Stellen Sie sich vor, im Kindergarten findet in Kürze ein Fest statt, dem Ihr Kind seit Tagen entgegenfiebert. Es soll beim Musikspiel, das für die Eltern aufgeführt wird, eine tragende Rolle übernehmen. Doch nach der heutigen Probe ist seine Stimmung wie aus heiterem Himmel umgeschlagen. Ihr Kind sträubt sich mit Händen und Füßen und sagt kategorisch: "Ich spiele nicht mit!" Wie reagieren Sie?
Für viele Eltern ist die Antwort auf diese Frage klar: Sie versuchen, den Grund für die Stimmungsänderung herauszufinden. Wobei sie möglicherweise feststellen müssen, dass das nicht so einfach ist. Denn gerade wenn Kinder ein Problem mit sich herumtragen, fällt es ihnen nicht immer leicht, darüber zu reden. Da helfen auch typische Ermunterungen im Stil von "Jetzt erzähl doch mal!" nicht unbedingt weiter. Und selbst wenn das Kind zu erzählen beginnt, kann das Gespräch leicht ins Stocken geraten - vor allem, wenn auf Seiten der Eltern die Bereitschaft zum Zuhören fehlt.
Vorsicht, Gesprächsfalle!
Angenommen, Ihr Kind erzählt Ihnen, dass es bei der Probe von den anderen Mitspielern ausgelacht wurde. Vielleicht gehören Sie ja zu den Eltern, die auf diese Äußerung sofort mit einer Belehrung reagieren: "Nun sei doch nicht so empfindlich, die meinen es doch gar nicht so!" Oder mit einem Verhör: "Du hast doch nicht etwa Blödsinn gemacht?" Oder mit einer Moralpredigt: "Du hast die Rolle angenommen, jetzt kannst du die anderen nicht einfach im Stich lassen!" Doch wenn Sie Ihr Kind auf diese Weise unter Druck setzen, schüchtern Sie es nur ein und hemmen sein Bedürfnis, sich auszusprechen. Es wird sich beim nächsten Mal wahrscheinlich genauer überlegen, ob es Ihnen ein Problem anvertrauen kann.
Vielleicht reagieren Sie aber auch ganz anders. Zum Beispiel mit einem aufmunternden Lob: "Es gibt überhaupt keinen Grund, dich auszulachen; du hast dich auf deine Rolle super vorbereitet!" Oder mit einem Rat: "Lass doch mal jemand anders deine Rolle ausprobieren, dann sieht er gleich, wie schwierig sie ist!" Oder mit einer Ablenkung: "Na komm, lass uns etwas spielen, das bringt dich auf andere Gedanken!" Doch selbst diese vermeintlich positiven Reaktionsweisen haben letztlich eine negative Wirkung: Das Kind fühlt sich mit seinen Gefühlen weder verstanden noch ernst genommen.
Auf Gefühle eingehen
In einer Situation wie dieser kommt es also sehr auf Ihr Einfühlungsvermögen an. Anstatt selbst das Wort zu ergreifen, sollten Sie als Erstes Ihrem Kind die Möglichkeit geben, sich auszusprechen. Hören Sie ihm aufmerksam zu. Dabei müssen Sie sich mit eigenen Kommentaren nicht gänzlich zurückhalten, sollten jedoch vor allem auf die Gefühle Ihres Kindes eingehen. Wenn es von seinem Erlebnis bei der Probe berichtet, könnten Sie ihm beispielsweise antworten: "Da hast du plötzlich den Mut verloren und konntest nicht mehr weiterspielen." Damit zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie sich in seine Lage versetzen können. Es fühlt sich ermutigt, weiterzusprechen, weil es sich mit seinen Gefühlen verstanden weiß.
Ein solches Gesprächsverhalten wird sich in jedem Fall positiv auf die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind auswirken. Für Ihr Kind ist es wichtig zu wissen, dass es bei Ihnen immer ein offenes Ohr findet, und zwar nicht nur, wenn es schöne Erlebnisse zu berichten hat. Auch für unliebsame Mitteilungen sollten Sie offen sein und sie nicht abblocken, weil sie Ihnen vielleicht unbequem sind. Ihr Kind braucht Ihre Bereitschaft zum Zuhören am allermeisten, wenn es negative Empfindungen wie Wut, Trauer oder Kummer mit sich herumträgt. Zeigen Sie ihm, dass Sie seine Gefühle respektieren und dass es sich Ihnen in jeder Lage anvertrauen kann. Bieten Sie ihm an, es bei seiner Suche nach einer Lösung zu unterstützen, aber drängen Sie ihm keine Ratschläge auf.
Es kann natürlich vorkommen, dass Ihr Kind nicht zum Reden bereit ist, selbst wenn ihm ganz offensichtlich etwas auf dem Herzen lastet. In diesem Fall sollten Sie das nicht persönlich nehmen. Manche Eltern glauben dann, es liege an ihnen, und beginnen nachzubohren. Verzichten Sie lieber darauf, sonst besteht die Ge-fahr, dass das Gespräch zum Monolog oder gar zum Verhör gerät. Gehen Sie eher davon aus, dass das Kind die Angelegenheit erst einmal mit sich selbst ausmachen möchte, und respektieren Sie dieses Bedürfnis. Weisen Sie es nur darauf hin, dass es jederzeit zu Ihnen kommen kann, wenn es sich aussprechen möchte.
kizz Buchtipp
Rita Steininger, Eltern lösen Konflikte. So gelingt Kommunikation in und außerhalb der Familie. Klett-Cotta Verlag 2006