"Ich kann Lina doch nicht bei mir zu Hause am Garderobenhaken aufhängen, wenn ich einkaufen muss", sagt meine Freundin Eva, "obwohl ichs manchmal am liebsten tun würde."Sie berichtet von den Supermarkt-Erlebnissen mit ihrer dreijährigen Tochter. "Schon an der Eingangstür geht das los: 'Mama, kaufen wir heute Gummibärchen? Ich will aber roten Joghurt haben. Und den Kakao mit dem Löwen.' Egal, ob Lina im Einkaufswagen sitzt oder zwischen den Regalen umherläuft, immer sticht ihr irgendetwas in die Augen. Rote Tomaten, die sie eigentlich gar nicht mag, bunte Puddingbecher, grün-gelbe Stoff-Viecher und natürlich jede Menge Süßigkeiten. Erst versuche ich vernünftig mit ihr zu reden, sage zum Beispiel: 'Du isst doch gar keine Tomaten', dann gebe ich ein paar Mal nach, aber irgendwann sag ich dann "nein". Ich kann ihr doch nicht zwei Tafeln Schokolade genehmigen. Dann ist vielleicht was los. Erst mault meine Tochter, dann fängt sie an zu weinen, und wenn es besonders schlimm kommt, brüllt sie den ganzen Laden zusammen."
Kinder bestimmen beim Einkaufen mit
Der "Kids-Verbraucher-Analyse 2002" zufolge verfügen die Sechs- bis Dreizehnjährigen in Deutschland über 5,12 Milliarden Euro Taschengeld und Sparguthaben pro Jahr. Kein Wunder, dass die Kaufkraft der 6,37 Millionen jungen Verbraucher Begehrlichkeiten weckt und ganze Industriezweige sie eifrig umwerben. Aber auch die Jüngeren, die weder Preise lesen können noch eigenes Taschengeld haben, sind für die Wirtschaft interessant. Etwa ab dem zweiten Geburtstag haben Kinder ihren Gesichtskreis so erweitert, dass sie sich für das Angebot im Supermarkt interessieren. Außerdem gewinnen sie Freude am Besitz. Jetzt bewährt sich geschickte Produktplazierung. Alles, was leuchtend bunt ist, spricht Lina an - und befindet sich auf ihrer Augenhöhe.
Werbestrategen wissen um die Vorlieben kleiner Menschen und dass sie beim Einkauf ihrer Eltern mitbestimmen. Dies belegt auch die erwähnte "Kids-Verbraucher-Analyse". Insbesondere Mütter sind demnach bereit, die Wünsche ihrer Lieben zu berücksichtigen. Auch wenn es um Joghurt, Cornflakes oder Käse geht, richten sie sich oft nach deren Vorschlägen. Logisch, dass die Wirtschaft Kinder ab zwei deshalb fest ins Visier nimmt. Großformatige Plakat-Anzeigen und vor allem das Fernsehen erreichen die Kleinen. Nicht nur Werbung für Puppen, Gameboys und Bastelsätze soll sie ansprechen, auch solche für Joghurt, Müsli, Fruchtsaft und sogar für Autos hat die jüngsten Konsumenten im Blick und ist dabei sehr erfolgreich.
Kleine Kinder unterscheiden noch nicht zwischen Schein und Wirklichkeit. Besonders Fernsehwerbung nehmen sie für bare Münze. Die spiegelt ihnen außerdem vor, eine ganze Welt voller Waren sei einfach verfügbar. Dass man für Konsum auch etwas leisten muss, ist ihnen nicht bewusst, denn eine Vorstellung vom Geld und woher es eigentlich kommt, entwickeln sie erst später. Im Glauben an das, was sie sieht, versucht deshalb Lina ihre Mutter zum Kauf bestimmter Joghurtsorten zu überreden. Mit der Orientierung auf die jüngsten Kunden erzielt die Konsumgüterindustrie einen weiteren Effekt. Je früher es gelingt, sie an eine bestimmte Marke zu binden, desto sicherer werden sie dieser ihr Leben lang treu bleiben, das haben Werbeforscher herausgefunden
"Nein" muss sein
Kinder sollen lernen maß- und sinnvoll mit Konsum umzugehen, darin sind sich wohl alle Eltern einig. Die Erziehung dazu beginnt am besten mit einer Art "Gewissenserforschung". Eltern, die sich nämlich selbst zum Beispiel jeden spontanen Wunsch sofort erfüllen, dürfte es später schwer fallen, ihre Kinder zur Disziplin anzuhalten. Da das Vorbild zählt, macht es Sinn sich selbst ein paar kritische Fragen zu stellen: Wie halte ich es mit Status-, Frust- und Spontankäufen? Was ist mir wichtig zu besitzen und was nicht? Wie sollen meine Kinder als Erwachsene mit Geld und Wünschen umgehen?
Spätestens, wenn wir Erziehungsziele formulieren, wird klar: ohne Beschränkung geht es nicht. Wenn Lina lernen soll, vernünftig und maßvoll einzukaufen, kann die Mutter ihr nicht jeden Wunsch erfüllen. Überlegen Sie schon vor dem Einkauf, welches kleine Extra Sie ihrem Kind heute gönnen wollen. Bleiben Sie bei Ihrem Entschluss, vermeiden Sie aber langatmige Erklärungen. Je jünger ihr Liebes ist, desto weniger bewirken ausführliche Begründungen. Im Gegenteil, gerade die Kleinen sind häufig überfordert, wenn Eltern von ihnen erwarten, dass sie aus Einsicht auf ihre Wünsche verzichten sollen. Ein klares "Nein", eventuell ein einfacher Satz wie "Dafür haben wir kein Geld." oder "Das ist ungesund." genügen vollkommen.
Denken Sie daran: das "Nein" steht Ihnen zu, denn Sie haben die die Verantwortung. Im Übrigen, wann und wie auch immer Sie ihr "Nein" formulieren, mit Widerstand müssen Sie rechnen. Kalkulieren Sie ein, dass beim ersten Mal ein Auftritt erfolgt. Ihr Kind quengelt, weint, schreit vielleicht oder wirft sich gar auf den Boden. Da müssen Sie durch. Natürlich ist so was peinlich, aber früher oder später war es unvermeidlich. Seien Sie jedenfalls sicher, dass die meisten Mitkunden Verständnis für Sie haben. Und glauben Sie an den Erfolg Ihrer Maßnahme. Je ruhiger und entschlossener Sie bei Ihrer Entscheidung bleiben, desto schneller wird Ihr Sohn oder Ihre Tochter davon absehen, jeden Einkauf zum Machtkampf zu gestalten. Wenn Ihr Kind älter wird, können Sie ihm dann Vieles erklären. Warum in der Werbung ein bisschen geschwindelt wird, zum Beispiel, oder wie es um Ihr Haushaltsbudget bestellt ist. Sie werden staunen, wie gerne es sich auch für die Familie engagiert und bereit ist zu deren Gunsten einmal zu verzichten.