Next Level

21 Jahre lange zieht unsere Kolumnistin ASTRID HERBOLD schon Kinder groß, sieben Jahre lang hat sie für kizz aus ihrem Alltag berichtet. Nun ist Schluss

Next Level
© Daniela Kohl

Das Wohnzimmer gehört mir schon lange nicht mehr, es wurde vor zwei Jahrzehnten von einem sabbernden Baby und seinem bunten Rasselgedöns erobert. Auf Babydecke folgte Schaukelpferd, auf Lego Duplo bald die Carrerabahn. Neuerdings ist der Fernseher mit der Playstation verheiratet.
Den Esszimmertisch übernahmen vor 15 Jahren die Schulkinder; bis heute sitzen sie hier jeden Nachmittag über den Bücherbergen und kauen an ihren Füllern.
Die Kontrolle über die Küche, lange elterlicher Rückzugsort, verlor ich vor etwa sieben Jahren, damals entdeckte die Älteste ihre Lust am kulinarischen Experiment; mittlerweile hat die Mittlere sie abgelöst. Auch der Jüngste schaut schon interessiert in die Pfannen. Muss ich erwähnen, dass außer den beiden unbelehrbaren „Boomern“ niemand im Haushalt mehr Fleisch isst?
Zwei meiner drei Kinder sind mittlerweile größer als ich. Es läuft eine Wette, dass ich spätestens 2021 die Kleinste zuhause bin. Meinem Sohn fehlen noch vier Zentimeter. Mama schrumpft. Die Kinder wachsen.
Manchmal stehe ich staunend vor ihnen: Wie selbstständig, wie kritisch sie geworden sind. Ich blicke in die Gesichter meiner Kinder und sehe die nächste Generation in den Startlöchern, buchstäblich. Wieso ging das so schnell? Wo sind die Würmchen geblieben, die Papa und Mama aus ihren Bettchen die dicken Ärmchen entgegenstreckten? Dass meine Kinder sich zunehmend von mir „emanzipieren“, dieser Gedanke traf mich das erste Mal mit voller Wucht, als ich den letzten Kindersitz von meinem Fahrrad abgeschraubt habe. Krass, die brauchen mich künftig gar nicht mehr für ihr Fortkommen – die navigieren jetzt ohne Mama durch die Straßen! Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich mich das alles macht. Auch wenn es bedeutet, dass ich langsam in den Hintergrund trete.
Auf diese Metapher komme ich übrigens nicht zufällig. Dieser Text entsteht am Katzentisch, genauer gesagt im Schlafzimmer, während nebenan die Geschwister mit Freundinnen und Freunden Pancakes nach einem TikTok- Rezept zubereiten. Drüben ist es laut, hier klingen die Stimmen gedämpft. Niemand (!) stört mich. Der nächste Lebensabschnitt – die Phase des Empty- Nest-Syndroms – wirft leise seinen Schatten voraus. Wie wird es sein, in ein paar Jahren nicht mehr morgens um halb sieben Stullen für die Schule schmieren zu müssen? Wie wird es sein, wenn man nachmittags vom Büro nach Hause eilt, und keiner ist da? Wie wird es sich anfühlen, wenn Freiheit und Selbst bestimmung, denen man stets heimlich nachgetrauert hat, wieder Einzug halten ins mütterliche Leben? Die Elternschaft beginnt mit einem Knall, von null auf hundert. Heute noch strahlende Schwangere, morgen schon Augenringe und Gefühlsachterbahn im Wochenbett. Jahrelang hatte mich das Gefühlschaos – Überforderung, Glückseligkeit, Erschöpfung, Angst, Dankbarkeit, Unsicherheit – fest im Griff. Aber nach und nach, man merkt es anfangs kaum, lässt der Druck nach. Der simple Grund: Die Kinder sind auf dem besten Weg, erwachsen zu werden. Meine schützende, haltende, helfende Hand wird gar nicht mehr ständig gebraucht.
„Mama!“, brüllt es in diesem Moment aus der Küche, „Wo ist der Puderzucker?“
„Linker Schrank, mittlere Schublade, neben den Linsen.“
Meine Tochter steckt den Kopf durch die Tür: „Pancakes sind fertig, willst du auch welche?“ Ich nicke lächelnd.
„Klar, gerne.“
„Sind aber vegan.“

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