Die Mutter des vierjährigen Julian ist ratlos: Seit einiger Zeit gebärdet sich ihr Sohn wie wild. Schon bei nichtigen Anlässen rastet er aus, vor allem, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen kann. Egal ob es ums Essen, ums Fernsehen oder um die Schlafenszeit geht, Julian gerät im Handumdrehen in Wut und teilt dann sogar Tritte und Schläge aus. Nicht einmal in der Öffentlichkeit hält er sich zurück. So sorgte er zum Beispiel neulich für Aufsehen, als er im Kaufhaus ein tolles Spielzeug entdeckte, das er unbedingt haben wollte. Seine Mutter sagte nein, worauf er ihr einen solchen Tritt versetzte, dass sie vor Schmerz aufschrie und die umstehenden Leute fassungslos die Köpfe schüttelten. Julians Mutter fragt sich besorgt: Ist das wirklich noch normal? Handelt es sich hier um eine Phase, die von selbst vorübergeht? Oder sollte ich besser durchgreifen und den kleinen Rabauken bestrafen?
Es stimmt tatsächlich: Viele Kinder durchlaufen im Vorschulalter eine Phase, in der sie sich ungewöhnlich aggressiv gebärden. Bei Jungen kommt das häufiger vor als bei Mädchen. Das hängt offenbar mit dem männlichen Hormon Testosteron zusammen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass der Testosteronspiegel nicht erst in der Pubertät stark ansteigt, wenn ein Junge sich körperlich zum Mann entwickelt. Auch im Kindergartenalter ist ein vorübergehender Anstieg des männlichen Hormons festzustellen, das die Aggressivität erhöht. Da Jungen zudem mehr Muskelmasse besitzen als Mädchen, haben sie ein umso größeres Bedürfnis, ihre Kräfte auszutesten - wodurch es schon mal zu handfesten Rangeleien kommen kann.
Trotzdem wäre es falsch, alles nur auf die Hormone zu schieben. Denn sie sind nicht die einzige Ursache für kindliche Aggressionen - die schließlich auch bei Mädchen vorkommen können. Manchmal versuchen Kinder, ihre Eltern durch Wutausbrüche gezielt zu provozieren, um ihnen eindeutige Reaktionen zu entlocken. Sie testen gewissermaßen die Beziehung aus, wollen wissen, ob ihre Eltern auch dann zu ihnen stehen, wenn sie mal nicht lieb und brav sind. Deshalb hilft es nichts, die Aggressionen des Kindes einfach zu ignorieren, in der Hoffnung, dass die Phase bald vorübergeht. Ein solches Verhalten würde das Kind als Gleichgültigkeit deuten - wenn nicht gar als Aufforderung, weiterzumachen. Auch Strafen helfen nicht weiter, da das Kind sie als Zurückweisung empfindet. Wenn ein Kind über die Stränge schlägt, hilft nur eines: Grenzen setzen.
Wie Sie mit Aggressionen umgehen können
Was tun also, wenn Ihr Kind seine Wut an Ihnen auslässt? Wichtig ist, dass Sie in solchen Situationen möglichst gelassen bleiben, aber dennoch unmissverständlich reagieren:
- Halten Sie die Hand, die nach Ihnen schlägt, fest und sagen Sie in ruhigem, aber bestimmtem Ton: "Bitte hör auf, mich zu hauen, das tut mir weh!"
- Sofern Ihr Kind es zulässt, können sie es auch fest in die Arme nehmen, bis es sich beruhigt hat. Das vermittelt ihm Halt und Sicherheit. Doch Vorsicht: Die Festhaltetaktik verträgt nicht jedes Kind. Sie sollten sie auch nur dann anwenden, wenn Sie selber gut damit zurechtkommen. Keinesfalls sollten Sie Ihr Kind im Zorn anfassen, sonst besteht die Gefahr, dass Sie es körperlich oder seelisch verletzen.
- Wenn Ihr Kind in der Öffentlichkeit ausrastet, versuchen Sie, die Umgebung auszublenden, auch wenn es schwierig sein mag. Fassen Sie Ihr Kind bei den Händen oder Schultern, sehen Sie ihm in die Augen und sagen Sie klar und deutlich, was Sie von ihm wollen. Damit signalisieren Sie ihm, dass Sie sich im Augenblick nur mit ihm befassen und Ihnen nicht andere Leute wichtiger sind. Sie ziehen klare Grenzen.
- Ereignet sich der Wutausbruch zu Hause, können Sie Ihrem Kind auch die Möglichkeit geben, sich anderweitig abzureagieren. Erlauben Sie ihm, seine Aggressionen an einem geeigneten Ersatzobjekt auszulassen, zum Beispiel an einem Kissen, einem Boxsack oder einem großen Plüschtier. Wenn Ihr Kind seine heftigen Gefühle auf diese Weise kanalisieren kann, wird es leichter damit fertig.
- Sie können zu Hause auch eine Art Kampfritual einführen, das zu festgelegten Zeiten stattfindet und bei dem feste Regeln gelten. So lernt Ihr Kind auf spielerische Weise, mit seinen Kräften und Gefühlen umzugehen.
- Ganz allgemein ist es gut, wenn Sie Ihrem Kind viele Bewegungsmöglichkeiten bieten, bei denen es sich austoben, seine Kräfte erproben und Dampf ablassen kann.