Der Mensch hat viele Facetten, und genau wie die Liebe und das Harmoniebedürfnis gehört auch die Wut zu unserem emotionalen Repertoire. Wenn etwas nicht so läuft, wie wir uns das wünschen, steigt die Wut in uns hoch und oft sind wir nicht in der Lage, sie zu besänftigen oder zum Schweigen zu bringen. Die Wut ist ein wildes Tier. Und diese Bestie macht auch vor den Menschen nicht Halt, die uns am nächsten stehen: unseren Kindern.
Wir wissen, dass Kinder nicht immer so handeln können, wie wir es für richtig halten. Und doch: Wenn immer wieder Streit zwischen den Geschwistern tobt, wenn ein Kind ständig die Spielregeln der Familie missachtet, knallen die Sicherungen durch. Die Geduld ist ausgeschöpft, die Grenzen der Belastbarkeit überschritten. Und dann - Eltern sind auch nur Menschen - bricht das Donnerwetter los, es wird geschrien, manchmal sogar geschlagen. Und hinterher? Meistens tun Eltern diese Ausbrüche Leid. Hätten wir nur unseren Kopf eingeschaltet, wären wir nur ruhig geblieben ...
Tipps fürs Krisen-Management
Mit Stress-Situationen richtig umzugehen lernt jeder Manager. Denn um einerseits ein Unternehmen im Griff zu haben und andererseits die eigenen Nerven zu schonen, ist ein "kühler Kopf" wichtig. Was für ein Unternehmen gilt, gilt erst recht für die Familie, wo die Emotionen noch viel direkter aufeinander treffen als an einem Arbeitsplatz. Krisenmanagement ist also gefragt: brenzlige Situationen entschärfen, sich selbst unter Kontrolle haben. Wie kann das gelingen?
"Deeskalation" heißt das Zauberwort. Es bedeutet, eine Situation, die sich immer weiter gesteigert und hochgeschaukelt hat, wieder zurückzuschrauben. Wie auf einer Treppe ist die Wut Stufe um Stufe höher gestiegen, nun soll sie wieder herunterklettern. Die wichtigste Erste-Hilfe-Maßnahme heißt: Abstand gewinnen. Gehen Sie für eine Weile aus dem Zimmer, stellen Sie sich ans geöffnete Fenster, atmen tief Sie ein und aus ... Alles, was Ihnen Distanz zur Stress-Situation schenkt, ist hilfreich. Bei den Urmenschen diente die Wut zur Mobilisierung von Kräften. Ein Rest Urmensch lebt noch in uns allen, und darum können wir Wut und Aggression sehr gut durch Bewegung kompensieren: Schnappen Sie sich Ihr Kind, gehen Sie raus in den Wald oder auf den Spielplatz. Auch Ihrem Kind tut es gut, seine Aggression in Bewegung umzuwandeln und sich von der Auseinandersetzung abzulenken.
Das Kind in ein Zimmer zu sperren, um es zum "Nachdenken" zu bringen, wie es in manchen Familien üblich ist, halte ich nur in Ausnahmefällen für angebracht. Zwar wird das Kind nach einer Weile "zahm" werden, weil es das Alleinsein nicht lange aushält. Doch solche Strafmaßnahmen lassen es mit seinem Zorn allein. Das Ergebnis: Die Wut auf die Macht der Erwachsenen steigert sich noch mehr und sucht bei der nächsten Gelegenheit ein neues Ventil.
Provokationen richtig begegnen
Natürlich muss das Kind lernen, dass seine Provokationen nicht richtig sind und dem familiären Miteinander schaden. Doch auf lautes Schreien mit noch lauterem Schreien zu antworten heißt, diese Form der Kommunikation zu akzeptieren. Das Kind erhält dadurch die Botschaft: Meine Spielregeln gelten, weil sie in der gleichen Weise beantwortet werden. Durchbrechen können Sie diesen unseligen Kreislauf nur, indem Sie sich ausklinken und eigene Spielregeln aufstellen. Zum Beispiel, indem Sie die Provokationen ins Leere laufen lassen. Erst wenn sich die Situation etwas entspannt hat, bringen Sie das Verhalten Ihres Kindes mit ruhigen und deutlichen Worten zur Sprache - und notfalls gibt es Konsequenzen. In einer hitzigen Streit-Atmosphäre ist man oft verleitet, Dinge anzudrohen oder zu sagen, die man hinterher bereut.
Und wenn das Kind nicht locker lässt, Ihnen hinterherläuft, wenn Sie aus dem Zimmer gehen, Sie vielleicht sogar schlägt oder tritt und ganz offensichtlich den Streit sucht? Wenn weder Ablenkungsversuche noch das bewusste Ignorieren des Verhaltens helfen? Dann ist es wichtig, dass Sie sich selbst konditionieren, um Ihre Nerven zu schützen. Machen Sie sich in einer ruhigen Stunde bewusst, welche Situationen Sie besonders auf die Palme bringen. Wieso gerade diese und nicht andere? Wo liegen Ihre Empfindlichkeiten? Vielleicht sind Sie in manchen Bereichen besonders verletzbar. Mit klarem Kopf die Situation einschätzen: das gilt auch für die Selbstwahrnehmung. In Situationen, die zu eskalieren drohen, weil Sie das Verhalten Ihres Kindes persönlich zu nah an sich herankommen lassen, kann eine solche Reflexion innere Ruhe und Abstand bringen.
Ein weiterer Trick für Stress-Situationen ist es, bewusst positive Gedanken und Gefühle zu entwickeln. Wer jemals auf einer Kinder-Intensivstation war, der weiß es zu schätzen, wenn das eigene Kind munter, kräftig und agil ist. Auch wenn es uns ab und zu zur Weißglut bringt.