GeschlechterrollenAuch Jungs dürfen Rosa tragen

Eltern von Jungen machen sich schnell Sorgen, dass etwas mit Ihrem Sohn nicht stimmen könnte, wenn er statt Jeans und Sportschuhen lieber ein Kleid oder rosa Schuhe tragen möchte. Aber auch hier ist es ganz wichtig, dass Sie Ihrem Kind nichts ausreden, sondern den Wunsch ernst nehmen und ihn ausprobieren lassen.

Geschlechterrollen: Auch Jungs dürfen Rosa tragen
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"Das macht doch so ein großer Bub nicht mehr!" quittiert der Opa das Verhalten des fünfjährigen Enkels, als der seiner Mutter einen Kuss gibt. Sätze wie "Das tut ein Junge nicht..." oder "sei ein Mann!" verbindet man gemeinhin mit einer Generation, für die Männer, die Babys wickeln und Kinderwägen schieben, noch keine Selbstverständlichkeit waren. Heute gehören sie bei jungen Eltern kaum mehr zum Repertoire, um den Sohn zu erziehen. Ein Junge darf heute weinen, er soll Gefühle zeigen und rücksichtsvoll sein - alles Eigenschaften, die traditionell Mädchen zugeschrieben werden. Was aber, wenn der "Sohnemann" plötzlich unerwartet viel Weiblichkeit an den Tag legt? Wenn er lieber Kleider als Hosen möchte, sich lackierte Nägel und Schmuck wünscht, beim Rollenspiel die Prinzessin sein will oder typische Jungenspiele links liegen lässt?

Wenn Jungen aus der Rolle fallen

Die Mutter des dreijährigen Jonathan* berichtet: "Die Halskette darf er tragen, aber als er unbedingt rosarote Turnschuhe mit Glitzer und Schnallen wollte, habe ich sie ihm ausgeredet. Ich hatte einfach Angst, dass er im Kindergarten ausgelacht wird." Von dem vierjährigen David weiß die ganze Nachbarschaft, dass er sich stundenlang in der Waschküche beschäftigt und Mädchensachen anprobiert - sehr zum Leidwesen seiner Mutter. Die Vorliebe für Kleider teilt der kleine Thomas. Seine Mutter akzeptierte, dass er so auch in den Kindergarten ging und hat es bereut: "Er wurde furchtbar aufgezogen von den anderen Kindern und kam ganz durcheinander nach Hause. Danach wollte er nie wieder ein Kleid anziehen."

Fragt man danach, erfährt man viele solcher oder ähnlicher Geschichten. Kein Wunder, ist das Kindergartenalter doch die Zeit, in der Kinder vorbehaltlos experimentieren, Rollenspiele lieben und sich trotzig in den Kopf setzen, alles was ihnen gefällt haben zu wollen. Gemeinsam ist den Eltern dieser Jungen, die sich so gar nicht "typisch" verhalten, die Sorge, dass etwas mit ihrem Sohn nicht stimmt. Die verunsicherten Mütter und Väter wissen oft nicht recht, wie sie reagieren sollen: verbieten oder akzeptieren, ignorieren oder gar zum Psychologen gehen? Oft bleibt der Blick an dem hängen, was nicht sein soll. Die Frage, was die vermeintlich gegengeschlechtlichen Interessen und die Identifikation damit für den einzelnen Jungen bedeuten, was er und andere Kinder dadurch lernen können, wird kaum gestellt. Ebenso gerät außer acht, wie sehr die Vorstellungen darüber, wie ein "richtiger" Junge, ein "richtiges" Mädchen sein soll, sozial geprägt sind, und weniger biologisch zu erklären. Die Beschäftigung mit Frauen- und Männerbildern in anderen Kulturen kann hier die Augen für die eigenen blinden Flecken öffnen. Zudem fällt es bei Jungen stärker auf, wenn sie weibliche Attribute für sich in Anspruch nehmen. Umgekehrt ist das Drehbuch für Mädchen nicht so eng geschrieben. Will ein Mädchen partout Hosen statt Röcken anziehen, klettern und Fußballspielen, wird kaum jemand seine Geschlechtsidentität als Mädchen anzweifeln.

Melitta Walter, Fachberaterin für geschlechtergerechte Pädagogik für die städtischen Kita-Einrichtungen in München, begleitet das Thema als Dauerkonflikt. Sie hat deshalb ein Projekt im Kindergarten initiiert: Vier Wochen lang wurden die Räume zunächst ganz in rosarot gehüllt, danach in himmelblau. Der offene Umgang hatte Erfolg: ein sehr schüchterner Junge begann plötzlich zu reden und traute sich endlich, seinen rosa Lieblingspulli im Kindergarten zu tragen. Er wurde nicht ausgelacht.

Was Eltern "untypischer" Jungen tun können

Wurde Jungen, die stark aus der Rolle fielen, noch vor nicht allzu langer Zeit eine Störung unterstellt, plädieren Fachleute heute für Gelassenheit. Melitta Walter versucht, den Eltern tiefsitzende Ängste zu nehmen. "Dann trägt der Junge eben Glitzer, und wird sehen, was passiert." Wichtig sei, das Kind vorzuwarnen und es nicht ins offene Messer laufen zu lassen, etwa mit den Worten "Es könnte sein, dass andere das doof finden, aber wenn es das ist, was dir heute Spaß macht, geht das niemanden etwas an. Und das darfst du auch sagen." Sie rät, dem Sohn in den Kindergarten eine Tüte mit anderer Kleidung mitzugeben: "Wenn dich andere zu sehr nerven, dann zieh dich einfach um." Und wenn größere Jungen kommen und sagen, "du bist ja ein Mädchen", sei es außerdem Sache der ErzieherInnen einzugreifen und z.B. zu fragen, woran man denn ein Mädchen erkenne.

Egal, ob es sich beim Spiel mit den Geschlechterrollen um eine Phase - wie in den allermeisten Fällen - oder tatsächlich um erste Zeichen einer von gängigen (Wunsch-)Vorstellungen abweichenden Entwicklung handelt, wichtig ist vor allem eines: Dass die Eltern hinter ihrem Kind stehen und es auch gegen herrschende Meinungen in Schutz nehmen. Nur wenn sie ihren Sohn Ernst nehmen, kann er Vertrauen haben, dass er diese Seite vor Vater und Mutter nicht verstecken muss.

* alle Namen geändert

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