Sie sei so unglücklich mit der Kita ihrer Tochter, schreibt eine Mutter im Internetforum einer großen Frauenzeitschrift: Es fehle in der Einrichtung an Wärme und Heiterkeit, insbesondere eine Erzieherin motze die Kinder dauernd an. Am Ende des Eintrags bittet die Mutter um Rat: Was soll sie tun? Mit der Leitung reden? Die Einrichtung wechseln?
Mit einer Beschwerde in der Kita tun sich die allermeisten Eltern nicht leicht. Man möchte vielleicht keiner Fachkraft auf die Füße treten oder zu diesen komplizierten Eltern gehören, die ständig ankommen und irgendetwas wollen. Manchmal schleichen sich Zweifel ein, ob man die Situation überhaupt richtig interpretiert hat. Und außerdem hat man doch so lange gewartet, um den Wunsch-Kitaplatz zu bekommen. Soll man die Einrichtung jetzt wirklich in Frage stellen?
Beschwerden sind keine Angriffe
„In unserer Gesellschaft haben wir, was die Beschwerdekultur bei Dienstleistungen anbelangt, noch einiges aufzuholen. Das betrifft alle Bereiche, nicht nur den Bereich Bildung und Erziehung. Aber der ist natürlich besonders sensibel, weil es um die eigenen Kinder geht“, sagt Ludger Pesch, Professor für Erziehungswissenschaft an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und Direktor des Pestalozzi-Fröbel- Hauses (PFH). Das PFH ist Träger einer Erzieherfachschule und mehrerer Kindertagesstätten und Horte.
„Machen Sie es den Eltern leicht, eine Beschwerde zu äußern“, rät Pesch pädagogischen Fachkräften. „Sehen Sie diese nicht als Kritik an Ihrer Person, sondern als Ausdruck einer enttäuschten Erwartung und als Gelegenheit, über diese Erwartung ins Gespräch zu kommen.“ Denn schließlich überließen Eltern den liebsten Menschen, den sie haben – ihr Kind – fremden Menschen. „Das erfordert in erster Linie Vertrauen, und dieses Vertrauen wird nachhaltig erschüttert, wenn Beschwerde und Kritik, egal ob sie berechtigt oder unberechtigt sind, nicht ernst genommen und gehört werden“, so Pesch, der selbst lange eine Kindertagesstätte geleitet hat.
Wenn sich Eltern beschweren, dann gehe es den meisten „um alltagspraktische Dinge, also ob die Kinder geschlafen haben, genügend warm angezogen waren oder das Richtige gegessen
haben“. Diese Einschätzung deckt sich mit der Studie der Erziehungswissenschaftlerin Tanja Betz von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zur Zusammenarbeit von Kitas und Familien.
Dabei wurden exemplarisch vier Kitas ein Jahr lang beobachtet sowie Eltern und Fachkräfte befragt. Ein Ergebnis ist, dass Eltern deutlich weniger oft von Spannungen mit den Fachkräften berichten als das umgekehrt der Fall ist. Die Mehrheit der befragten Väter und Mütter zeigte sich im Großen und Ganzen zufrieden mit den Einrichtungen, allerdings wünschen sich über die Hälfte deutliche Verbesserungen in der Kommunikation. Drei andere Kritikpunkte tauchen auch noch häufiger auf: Öffnungszeiten, die sich nicht mit den Arbeitszeiten der Eltern decken, zu wenig Personal sowie fehlende Angebote oder Vorschulprogramme.
