Frau Pommer, was genau verstehen Sie unter dem Begriff MomShaming?
Es geht um Mobbing gegen Mütter. Wann immer Frauen aufgrund ihrer Mutterschaft soziale oder wirtschaftliche Benachteiligung erfahren, harsche und ungerechtfertigte Kritik erhalten oder ungebetene und übergriffige Ratschläge, geht es um MomShaming.
Ist das ein Phänomen der heutigen Zeit?
Mütter im 21. Jahrhundert sind zerrissen zwischen eigenen und gesellschaftlichen Perfektionsansprüchen und absurden Zielen: Der werdenden Mutter soll man die Schwangerschaft nicht anmerken. Dann wird erwartet, dass sie stets gut gelaunt und top fit ist. Natürlich hat sie auch einen engagierten Ehemann, der ihre Emanzipation mag und einen „soften“ Feminismus unterstützt. Er nimmt sich ohne Frage Elternzeit, wickelt, wo immer er kann, und steht mit dem Tragetuch auf dem Spielplatz. Sie arbeitet, aber nicht zu viel, denn sonst wäre sie eine Rabenmutter. Sie ist aber auch nicht nur bei den Kindern zu Hause, denn dies wäre eine Art „Schmarotzerdasein”. Sobald die Mutter von heute jedoch diese Klischees nicht erfüllt, beginnt das MomShaming. Man wirft ihr vor, dass sie einfach ihr Ding macht, die Ordnung der Familie durcheinanderbringt, unmoralisch lebt oder sich Ausschweifungen hingibt.
Welche eigenen Erfahrungen haben Sie dazu veranlasst, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe in meinem Leben den Mainstream verlassen. MomShaming wurde deshalb zu meinem alltäglichen Begleiter.Angefangen hat es damit, dass ich mit 18 Jahren schwanger wurde. Mein Abitur absolvierte ich dann mit meiner Tochter im Tragetuch. Was musste ich mir von meinem Mathelehrer anhören: „Eine Mutter macht bei mir kein Abitur”! Er ließ mich die Prüfung erst beim dritten Anlauf bestehen und das nicht, weil ich eine schlechte Schülerin war, sondern aus Prinzip. Ich bot immer wieder eine breite Angriffsfläche für MomShaming, weil ich keinen Klischees entsprach und vier weitere, großartige Kinder von drei Vätern bekam. Darüber hinaus bin ich eine erfolgreiche Unternehmerin, habe eine Praxis und bekam Familie und Beruf von Anfang an unter einen Hut. Oft wurde ich – vor allem von Frauen – gefragt: „Wie macht man das eigentlich, fünf Kinder und zwei Unternehmen? Schiebst du die Kinder ab oder managt dein Mann alles?”
Warum gehen gerade Mütter miteinander so hart ins Gericht?
Das Schubladendenken ist eben weit verbreitet. Sobald Mütter versuchen, gesellschaftlich etwas zu verändern, sich zum Beispiel für mehr Teilzeitjobs einsetzen, bekommen sie zu hören: „Warum beschwerst du dich? Du hättest ja keine Kinder bekommen müssen!” Oder: „Wenn du deine Kinder wirklich lieben würdest, würdest du den Verzicht gerne in Kauf nehmen.” Das raubt einer Mutter den Atem! Deshalb schweigen viele und reden wenig über Benachteiligungen und MomShaming. Hinzu kommt, dass durch die sozialen Medien immer mehr unterschiedliche Meinungen und Erziehungsansichten im Umlauf sind. Das verunsichert und manch eine Frau stellt ihre eigene Intuition und mütterliche Kompetenz infrage.
Woher kommt dieser hohe Leistungsanspruch?
