"Sag ich's? Oder sag ich's nicht?" - Katja Marschner* aus Freiburg entscheidet sich meist dagegen. Sie will nicht, dass jeder weiß, dass ihr Sohn hochbegabt ist. Will nicht, dass jeder von den Problemen erfährt, die ein solches Talent für die ganze Familie mit sich bringt. "Oft machen einem die Leute sogar Vorwürfe, man sei selber schuld, wenn das Kind so schlau ist, man hätte ihm eben nicht so viel erzählen sollen", sagt die 42-Jährige und schüttelt verständnislos den Kopf. "Dabei spielt der fruchtbare Boden, auf den das Ganze fallen muss, eine viel größere Rolle."
Dass ihr jüngster Sohn Adrian, der heute neun Jahre alt ist, zu den Menschen gehört, die alle verfügbaren Informationen aufsaugen wie ein Schwamm, fand Katja Marschner erst spät heraus. Zunächst fanden die Marschners es nicht weiter beunruhigend, dass der kleine Bruder sich für alles interessiert, was der große so macht. Stutzig wurden sie erst, als Adrian ins Kindergartenalter kam: Er wurde wegen Kleinigkeiten aggressiv, es konnte passieren, dass er ausrastete, weil der Toast nicht so getoastet war, wie er das wollte. Vielleicht, hofften Katja Marschner und ihr Mann, wird es besser, wenn er in die Schule kommt. Wurde es nicht, und zum ersten Mal beschäftigten sich die beiden ernsthaft mit dem Gedanken, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmen könnte. Ein Intelligenzquotient von über 130 und damit Hochbegabung wurde Adrian allerdings erst nach der Konsultation mehrerer Psychologen attestiert.
Durch zu schnelle Entwicklung können Probleme entstehen
Adrian zählt zu einer Minderheit. Rund 2,2 Prozent der Bevölkerung sind wie er überdurchschnittlich begabt. Ob die Ursachen dafür in den Genen oder in einem bestimmten sozialen Umfeld vor allem während der Kindheit liegen, ist noch nicht genau geklärt. Wissenschaftler gehen von einer Kombination dieser beiden Faktoren aus.
Hochbegabte Kinder brauchen eine besondere Förderung. Zwar verfügen sie über die gleichen emotionalen und sozialen Bedürfnisse wie normal begabte Kinder im gleichen Alter, doch sie durchlaufen die kognitiven und konzeptuellen Entwicklungsschritte um einiges schneller. Das kann zu Missverständnissen und Problemen im sozialen Umfeld führen. Oft ist es jedoch so, dass erst solche Auffälligkeiten überhaupt einen Hinweis darauf geben, dass ein Kind hochbegabt ist. Um herauszufinden, ob ein Kind hochbegabt ist, bieten viele schulpsychologische Beratungsstellen spezielle Tests an. Weil hochbegabter Nachwuchs mit dieser Gabe ohne Hilfe oft nicht umgehen kann - Mädchen ziehen sich häufig zurück, Jungs reagieren heftiger bis aggressiv nach außen - vermuten Eltern bei ihren verhaltensauffälligen Kindern fälschlicherweise häufig eine Lernschwäche. Anzeichen für eine Hochbegabung können zum Beispiel sein: Hang zum Perfektionismus, Langeweile bei Routinearbeiten wie Hausaufgaben, Interesse an Büchern, die weit über dem Altersniveau liegen, ein ungewöhnlich umfangreicher Wortschatz, das Kind gilt als Besserwisser oder Klassenclown, ständiges Hinterfragen von Autoritäten, Wahl älterer Freunde, kein Interesse an alterstypischen Aktivitäten.
Hochbegabte brauchen besondere Förderung
Ist die Diagnose Hochbegabung erst einmal gestellt, ergeben sich die Fragen nach der optimalen Förderung dieses Potentials. Vor allem im Laufe ihres Schülerdaseins hängt die Förderung hochbegabter Kinder weniger von deren Eltern ab, als vor allem von den herrschenden Angeboten. Da sich hochbegabte Kinder schnell unterfordert fühlen, hilft es wenig, wenn Lehrer sie einfach mit mehr Aufgaben versorgen als den Rest der Klasse. Sie benötigen andere Aufgaben. Dem versucht der Staat auf zweierlei Weise gerecht zu werden. Zum einen mit speziellen Hochbegabtenklassen, in denen der Pflichtstoff in deutlich kürzerer Zeit durchgenommen wird, um Freiräume für Zusatzangebote nutzen zu können. Zum anderen mit außerschulischen Projekten wie Wissenswettbewerben und Olympiaden. "Die Förderung besonders begabter Schüler liegt in allererster Linie in der Kompetenz der Länder", erklärt Christian Herbst vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Das BMBF beschränke sich daher auf die finanzielle Unterstützung bestimmter bundesweiter Schüler- und Leistungswettbewerbe wie zum Beispiel Jugend forscht, die Internationale Mathematik-, Physik- oder Chemieolympiade, den Bundeswettbewerb Informatik, das Treffen junger Autoren oder die European Science Olympiad. Mit insgesamt rund vier Millionen Euro fördert der Bund im laufenden Jahr solche Projekte.
Auch Familie Marschner ist mit der Diagnose Hochbegabung längst nicht alle Sorgen los. Katja Marschner weiß, dass ihr Sohn nach wie vor häufig unterfordert wird. Er verlangt den ganzen Tag über nach Wissen, Büchern und Herausforderungen. "Das ist bei ihm wie Essen", sagt sie. "Manchmal habe ich abends das Gefühl, dass er noch nicht satt ist." In der Schule verhält Adrian sich inzwischen unauffällig, er ist zum Klassensprecher gewählt worden und hat verstanden, dass seine Intelligenz eine Gabe ist. Zu Hause reagiert er sich an einem Boxsack ab, wenn nötig. Seine Eltern hingegen haben schwere Entscheidungen zu treffen. "Man macht sich selbst Druck, weil man diese Gabe natürlich fördern will", erzählt Katja Marschner. "Aber man will ja nicht unbedingt einen kleinen Einstein, sondern in erster Linie ein glückliches Kind."
* Name von der Redaktion geändert
Hier finden betroffene Eltern Hilfe:
www.bildung-und-begabung.de (gemeinnütziger Verein Bildung und Begabung)
www.dghk.de (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind)
www.hochbegabung-hochbegabte.de
www.fachportal-hochbegabung.de