Keine Angst davor, Sorgen zu äußern
Heikel wird es, wenn Eltern das Gefühl haben, dass ihr Kind in der Kita nicht gut behandelt wird. Sich im Elternnetzwerk oder in der WhatsApp-Gruppe darüber austauschen, ist die eine Sache, Fachkräfte offen darauf anzusprechen, eine andere. Diese Erfahrung hat auch Anna Sophie Pietsch gemacht. „Viele Eltern trauen sich leider nicht, etwas zu sagen, weil sie Angst davor haben, dass eine Beschwerde auf ihr Kind zurückfällt.“ Zudem gibt es innerhalb der Elternschaft oft auch durchaus unterschiedliche Ansichten über Erziehungsstile. Was die einen noch okay finden, ist für andere schon zu autoritär. Pietsch, Bloggerin und Mutter zweier Kinder, die über ihren Alltag regelmäßig auf ihrem Blog Kinderhaben.de berichtet, meint, dass Eltern sich davon nicht abschrecken lassen sollten. „Wenn ihr den Eindruck habt, dass irgendetwas nicht rundläuft, geht dem nach“, schreibt sie. Auch in der Kita ihres damals fünfjährigen Sohnes gab es Probleme: Die Leitung war dauerhaft erkrankt, eine neue nicht in Sicht, dazu kam noch eine Auseinandersetzung mit einer Erzieherin, mit der ihr Sohn wiederholt aneinandergeraten war. „Ich und mein Mann haben beschlossen, das anzusprechen, auch weil unser Kind sich grundsätzlich sehr wohl in der Kita fühlte und ein Wechsel für uns nicht infrage kam“, erzählt Pietsch.
Sie rät, größere Sorgen nicht mal eben schnell zwischen Tür und Angel zu klären, sondern lieber ein ruhiges Gespräch mit der pädagogischen Fachkraft beziehungsweise der Leitung zu suchen. Wenn man auf dieser Ebene nicht weiterkommt, können sich Eltern an den Träger der Einrichtung als nächsthöhere Instanz wenden. Auch der Elternbeirat kann helfen, also die Vertreter der Eltern, die jedes Jahr in jeder Kitagruppe gewählt werden. Als Sprachrohr der Eltern kann der Beirat Kritik an die Leitung des Kindergartens weitertragen und neutral vermitteln, auf Wunsch auch anonym.
Der Elternbeirat kann unterstützen
Natürlich ist auch die Art und Weise, wie Eltern Probleme ansprechen, wichtig: Ich-Botschaften anstatt Anschuldigungen, der Tonfall möglichst respektvoll und wertschätzend. Nicht allen fällt das leicht. „Wenn man das Gefühl hat, das eigene Kind wird ungerecht behandelt, wird es schnell emotional“, sagt Anna Sophie Pietsch. Grundsätzlich sollten Eltern sich auch immer vor Augen halten, dass die Fachkräfte nicht drei Kinder, sondern bis zu 25 betreuen. „Bei diesen Rahmenbedingungen kann nicht immer jedes Bedürfnis jedes Kindes sofort erfüllt werden – man sollte daher auch Verständnis für die Herausforderungen der Erzieherinnen und Erzieher haben.“ Das Problem in ihrer Kita ist längst gelöst, die Klärung lief prompt und vertrauensvoll, sagt Pietsch. „Der Elternbeirat in Vertretung der Elternschaft konnte den Träger dazu bewegen, eine neue Kitaleitung einzusetzen, danach wurde auch der Personalmangel behoben und die Stimmung ist wieder viel besser“. Die Bloggerin ist froh, ihre Sorgen thematisiert zu haben. „Ohne Elternengagement wäre das sicher nicht so schnell passiert.“
„Machen Sie sich Beschwerden zu eigen“
kizz sprach mit Ludger Pesch, Direktor des Pestalozzi-Fröbel-Hauses und Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Kindheitspädagogik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin
Fachkräfte haben einen anderen Blick auf das Kind und fühlen sich bei Beschwerden der Eltern oft unverstanden. Eltern hingegen fürchten, nicht ernst genommen oder als überfürsorglich abgestempelt zu werden. Wie löst man das Dilemma?
