Kindgerechtes LernenRichtig Lernen lernen

Kinder wollen lernen, aber man muss ihnen dabei helfen. Unsere Kinder müssen erst das Lernen lernen und hierbei sollten sie von den Eltern unterstützt werden. Hierbei ist es natürlich wichtig, dass Eltern wissen, wie Kinder lernen.

Kindgerechtes Lernen: Richtig Lernen lernen
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Britta sitzt im Matheunterricht und macht zum fünften Mal den gleichen Fehler. Sie kann sich den Unterschied von "Fläche" und "Volumen" einfach nicht merken. Dabei hat ihr der Lehrer schon hundertmal erklärt, dass Fläche immer "hoch zwei" ist und Volumen immer "hoch drei". Auch diesmal ist die Korrektur des Lehrers die gleiche: "Britta, das machst du immer falsch! Jetzt merk dir doch mal den Unterschied. Fläche immer ‚hoch zwei' und Volumen immer ‚hoch drei'!" Die Klasse lacht, und Britta schämt sich und hat Angst, es wieder falsch zu machen.

Doch eigentlich liegt der Fehler hier nicht bei Britta, sondern im Verhalten des Lehrers. Seine Reaktion zeigt, dass er die Voraussetzungen für gelingendes Lernen nicht kennt: Hätte er sich ein wenig mit der Neurobiologie des Lernens beschäftigt, wüsste er, dass er so ziemlich alles falsch macht, was man in Bezug auf ein "gehirnfreundliches" Lernen falsch machen kann.

Die Funktionsweise des Gehirns verstehen - für eine bessere Lernweise

Das Gehirn besteht aus vielen Millionen Gehirnzellen - "Neuronen" -, die miteinander verschaltet sind. Dies kann man sich so vorstellen, dass von einer Zelle viele kleine Ausläufer zu anderen Zellen in der Umgebung gehen. Diese Ausläufer enden vor der anderen Zelle mit einer sogenannten "Synapse". Das ist die Zone, in welcher der Ausläufer der Ursprungszelle endet, ein kleiner Spalt folgt, und dann die andere Zelle, ebenfalls mit einem kleinen Ausläufer, beginnt. Nervenzellen können nun Informationen weitergeben, indem sie nachgeschaltete Zellen aktivieren oder hemmen. Dabei wird eine elektrische Ladung durch den Ausläufer geschickt, die an der Synapse dazu führt, dass bestimmte Stoffe in den Spalt ausgeschüttet werden - "Neurotransmitter" -, die dann die nachfolgende Zelle mit einer bestimmten elektrischen Ladung versehen. Diese Ladung läuft dann wiederum bis zur nächsten Zelle und so weiter.

Auf die Verschaltungen kommt es an

Was bedeutet nun auf dieser neuronalen Grundlage Lernen? Wie das Modell der Nervenzellen nahe legt, geht es um die Verschaltungen der Zellen. Werden bestimmte Zellen immer wieder aktiviert, andere aber nicht, so bilden sich starke Verbindungen heraus, andere sterben ab. So können komplexe "Muster", Schaltkreise entstehen, die zum Beispiel für einen bestimmten Gedächtnisinhalt stehen. Lernen aus neurobiologischer Sicht kann man also als die Bildung von Erinnerungen in Form von neuronalen Schaltkreisen verstehen.

Das kindliche Gehirn besteht aus einem Überangebot an Nervenzellen und Verschaltungen. Beim kindlichen Lernen findet zum einen ein Selektionsprozess statt, bei dem durch die ersten Sinneseindrücke und durch das Laufen- und Sprechenlernen neuronale Schaltkreise gebildet werden.

Neuronen und Verbindungen, die in diesen Schaltkreisen nicht gebraucht werden, sterben ab. Zum anderen bildet das kindliche Gehirn beim Lernen neue Synapsen und andere Neuronenbestandteile aus. Die sogenannte "Neuroplastizität" des Kindes, also die Fähigkeit des Gehirns, Verschaltungs-muster sowohl durch Selektion als auch durch die Neuentstehung von Synapsen zu bilden, ist in jungen Jahren besonders hoch, bleibt aber das gesamte Leben lang erhalten.

