu schmieren. Leyla revanchierte sich umgehend und jetzt sitzen die beiden im Kinderzimmer und biegen sich vor Lachen: „Grüne Monster!“ Paulinas Mama befördert das Duo kurzentschlossen in die Badewanne, was die Mädchen noch großartiger finden: „Meer-Monster!“ Kann es etwas Schöneres geben als einen so ausgelassenen Nachmittag mit der besten Freundin?
Kinder, selbst die Jüngsten, können tolle Freundschaften erleben. Eine emotionale Nähe zu Spielkameraden, mit denen es irgendwie anders ist: einfacher, wilder, harmonischer oder alberner als mit anderen Kindern. Manchmal staunen Eltern darüber, wie groß und tief diese außerfamiliären Bindungen werden können. Denn viel reden tun die Kleinen eigentlich nicht miteinander. Was macht dann den Kern ihrer Freundschaft aus?
„Es geht um Interaktion“, erklärt Hannah Perst, die an der Technischen Universität Braunschweig am Institut für Pädagogische Psychologie forscht. „Lustvolles Spiel“ nennen Entwicklungspsychologen diesen Zustand. Die Kinder sind für Dialoge, wie man sie aus Erwachsenenfreundschaften kennt, zwar noch zu klein, das heißt aber nicht, dass sie nicht miteinander kommunizieren. „Sie verständigen sich durch Berührungen, durch Anlachen oder durch gemeinsame Bewegung“, sagt Perst.
Kontakt auf Augenhöhe
Das alles macht ihnen nicht nur Freude, sondern ist enorm wichtig für die kindliche Entwicklung. Da sind sich WissenschaftlerInnen seit vielen Jahren einig. Denn der Umgang mit gleichaltrigen Freunden schult die kognitiven ebenso wie die sozialen und emotionalen Fertigkeiten. „Durch Freundschaften lernen Kinder, sich auf andere einzulassen und in andere hineinzuversetzen.“ Auch und gerade wenn beim Spielen Konflikte entstehen und gelöst werden müssen. Denn anders als zu Hause, wo die Geschwister jünger oder älter sind, agieren die Kinder mit Gleichaltrigen aus ihrer Peergroup auf Augenhöhe. Dass es dabei regelmäßig knallt, sei ganz normal, betont Perst. Mit drei Jahren beginnen Kinder, die Wörter „Freund“ und „Freundin“ aktiv zu benutzen – und damit zu argumentieren. „Du bist nicht mehr mein Freund, ich lade dich nicht zu meinem Geburtstag ein!“ So klingen Drohungen zwischen zerstrittenen Kindergartenkindern. Perst rät, solche Aussagen nicht allzu ernst zu nehmen. Anders als bei Erwachsenen seien Kinderfreundschaften generell weniger langlebig und stabil. Zwar könnten sie durchaus mehrere Monate oder länger aufrechterhalten werden, „aber das kindliche Empfinden, die Beurteilung wechselt mehrfach.“
Raum für Freunde schaffen
Trotzdem haben Eltern durchaus Einfluss darauf, ob ihre Kinder leicht Freundschaften schließen. Man unterscheidet dabei zwischen indirekten und direkten Faktoren. Bei den indirekten Einflüssen spielen Beziehungsmuster und Erziehungsstil der Eltern eine entscheidende Rolle: Was leben die Erwachsenen im Alltag vor? Modell lernen heißt das in der Entwicklungspsychologie: „Wie erziehe ich mein Kind, wie kommuniziere ich, wie einfühlend bin ich – all das wirkt sich darauf aus, wie mein Kind mit anderen interagiert“, sagt Hannah Perst. Je sicherer Kleinkinder gebunden sind, desto leichter knüpfen sie später Freundschaften.
Direkten Einfluss auf die Freundschaften ihrer Kinder können Eltern nehmen, indem sie Raum für Begegnungen mit Gleichaltrigen schaffen. Verabredungen treffen oder gemeinsam mit anderen Familien die Nachmittage oder Wochenenden verbringen. „Wir wissen aus der Forschung, dass Kinderfreundschaften entscheidend vom unmittelbaren, regelmäßigen Kontakt abhängig sind“, erklärt Perst.