Ich sehe es in der Verantwortung der Fachkräfte, eine Kultur und Strukturen zu schaffen, in der Wünsche, Forderungen und Beschwerden offen angesprochen werden können. Eine Kindertagesstätte sollte von Anfang an deutlich machen, dass sie auf gute Zusammenarbeit und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern Wert legt, und betonen, dass ihr die Kooperation mit den Müttern und Vätern wichtig ist.
Konflikte entstehen oft, wenn Einrichtung und Eltern sich widersprechende Anliegen haben, zum Beispiel beim Thema Mittagsschlaf.
Dass Eltern meistens nicht die ganze Gruppendynamik, sondern nur ihr eigenes Kind sehen, ist natürlich und sollte akzeptiert werden. Ich finde, es gehört auch zur Aufgabe einer Kita, die Lebensrealität der Eltern im Blick zu haben. Letztlich sollten aber die Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt stehen. All diese Ansprüche auszubalancieren, ist nicht einfach, ich kann nur den Hut ziehen vor allen Fachkräften, die sich dafür engagieren.
Wenn es ein Problem gibt, wie gehe ich als Fachkraft in die Kommunikation?
Als Erzieher oder Erzieherin kann man sich gut vorbereiten, etwa mit methodischen Leitfäden, wie man so ein Beschwerdegespräch aufnimmt oder moderiert. Aber das wichtigste ist meiner Ansicht nach, als Fachkraft auch die Perspektive zu wechseln. Also den Eltern nicht immer nur zu vermitteln, welche Regeln im Kindergarten gelten, sondern sich für ihre Situation zu interessieren: Wie sieht der Alltag bei Ihnen zu Hause aus, wie gehen Sie in Konfliktsituationen mit dem Kind um, wie beim Wickeln, beim Essen?
Erfordert das alles nicht sehr viel Zeit, die bei den Fachkräften ohnehin schon knapp ist?
Die Rahmenbedingungen in den allermeisten Bundesländern sind in der Tat unzureichend. Aber Fachkräfte müssen auch unter den geltenden Rahmenbedingungen den Anspruch haben, gute Arbeit zu leisten, alles andere wäre unprofessionell. Dazu gehört einmal jährlich ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern, regelmäßige Elternversammlungen, wo man in der Gruppe Probleme ansprechen kann, aber auch, dass es verabredete Abläufe gibt, wie man mit Beschwerden umgeht.
Was können Fachkräfte sonst noch für eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern tun?
Ich finde ein sehr gutes Modell das der Beschwerdeeigentümerschaft. Das bedeutet auf der Ebene der Fachkräfte, dass derjenige, der von einer Beschwerde hört, sich diese zu eigen macht, selbst wenn man davon nicht unmittelbar betroffen ist. Wenn ich als Erzieherin mitbekomme, dass eine Mutter Probleme mit dem Verhalten einer Kollegin hat, gebe ich das weiter und frage dann bei der Mutter ein paar Tage später noch mal nach, ob sich da etwas getan hat.
Wie schafft man es, eine Beschwerde als konstruktive Kritik aufzufassen und nicht persönlich zu nehmen?
Je heftiger die Beschwerde ist, desto leichter kann man oft verstehen: Ich bin eigentlich gar nicht gemeint. Der Beschwerdeführer sagt damit immer auch etwas über seine Gefühle aus. Es hilft, auf die emotionale Seite einzugehen und sie in einer verstehenden, empathischen Weise zu spiegeln: „Herr Müller, ich sehe, Sie sind sehr verärgert, können Sie mir bitte darlegen, woraus ihr Ärger entsteht?“
Was tun, wenn Eltern sehr emotional und heftig werden?
Wer sich sehr unter Druck gesetzt fühlt, sollte die Auseinandersetzung vertagen: „Entschuldigen Sie bitte, ich sehe, das scheint ein sehr wichtiges Anliegen zu sein, lassen Sie uns doch darüber in Ruhe sprechen und in den nächsten Tagen einen Termin finden, der für uns beide gut machbar ist.“ So gewinnt man Zeit und kann sich eventuell noch fachlich beraten lassen.