Es könnte alles so schön sein: Die Sonne scheint und die Kinder der Bärengruppe spielen friedlich im Außengelände. Drei Freundinnen wechseln sich beim Schaukeln ab, fünf Jungen bauen an einer Sandburg, andere spielen einträchtig Vater-Mutter-Kind, probieren den neuen Kiga-Roller aus, stehen artig an der Rutsche an. Harmonie, soweit das Auge reicht... Doch so ist es wirklich: "Das ist meine Schaufel!" schreit Tom. "Ich war zuerst hier!" schimpft Julia. Und Maja beschwert sich: "Immer willst du Bestimmer sein!" Ob vormittags im Kindergarten oder nachmittags auf dem Spielplatz - wo Kinder zusammenkommen, prallen auch unterschiedliche Vorstellungen, Interessen oder Wünsche aufeinander. Anders ausgedrückt: Es kommt zu Konflikten.
Meistens sind es Strohfeuer
Anlässe gibt es mehr als genug: Am häufigsten geht es im Kindergartenalter um "Mein und Dein". "Ich will auch mal Roller fahren!": Tagtäglich beobachten ErzieherInnen Streitereien um begehrte Spielmaterialien. Platz zwei der Konfliktauslöser-Hitliste belegen kleine Angriffe - verbale, symbolische oder körperliche: "Der Yannick wirft mit Sand!" Weitere Faktoren sind unbeabsichtigte Störungen (zum Beispiel Anrempeln beim Umziehen), Konkurrenz- und Wettbewerbsverhalten (wer wessen Freund sein darf, wer bestimmt usw.). Auffällig an den Kinderkonflikten: Sie entstehen scheinbar aus heiterem Himmel und sind meist von kurzer Dauer. Eine Studie des Deutschen Jugendinstitutes München (DJI) hat gezeigt, dass ein durchschnittlicher Streit bei Kindergartenkindern höchstens drei Minuten dauert.
Konflikte gehören dazu
Den meisten Erwachsenen sind die Konflikte der Kleinen unangenehm. "Müsst ihr euch denn immer streiten?" ist wohl einer der meist gesagten Eltern-Sätze. Die Antwort lautet: Natürlich nicht immer, aber ohne Streit geht es auch nicht. Denn Konflikte sind völlig normal. Sie nehmen einen wichtigen Platz in unser aller Leben ein, sind Bestandteil jeder sozialen Beziehung. Mehr noch: Erziehungswissenschaftler und Psychologen sind sich einig, dass Konflikte ein wichtiges Lernfeld für Kinder sind und bei der Entwicklung ihrer sozialen Kompetenz eine entscheidende Rolle spielen. Die DJI-Wissenschaftler fanden heraus, dass Freundschaft und Streit einander nicht ausschließen. Im Gegenteil: "Kinder, die sozial sehr aktiv sind und freundschaftliche Kontakte pflegen, sind zumeist auch diejenigen, die häufiger als andere in Streitigkeiten verwickelt sind", heißt es in der Studie.
Aus diesen Gründen ist es ungünstig, wenn Erwachsene versuchen, Kinder vor Konflikten zu bewahren. Denn unangenehm sind uns dabei wahrscheinlich gar nicht die Konflikte selbst, sondern das, was unsere Kinder daraus machen. Sie gehen anders mit ihnen um als Erwachsene, reagieren spontaner, gefühlsbetonter und häufiger körperlich. Es wird geschrieen und geweint, ewige Feindschaft geschworen, nicht selten auch geprügelt. Die Frage ist also nicht "Wie kann ich einen Konflikt vermeiden?", sondern: "Wie kann ich das Kind dabei unterstützen, einen Konflikt konstruktiv zu lösen?" Kinder sollten zu kompetenten Streitern werden, sich also ein möglichst differenziertes Repertoire günstiger Lösungsstrategien aneignen. Ein Konflikt muss nicht aggressiv sein. Ziel sollte es sein, dass Kinder eine Meinungsverschiedenheit austragen können, ohne Gewalt anzuwenden oder ständig nachzugeben.
Wenn zwei sich streiten, was macht der Dritte?
Die Autoren der DJI-Studie empfehlen Erziehenden, sich bei Konflikten "aktiv zurückzuhalten". Das bedeutet einerseits, dass sich Erwachsene nicht voreilig einmischen. Kinder müssen die Gelegenheit haben, ihre eigenen Lösungen zu finden und sie auch umzusetzen. Leichter fällt das, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, menschliches Miteinander müsse unentwegt harmonisch verlaufen. Halten Sie sich vor Augen, dass Harmonie aus überstandenen Konflikten erwächst und nicht aus deren Abwesenheit. Durch selbst gelöste Meinungsverschiedenheiten lernen Kinder, die Spannungen auszuhalten, die ansonsten zu aggressivem Verhalten führen können. Konflikt und Aggression sind nämlich keinesfalls dasselbe: Wer gelernt hat, einen Streit konstruktiv zu lösen, muss nicht zuschlagen.
Andererseits bedeutet aktive Zurückhaltung, für die Kinder präsent zu sein, ihnen zu signalisieren: "Ich trau' euch etwas zu, probiert es aus. Wenn ihr aber meine Hilfe braucht, bin ich für euch da." Wenn Kinder die Hilfe einfordern, oder es zu Gewalttätigkeiten kommt, sollten Eltern und ErzieherInnen sich als Anwalt verstehen, nicht als Richter. Das bedeutet: Statt den Streithähnen eine Lösung vorzuschreiben, ist es geschickter, ihnen eine aktive Rolle zu geben, den Konflikt mit den Kindern zu lösen, nicht für sie. Hören Sie die Standpunkte und Sichtweisen der Kinder an. Bitten Sie sie, ihre Wünsche voreinander auszudrücken. Fordern Sie die Kinder auf, Lösungsvorschläge zu machen. Überlegen Sie mit ihnen, welche Ideen davon realisiert werden können. Die Kleinen fühlen sich durchaus nicht im Stich gelassen, wenn Sie sagen: "Ich verstehe euer Problem, aber eine Lösung fällt mir im Moment nicht ein. Was meint ihr denn?" Das Gegenteil ist der Fall: Die Kinder sehen, dass jemand an ihrem Problem Anteil nimmt und ihnen zutraut, es zu lösen. "Die vordringliche Aufgabe von Erziehenden ist es", so die DJI-Autoren, Gesprächsvermittler zu sein. Der Kommunikationsstil ist entscheidend, nicht die Frage, wer Recht hat oder der Schuldige ist."