Die Familien einer Kindergartengruppe treffen sich zum Picknick. Die Kinder rennen über Stock und Stein, die Erwachsenen sind damit beschäftigt, ihre Decken auszubreiten und die Verpflegung auszupacken. Da stockt einer Mutter der Atem: Eines der Kinder hat den am Wiesenrand stehenden Hochsitz entdeckt und klettert emsig in die Höhe.
Was ist Risikokompetenz?
Das vierjährige Kind kann nicht einschätzen, in welch gefährliche Situation es sich durch seine Kletterei bringt. Es hat die Leiter als interessantes Spielgerät wahrgenommen und als solches genutzt. Dabei setzt es sich dem Risiko eines folgenreichen Sturzes aus, ohne sich dessen bewusst zu sein. Erst als es oben angekommen ist und in die Tiefe schaut, bekommt es Angst und weiß nicht, wie es wieder herunterkommen soll. Zum Glück ist die Mutter nicht weit und hilft beim Abstieg.
Die Fähigkeit, Risiken oder Gefahren als solche zu erkennen, abzuwägen, ob man sich auf sie einlassen soll oder nicht, und diese zu bewältigen, nennt man Risikokompetenz. Dabei fördert jede aus eigener Kraft bewältigte Gefahr das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit.
Kinder nicht "in Watte packen" - kleine Fehler vermeiden große Fehler
Manche Eltern erliegen der Versuchung, ihre Kinder vor jeder möglichen Gefahr oder jedem Misserfolg schützen zu wollen, und bedenken dabei nicht, dass Kinder lernen müssen, Gefahren und Risiken als solche überhaupt wahrzunehmen. Nur dann können sie diesen adäquat begegnen. Jedes Kind muss (seinem Alter entsprechend) lernen, auf sich selbst aufzupassen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Überbehütung hemmt die kindliche Entwicklung, denn Kleinkinder lernen durch eigene Erfahrung, nicht durch Belehrungen. Sie entwickeln durch Ausprobieren verschiedene Handlungs- und Lösungswege. Dabei gehen sie gerne an die Grenzen ihres Könnens, um dieses immer wieder zu erweitern. Das heißt natürlich nicht, dass Eltern ihre Kinder sehenden Auges in den Abgrund stürzen lassen sollen. Doch die meisten Kinder haben ein Gespür dafür, welche Herausforderungen sie meistern können und welche nicht.
Entwicklungsaspekte
Kinder bis zum Alter von etwa vier Jahren verfügen noch über kein Gefahrenbewusstsein. Erst im Vorschulalter können Sie akute Gefahren mehr und mehr einschätzen. Das bedeutet beispielsweise, dass das Kind, oben auf dem Baum angekommen, merkt, welche Gefahr besteht. Erst ab circa 8 Jahren überlegt es vor dem Erklimmen des Baumes, ob es den Wipfel gefahrlos erreichen wird: Hier beginnt das vorausschauende Gefahrenbewusstsein. Vorbeugend handelt ein Kind ab etwa 9 Jahren - wenn es zum Bespiel den Untergrund von spitzen Steinen befreit oder sich um einen entsprechenden Fallschutz bemüht.
Bei der Einschätzung und der Bewältigung von Gefahren und Risiken ist zudem die sinnliche Wahrnehmung [Sehen, (Richtungs-)Hören] von großer Bedeutung, ebenso die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren und nicht ablenken zu lassen.
Was Eltern tun können
"Sei vorsichtig!" ist ein gut gemeinter Ratschlag der Eltern. Aber die meisten Kinder sind dadurch eher verunsichert. Überlegen Sie, ob nicht Ihre eigene Angst Sie in bestimmten Situationen dazu motiviert, Ihr Kind schützen zu wollen, Sie ihm damit aber wichtige Entwicklungsmöglichkeiten verwehren.
Hier finden Sie einige Vorschläge, wie Sie die Risikokompetenz Ihres Kindes fördern, es aber andererseits vor großen - für das Kind nicht einschätzbaren - Gefahren schützen können:
- Setzen Sie Ihrem Kleinkind klare und nachvollziehbare Verhaltensregeln und Grenzen, z.B.: "Wenn du vor mir aus dem Haus gehst, wartest du in der Einfahrt auf mich und gehst nicht alleine auf die Straße."
- Ermöglichen Sie Ihrem Kind viele unterschiedliche Bewegungserfahrungen. Motorisch geschickte Kinder sind sicherer in ihren Bewegungsabläufen, fallen seltener und sind selbstbewusster. ("Ich kann das schon!") Sie entwickeln ein Gespür für die eigenen Grenzen und Fähigkeiten und können ihre körperliche Leistungsfähigkeit besser einschätzen.
Nutzen Sie die Angebote der Turnvereine oder auch psychomotorisch arbeitender Kindergruppen.
- Spüren Sie gemeinsam mit Ihrem Kind mögliche Gefahrenquellen in Ihrer Wohnung auf.
- Ermöglichen Sie Ihrem Kind viele sinnliche Erfahrungen, wo immer sie mit einem begrenzten Risiko verbunden sind. Lassen Sie es fühlen, wie heiß das Wasser aus dem Hahn kommt (Verbrühungsgefahr), wie spitz eine Nadel und wie scharf die Messerklinge ist.
- Zeigen Sie Ihrem Kind auf dem Spielplatz zum Beispiel, wie weit die Schaukel auslenkt und in welchem Abstand es diese umgehen muss, um nicht von einem schaukelnden Kind verletzt zu werden.
- Beaufsichtigen Sie Ihr Kind, aber lassen Sie ihm auch einen Freiraum mit kalkulierbarem Risiko.
- Seien Sie Vorbild im Umgang mit gefährlichen Dingen und Situationen.
- Nutzen Sie Sicherheitsvorkehrungen wie Kindersitze im Auto oder Fahrradhelme. Achten Sie bei Spielsachen und -geräten auf die TÜV- und GS-Zeichen.