Das empörte "Neiiinnn!" auf die höflich getarnte Aufforderung, sich doch jetzt bitte endlich ins Bett zu verziehen, kann täuschen. Kinder mögen es durchaus, wenn sie gefragt werden - und manchmal geht's ja auch gut. Mit einem Fünfjährigen kann man sich zusammensetzen, ein ernstes Gesicht machen und sagen: "Also, wie machen wir das jetzt: Wir können heute Nachmittag kurz schwimmen gehen und danach einkaufen. Oder wir gehen gleich nach Hause, dann in Ruhe einkaufen und dafür gehen wir morgen den ganzen Tag ins Schwimmbad." Wenn das Kind dann verständnisvoll nickt, kurz abwägt und sich für den ausgedehnten Schwimmbadbesuch am nächsten Tag entscheidet, kann die Mutter aufatmen. Denn zu Hause wartet ein Berg Wäsche, die Küche sieht aus wie ein bewohnter Bombentrichter, im Kühlschrank herrscht gähnende Leere und abends werden Gäste erwartet.
Eltern-Kind-Beziehungen können nicht immer gleichberechtigt sein
In den Sternstunden, wenn das Kind ein Einsehen hat, blitzt er wieder auf: der schöne Elterntraum von einer guten, liebevollen Beziehung, die wie eine gute Ehe oder Freundschaft funktioniert - eine Partnerschaft eben, in der die Bedürfnisse des Kindes ebenso wichtig sind wie die Bedürfnisse der Eltern. Kinder und Eltern als gleichberechtigte Partner im Familienunternehmen, wo Konflikte ausdiskutiert werden, so dass es weder Gewinner noch verlieren gibt - das hätten wir wohl gerne. Was sich in der Theorie so gut anhört, gleicht in der Praxis der Aufgabe, eine Wandergruppe aus Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel und ohne Kompass durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an einem Ziel ankommen. Anders gesagt: Alles aushandeln zu wollen, treibt selbst wohlmeinende Eltern in den Wahnsinn.
Das Kind kann nicht immer ein gleichwertiger Partner sein - das lehrt die häusliche Erfahrung, und das sagen mittlerweile auch die Pädagogen. Natürlich muss man Kinder angemessen am Familiengeschehen beteiligen und Dinge, die alle angehen auch gemeinsam bereden. Aber mal ehrlich: Die gefundenen Lösungen und Entscheidungen sind in den allermeisten Fällen doch das Ergebnis der erwachsenen Ansichten und Einsichten - und die Kinder müssen sich damit arrangieren.
Sie sind nämlich keine Partner. Von einem guten Partner darf man erwarten, dass er abends, nachdem er sich verabschiedet hat, auch ins Bett geht und nicht noch zehnmal wieder auftaucht, um ein Glas Wasser, eine Geschichte, einen Kuss und noch ein Gutenachtlied zu verlangen. Einem Partner darf man übel nehmen, wenn er einen mitten in der Nacht wachrüttelt, weil er aufs Klo muss und sich vor den Silberfischchen fürchtet oder weil ihm plötzlich eingefallen ist, dass er noch ein Gedicht auswendig lernen muss. Partner dürfen mit Recht voneinander erwarten, dass einer die Bedürfnisse des anderen achtet und bei dem, was er tut, auch das Wohl des anderen mit bedenkt. Gute Partner sind in gleichen Interessen vereint - die von Eltern und Kindern gehen bisweilen auseinander. Paul möchte morgens sein Piratenschiff auftakeln, sein Vater möchte, dass er endlich seine Schuhe anzieht und zum Kindergarten geht. Denn Pauls Vater muss schleunigst zur Arbeit. Lisa will auf dem Spielplatz bleiben, ihre Mutter möchte unbedingt den Termin beim Kinderarzt einhalten. Marie will singen, ihr kleiner Bruder soll schlafen. Es hilft nichts: Eltern haben manchmal keine andere Wahl als darauf zu bestehen, dass bestimmte Dinge stattfinden und andere unterbleiben. Doch in der Grauzone dazwischen darf munter diskutiert werden.
Demokratie wird schrittweise gelernt
Gute Partner muss man nicht erst mit Nachdruck für die eigene Sicht der Dinge gewinnen, Kinder schon. Und es ist ihr gutes Recht, langsam und ihrem Entwicklungsstand entsprechend in das Dickicht von Notwendigkeiten und Verpflichtungen hineinzuwachsen. Demokratie und gleichberechtigtes Entscheiden - das erlernen Kinder schrittweise. Es hat keinen Sinn, einen Dreijährigen zu fragen, welches Auto seiner Meinung nach angeschafft werden soll oder wo die Familie den Jahresurlaub am besten verbringt. Fangen Sie also mit Entscheidungen an, die eher belanglos sind: Soll es Milchreis oder Würstchen zum Abendessen geben? Soll es der roter oder der blaue Pullover sein, wenn's zum Kindergeburtstag geht? Steigern Sie langsam: Wollen wir am Wochenende zum Puppentheater oder in den Zirkus gehen? Pläne zu schmieden, eine Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu treffen und aus einem Dilemma das Beste zu machen - das ist eine gute Übung fürs Leben, die man am besten sachte angeht. Diskussionen sind manchmal wenig hilfreich: Mit einem Kind, das sich weigert, sich im Auto anschnallen zu lassen, wird man sich kaum auf einen Disput über die vielfältigen Risiken im Straßenverkehr einlassen. Ein dreijähriges fieberndes Kind, das sich weigert, den Löffel bittere Medizin zu schlucken, wird man mit medizinischen Erläuterungen genauso wenig umstimmen können wie mit flehentlichen Bitten. Wenn nichts mehr hilft, muss man es festhalten und zwingen, die Medizin zu schlucken. Ist es vier Jahre alt, kann man schon eher ein kleines Geschäft abschließen: "Liebchen, komm, das musst du jetzt nehmen, damit du schnell wieder gesund wirst, und danach lese ich dir eine Geschichte vor." Sind noch einmal vier Jahre vergangen, wird man vielleicht schon Für und Wider schulmedizinischer oder homöopathischer Behandlung mit dem Kind erörtern können. Und hinterher doch darauf bestehen müssen, dass eine bestimmte Medizin genommen wird.
Doch, ein bisschen Familiendemokratie kann nicht schaden. Fangen Sie klein an und überfordern Sie Ihr Kind nicht, aber fangen Sie an. Je früher ein Kind beginnt Entscheidungen zu treffen, deren Folgen es auch tragen kann, desto eher dämmert ihm eine schlichte Wahrheit aus dem Erwachsenenleben: wie man sich bettet, so liegt man.