Einigkeit in Erziehungsfragen Papa hat's aber erlaubt!

Eltern dürfen ruhig verschiedener Meinung sein, wenn ansonsten die Linie in der Erziehung stimmt

Papa hat's aber erlaubt
© olesiabilkei - iStock

Unsere Tochter nahm ihre Farben und begann die Wand im Wohnzimmer zu bemalen. Ich fand das nicht so schlimm“, erinnert sich Esther Wilke*. „Aber der Vater des Kindes fing gleich an zu schimpfen, zog die Kleine weg und hielt ihr eine lange Standpauke, dass man das nicht machen dürfe“. Häufig habe es Streit um die Regeln fürs Kind gegeben, berichtet die Potsdamer Kulturmanagerin.
Kindererziehung birgt Konfliktpotenzial. Da ist zum einen die Frage nach dem generellen Erziehungsstil, wie bei Esther Wilke. Aber es gibt auch die alltäglichen Fragen: Wann soll das Kind ins Bett gehen? Was darf es schon alleine machen? Wie viel Medienzeit erlauben wir? Oft geraten junge Eltern in Streit darüber, was das Beste für den Nachwuchs ist.

Jeder hat andere Erfahrungen

„Das ist in meiner Praxis ein Riesenthema“, sagt die Weimarer Paartherapeutin Marga Bielesch. Jeder Mensch bringt aus seiner Kindheit eigene Erfahrungen mit: Der eine wiederholt den Erziehungsstil seiner Eltern, oft unbewusst. Andere grenzen sich von Methoden ihrer Herkunftsfamilie bewusst ab, weil sie diese als besonders unangenehm oder sogar leidvoll erinnern. In einer Beziehung ohne Kinder sind diese Prägungen vielen Menschen nicht bewusst. Aber spätestens, wenn sich der Nachwuchs einstellt, kommen sie ans Licht. Dass die Unsicherheit groß ist, zeigt schon ein Blick auf den Buchmarkt: Fast monatlich erscheinen neue Ratgeber, für Anhänger aller Erziehungsstile ist etwas dabei.
„Da darf eine junge Familie auch ruhig erst ihren Weg finden“, lautet Bieleschs Rat. Die Partner sollten über ihre Vorstellungen sprechen, Erfahrungen des anderen ernst nehmen und am Ende Kompromisse finden. Grundlegende Fragen helfen bei der Orientierung: Welche Haltung haben wir zu Kindern? Wie soll unser Kind aufwachsen? Wie viel Halt und wie viel Freiheit wollen wir ihm geben? Was wollen wir unserem Kind mitgeben?
Gegenseitige Vorwürfe im Stil von „Du bist viel zu weich!“ oder „Du bist zu streng!“ helfen dagegen nicht weiter. Sie führen dazu, dass sich die Partner voneinander entfernen. Und sie erschweren es, Lösungen zu finden, mit denen beide Seiten leben können. „Wenn die Erziehungsvorstellungen total verschieden sind, wird es immer Probleme geben“, warnt die heilkundliche Psychotherapeutin.

Wer Konflikte in den ersten, oft sehr anstrengenden Jahren vermeiden will, kann solche Themen schon in der Schwangerschaft besprechen. Wenn man in dieser Phase klärt, wer wann Elternzeit nimmt, kann man auch Erziehungsfragen diskutieren – und dabei den Vorstellungen des anderen entgegenkommen. Ein guter Weg besteht darin, nicht streng nach Lehrbuch einem bestimmten Erziehungsstil zu folgen, sondern verschiedene Elemente, die einem zusagen, zu verbinden. Ohnehin dürfen Eltern ruhig ihrem Bauchgefühl statt den Vorgaben eines Ratgebers folgen, rät Bielesch: „Dem Kind schadet das nicht, solange die Eltern im Sinne einer bindungsorientierten Haltung am gleichen Strang ziehen.“

Unterschiedliche Meinungen sind okay

Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, dass Eltern in jeder Lage einheitlich entscheiden sollten. Auch Paartherapeutin Bielesch rät davon ab, dass ein Elternteil gegen das andere spricht. „Das verunsichert das Kind und stürzt es in einen Loyalitätskonflikt“, sagt sie. Das heißt aber nicht, dass beide Elternteile immer identisch entscheiden müssen. Väter sollten akzeptieren, wenn das Kind unterwegs mit der Mutter vielleicht eine Kugel Eis mehr essen darf. Und Mütter sollten sich nicht darüber beklagen, wenn das väterliche Abendritual anders aussieht als das eigene. Nur darf die Extraportion Eis nicht verheimlicht werden, nach dem Motto: Aber Papa nichts verraten. „Das bringt Kinder in einen innerlichen Konflikt, mit dem sie nicht umgehen können“, sagt Bielesch.
Kinder kommen mit verschiedenen Verhaltensweisen der Erwachsenen ohnehin relativ gut klar. „Sie müssen ja lernen, dass es Unterschiede zwischen den Menschen gibt“, erklärt Sabina Pauen. Die Professorin für Entwicklungspsychologie und biologische Psychologie an der Universität Heidelberg weist aber auch darauf hin, dass Kinder nicht das Gefühl bekommen sollten, ein Elternteil gegen das andere ausspielen zu können. Wenn Eltern unterschiedlicher Meinung sind, dürfen sie dies vor dem Kind auch zeigen – natürlich auf respektvolle Weise. Dann nimmt der Nachwuchs gleich die Erfahrung mit, dass man Konflikte lösen kann. „Wichtig ist aber, dass am Ende wirklich eine Einigung steht“, sagt Pauen. Sind sich die Eltern unsicher, ob sie in der Streitfrage einen Kompromiss finden, sollten sie das Gespräch auf eine Zeit verschieben, in der das Kind nicht dabei ist.
Ohnehin gefährdet elterlicher Streit die kindliche Entwicklung nicht per se. „Der Dissens ist nicht das Gift, sondern die negativen Emotionen in einem unerbittlich geführten Streit“, erklärt Pauen. „Deshalb brauchen Eltern immer auch eine gute Portion Gelassenheit.“ Die Entwicklungspsychologin warnt davor, in einer Partnerschaft jeden Konflikt immer voll auflösen zu wollen. „Aber fürs Kind muss am Ende eine klare Linie herauskommen.“