Kinder sind verschieden – und wählerisch
Auch bei Paulina und Leyla waren es äußere Umstände, die sie zusammenbrachten. Beide Mütter sind alleinerziehend und leben im gleichen Haus. Über die Jahre haben sich die Nachbarinnen angefreundet, helfen sich oft gegenseitig aus und springen gegenseitig als Babysitter ein. Einmal waren die vier sogar zusammen im Urlaub. „Solche Konstellationen sind toll, aber nicht planbar“, sagt Perst. Denn selbst wenn es aus elterlicher Sicht perfekt passen würde – die Kinder haben ihre eigenen Vorlieben. Da kann es auch passieren, dass dem Nachwuchs von Mamas oder Papas bestem Freund offene Abneigung entgegenschlägt. „Kinder zeigen schon sehr früh, mit zwölf bis 18 Monaten, Vorlieben für Persönlichkeitszüge und bestimmtes Spielverhalten.“ Daher lasse sich vieles organisatorisch einfädeln, aber nichts emotional erzwingen, meint Perst. Dazu sind die Kleinen zu wählerisch.
Außerdem sind ihre Bedürfnisse verschieden. Wo das eine Kind sich am liebsten jeden Nachmittag nach dem Kindergarten noch zum ungestümen Spiel verabreden möchte, sehnt sich das andere Kind nach Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten. Die jeweiligen Charaktereigenschaften zeigen sich früh. Perst empfiehlt deshalb, das eigene Kind genau zu beobachten: Wie viel Zeit für die Freundschaftspflege wünscht es sich? Wann wird es dem Kind zu viel? „Es gibt Kinder, die spielen gerne alleine und brauchen nur ab und zu jemanden bei sich.“
Trost und Rat durch die Eltern
Ganz anders liegt der Fall, wenn das Kind immer wieder über fehlende Freunde klagt oder oft erzählt, es werde im Kindergarten beim Spielen ausgeschlossen. Solche Situationen belasten die Kinder sehr und sollten von den Eltern auf jeden Fall ernst genommen werden, meint Perst. Sie rät, sich gemeinsam mit dem Kind auf die Suche nach den Ursachen zu machen. „Dabei kann es sehr hilfreich sein, die ErzieherInnen zu befragen, was in der Kita vorgefallen ist.“ Auch wenn sich die missliche Situation vielleicht nicht unmittelbar verbessern lässt – niemand kann einen besten Freund einfach aus dem Hut zaubern –, helfen die tröstenden Worte und die Ratschläge, die die Kinder zu Hause bekommen. Mit verständnisvollen Eltern im Rücken lässt sich auch eine freundschaftsarme Zeit für eine Weile überbrücken.
Leyla und Paulina müssen sich solche Sorgen derzeit nicht machen. Ihre Freundschaft hält jetzt schon ziemlich lange. Sicher auch, weil sich die Mädchen in Temperament und Einfallsreichtum so ähnlich sind. Neulich erst ist Leyla frühmorgens, während ihre Mutter unter der Dusche stand, unbemerkt aus der Wohnung geschlichen. Ihrer Mutter sitzt der Schreck immer noch in den Gliedern. Dabei wollte Leyla gar nicht weit. Nur eine Treppe höher, bei Freundin Paulina klingeln. 1
Wenn der beste Freund wegzieht ...
oder aus anderen Gründen plötzlich aus dem Leben eines Kindes verschwindet, kann das zu großer Trauer führen, die durchaus einige Zeit anhält. „Die Kinder haben dann wirklich Kummer“, sagt Hannah Perst. Viele weinen auch immer wieder. Die Wissenschaftlerin empfiehlt, den Verlust nicht totzuschweigen und das Thema auch nicht zu bagatellisieren. Selbst wenn die Eltern die Situation nicht ändern können, sollten sie Trost spenden und, wenn möglich, den weiteren Kontakt der Freunde unterstützen. „Man kann Briefe an den abwesenden Freund schreiben oder im Kinderzimmer Fotos von ihm aufhängen.“ Von der elterlichen Suche nach einem schnellen Beste-Freund- Ersatz rät sie ab, das bringe meist wenig. Mit der Zeit lasse die Trauer nach und die Kinder würden wieder offener für neue Begegnungen und Freundschaften.
kizz Buchtipp
Nora Imlau: Freundschaft. Wie Kinder sie erleben und Eltern sie bestärken können, Beltz 2014, € 12,95