Diese Plastizität des kindlichen Gehirns ist gekennzeichnet durch sogenannte "sensible Phasen". In diesen Zeitabschnitten fällt das Erlernen bestimmter Fähigkeiten besonders leicht. So hat man festgestellt, dass sich ein Kind innerhalb des ersten Lebensjahres eine, oft sogar zwei Sprachen mühelos aneignen kann. Dieses selbstverständliche Sprachenlernen wird mit zunehmenden Alter, etwa ab dem dritten Lebensjahr, schwieriger.

Eine interessante Umgebung ist Voraussetzung für gelingendes Lernen

Wie die neurobiologische Lernforschung herausgefunden hat, wird das Lernpotential des Kindes nur dann entfaltet, wenn es in einer interessanten Umgebung lernen darf. Nur wenn dem kindlichen Gehirn immer wieder Herausforderungen geboten werden, können sich viele Schaltkreise bilden, die dann später zu einem flexiblen, innovativen Verhalten führen. So gehen Neurobiologen davon aus, dass besonders in der frühen Kindheit die Neubildung von Schaltkreisen durch ein unerwartetes Ereignis, eine Neuentdeckung oder eine ungewöhnliche Erfahrung wichtig ist.

Eine weitere Voraussetzung für die Entstehung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen und damit für erfolgreiches Lernen sind bestimmte Emotionen. Im Gehirn gibt es Stoffe, Neurotransmitter und Hormone, die für Aufmerksamkeit, Motivation, Glück und Wohlbefinden zuständig sind. Nur wenn diese Stoffe ausreichend vorhanden sind, wenn also eine Situation interessant ist, Neugierde weckt und das Ergebnis zufrieden macht, kann Lernen stattfinden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass Lernen ein möglichst aktiver Prozess sein muss. Nur das eigene Tun und Entdecken führt zu den neurobiologischen Zuständen wie Glück, Erfolgsgefühl, Neugier, und Lust, die für ein gelingendes Lernen notwendig sind.

Individuelle Lernprozesse unterstützen

Auch wenn bei allen Kinder grundsätzlich die gleichen neurobiologischen Prozesse ablaufen, sollten sich Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen bewusst sein, dass jedes Kind anders lernt. Das heißt dass jedes Kind ein bestimmtes Temperament mitbringt, zum Beispiel sehr neugierig oder ängstlich, langsam oder aufgeweckt ist. Diese Grundstimmungen des Kindes gilt es zu beachten, denn ein ängstliches Kind ständig mit Neuem zu konfrontieren ist wahrscheinlich kontraproduktiv, ebenso wie das Überbehüten eines neugierigen Kindes zu Frustration führen kann.

Kehren wir wieder zum Beispiel der Mathestunde zurück: Das Gehirn von Britta lernt nicht durch die abstrakte Formel "hoch zwei" oder "hoch drei". Erst durch das eigene Umgehen mit Flächen und Räumen würde sich der Unterschied von zwei und drei Dimensionen einprägen. Der Lehrer bietet jedoch den neuronalen Mustern von Britta keine Alternativen: der gleiche Weg, obwohl er schon viermal erfolglos beschritten wurde, wird immer wieder eingeschlagen. Das falsche Muster prägt sich also ein und neue Verschaltungen werden nicht gebahnt. Schließlich ist die Situation mit Angst und Abwertung verbunden: Genau diese neuronalen Signale im Gehirn führen zur Blockade und verhindern die Ausbildung neuer Verschaltungen. Würde der Lehrer Britta die Möglichkeit geben, spielerisch selbst auf den Unterschied von Fläche und Volumen zu kommen, wäre sie aufmerksamer, würde sich aktiv selbst Welt erschließen und hätte ein größeres Erfolgserlebnis.

kizz Buchtipp

Norbert Herschkowitz, Das vernetzte Gehirn. Seine lebenslange Entwicklung. Verlag Hans Huber 2009.

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