Wenn eine Paarkrise dahintersteckt

In einem heftig geführten Streit um die Erziehung können sich auch andere Partnerschaftsprobleme zeigen – mangelnder Respekt voreinander etwa oder andere schwelende Konflikte. Wer das bemerkt, sollte sich Hilfe zum Beispiel in einer Paartherapie suchen. Das rettet eventuell nicht nur die angeschlagene Beziehung zum Partner, sondern bewahrt auch den Nachwuchs vor Entwicklungsstörungen. „Wenn Kinder Partnerschaftsprobleme der Eltern austragen müssen, drohen seelische Schäden“, sagt Pauen. Das könne sich zum Beispiel in einer größeren Unsicherheit später bei der Erziehung des eigenen Nachwuchses auswirken. Oder die betroffenen Kinder sind später selbst nicht in der Lage, Konflikte gut zu lösen.
Kulturmanagerin Wilke und ihrem Freund gelang es nicht, sich auf gemeinsame Linien in der Erziehung zu einigen. Das Paar trennte sich, als die gemeinsame Tochter drei Jahre alt war. Aber auch nach einem solchen Einschnitt gilt es, die Auffassungen des ehemaligen Partners zu respektieren. „Wenn das Kind beim Vater ist und länger aufbleiben darf als bei der Mutter, sollte das akzeptiert werden“, sagt Paartherapeutin Bielesch. Die Grenze verläuft da, wo sich Probleme fürs Kind ergeben – etwa dann, wenn das Kind unter Schlafmangel leidet: „Dann muss man das aushandeln und klären im Sinne des Kindes.“
Noch komplexer ist die Situation, wenn einer oder beide Partner beziehungsweise Partnerinnen neue Beziehungen eingehen und die neuen Menschen an ihrer Seite vielleicht sogar selbst Kinder mitbringen. „Patchwork braucht vor allem eines: Zeit“, rät Paartherapeutin Bielesch. Das liegt primär an den vielen Beteiligten: alte und neue Paare sowie die Kinder aus den unterschiedlichen Beziehungen. Sie alle sollten sich regelmäßig auf einer sachlichen Ebene austauschen. Dann können Unstimmigkeiten ausgeräumt werden, bevor sie eskalieren. Bielesch mahnt: „Erwachsene müssen sich da ein Stück weit zurücknehmen können und die eigenen Gefühle unter Kontrolle haben im Interesse der Kinder.“ 

*Name geändert

Eltern sollten Kinder nicht in Loyalitätskonflikte bringen

kizz sprach mit Sabina Pauen, Professorin für Entwicklungspsychologie und biologische Psychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Müssen Eltern in der Erziehung immer einer Meinung sein?
Sabina Pauen: Kein Paar ist sich immer hundertprozentig einig. Es gehört auch zum Elternsein, mit den Vorstellungen des Partners umzugehen. Wer verschiedener Meinung ist, darf das auch vor den Augen des Kindes diskutieren. Am Ende sollte allerdings ein Kompromiss stehen. Dann macht der Nachwuchs die positive Erfahrung, dass Meinungsverschiedenheiten im respektvollen Umgang gelöst werden können.

Beeinträchtigt es die Entwicklung der Kinder, wenn Eltern in Alltagsdingen verschiedener Auffassung sind und entsprechend unterschiedlich mit dem Kind umgehen?
Kinder verstehen, dass es Unterschiede zwischen den Menschen gibt. Sie lernen schnell, dass sie bei Oma vielleicht mehr Süßigkeiten essen dürfen als zu Hause. Nur im Alter zwischen etwa drei und fünf Jahren achten sie zuweilen sehr strikt darauf, dass Regeln eingehalten werden. Darauf sollten die Eltern eingehen, denn das ist eine wichtige Lernphase für normatives Handeln.

Wie weit dürfen Differenzen über den allgemeinen Erziehungsstil gehen?
Eltern sollten sich grundlegend auf eine Art der Erziehung einigen, damit sie von ihren Kindern als Einheit erlebt werden können. Sonst kommt der Nachwuchs in Loyalitätskon.ikte oder schlägt sich auf eine Seite. Es ist für Kinder verwirrend zu erfahren, wenn die Mutter in wichtigen Dingen das Gegenteil dessen entscheidet, was der Vater sagt – oder umgekehrt. Dann wissen Kinder nicht, woran sie sind.

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