Im Grunde ist Vergleichen und Bewerten nichts Verwerfliches, sondern zutiefst menschlich. Das Problem liegt aber darin, dass viele den Maßstab der anderen zu ihrem eigenen machen und dadurch immer mehr an ihrer Kompetenz zweifeln. Wenn zum Beispiel eine Frau denkt: Meine beste Freundin hat in der Klinik entbunden. Das sollte ich auch tun, obwohl mir eine Hausgeburt lieber wäre. Oder wenn Mütter aus gesundheitlichen Gründen nicht stillen können und sich deshalb mies fühlen. Oder wenn sie sich beim dem Thema Impfen massiv verunsichern lassen: Die einen raten dazu, die anderen warnen davor. Das führt dazu, dass Mütter an ihren Entscheidungen zweifeln oder sich permanent rechtfertigen. Im schlimmsten Fall kann das alles zu Depressionen führen.
Vergleichen sich Mütter heute mehr als früher?
Ja. Die Digitalisierung hat wesentlich dazu beigetragen. Früher gab es einen kleinen Kreis von Bekannten, die man um Rat gefragt hat. Heute gibt es „Dr. Google“, Mütter-Apps, Mama-Blogs und Instagramprofile. In den Social-Media-Kanälen ist die Hemmschwelle, jemanden negativ zu bewerten, niedrig und es hagelt schnell Hasskommentare, sobald es um Themen wie Stillen, Kita oder Impfen geht.
Was raten Sie Frauen, um mit MomShaming souveräner umgehen zu können?
Auf jeden Fall ist es wichtig, Müttermobbing direkt anzusprechen und seine Gefühle und Wünsche darzulegen. Wer dauerhaft negative Emotionen runterschluckt, kann psychisch krank werden. Außerdem helfen eine gesunde Portion Humor und uns bewusst zu machen, dass es eben unzählig viele Meinungen gibt. Ein Gedankenspiel: Wenn wir uns vorstellen, wir stehen einer anderen Mutter mit einer konträren Meinung gegenüber und zeichnen auf den Boden vor uns die Zahl 6. Was sieht sie? Eine 9. Jetzt gibt es die Möglichkeit, ewig zu debattieren, oder die Perspektive zu wechseln und zu erkennen, dass jeder eine andere Sicht auf die Dinge hat. Das zu erkennen, entlastet enorm. Es geht darum, den eigenen Weg zu finden und für sich zu entscheiden, woran man sich orientieren möchte.
Es sind ja nicht nur die anderen, die Kritik üben, es ist auch der eigene innere Kritiker, der sich meldet. Wie kann man ihm begegnen?
Die eigene kritische Stimme ist meistens genauso belastend wie jene Stimmen, die von außen auf uns einprasseln. Es hilft, einen Schritt zurückzutreten, Abstand zu finden, tief ein- und auszuatmen und sich zu fragen: Was muss passieren, damit ich mich als Mama gut und glücklich fühle? Je komplizierter die Antwort ausfällt, umso wahrscheinlicher ist es, dass da schlechte Gefühle mitschwingen. Zum Beispiel: Ich fühle mich als Mutter dann gut, wenn meine Kinder mir täglich sagen, dass sie mich lieben, sie nie unglücklich sind, tolle Noten und mindestens fünf gute Freunde mit nach Hause bringen. Wenn sie ein Instrument spielen und interessante Hobbys haben. Mein Haus aufgeräumt ist, das Essen, das ich koche, jedem schmeckt, und ich ausreichend Geld verdiene, um niemandem auf der Tasche zu liegen. Schon beim Lesen fühlt man den Stress, nicht wahr? Es ist kaum möglich, all diesen Ansprüchen gerecht zu werden, vor allem, weil sie auch von äußeren Gegebenheiten abhängen.
Meine Großmutter, eine wunderbare Frau und Mutter, sagte: „Ich bin happy, wenn ich morgens über und nicht unter der Erde aufwache und für die Menschen sorgen kann, die ich liebe.” Ihr Mutterglück war sehr einfach und sie erledigte täglich, was sie erledigen konnte, und mehr ging eben nicht.
Das Gespräch führte Birgit Weidt.