Herr Toulmé, Ihre Erzählung ist schonungslos ehrlich, vor allem in den Passagen, in denen es um Ihre Gefühle gegenüber Julia direkt nach der Geburt geht. War es schwierig, sich für das Buch wieder in diese Zeit zurückzuversetzen?
Als ich mit dem Schreiben der Geschichte anfing, hatte ich mich Julia und meiner Rolle als Vater bereits geöffnet. Julia war kein „behindertes Kind“ für mich, sondern eine Tochter, die ich genauso liebte wie ihre Schwester. Es gab keinen Schmerz beim Schreiben, kein Bedürfnis, mich von einer Last zu befreien. Nur das Bedürfnis, eine Geschichte zu erzählen, die berührt. Und die beste Art, eine berührende Geschichte zu erzählen, war es, so präzise und ehrlich wie nur möglich zu schildern, was wir als Eltern erlebt und gefühlt haben. Natürlich hat es mich nicht kaltgelassen, an diese Zeit zurückzudenken. Aber es war eher eine Art Zufriedenheit bei dem Gedanken daran, wie sehr ich mich als Mensch und Vater weiterentwickelt habe.
In einer Szene erzählt eine Ärztin Ihnen und Ihrer Frau, dass Väter nach der Diagnose Trisomie mehr leiden als Mütter, sich danach aber total in das Kind verschießen. Sind Sie in dieser Hinsicht ein „typischer Vater“?
Man kann in der Tat sagen, dass ich dieser Beschreibung voll entspreche. Wenn man ein „unerwartetes“ Kind bekommt, dann kommt in der Regel erst mal eine Phase der Trauer über den Verlust des Kindes, auf das man gehofft hat. Danach entsteht aber eine starke Bindung zu dem neuen Kind. Vielleicht hat dieses Phänomen auch nicht unbedingt was mit dem Thema Behinderung zu tun. Ein Kind ist selten so, wie man es sich vorgestellt hat, als es noch im Bauch der Mutter war. Kinder sind immer „unerwartet“.
Wie geht es Julia heute?
Es geht ihr gut, sie ist sechs Jahre alt und macht in ihrem Tempo Fortschritte, das heißt, etwas langsamer als die anderen Kinder. Aber es sind Fortschritte, und das macht uns froh. Sie geht zur Schule, spricht ein bisschen beide Sprachen (Französisch und Portugiesisch, die Mutter ist Brasilianerin). Aber sie hat vor allem ein unglaubliches Talent, von anderen ins Herz geschlossen zu werden.
kizz Buchtipp
Als bei seiner zweiten Tochter nach der Geburt der Gendefekt Trisomie 21 und ein Herzfehler festgestellt werden, bricht für Fabien Toulmé zunächst eine Welt zusammen. Wie soll er damit umgehen, dass sein eigenes Kind behindert ist? Kann er es lieben lernen?
In der autobiografischen Graphic Novel berichtet der junge Vater auf 250 Seiten aufrichtig und bisweilen sehr humorvoll von seiner Gefühlsachterbahn: von seinen Ängsten und Sorgen, aber auch davon, wie er eine starke Bindung zu seiner Tochter entwickelt.
Fabien Toulmé: Dich hatte ich mir anders vorgestellt …, avant-verlag 2015, € 24,95
Fabien Toulmé ist Franzose und hat als Bauingenieur gearbeitet, ehe er seine Berufung als Comiczeichner entdeckte. Mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern lebt er in Aix-en-Provence.