"Gibt es Schlangen mit Beinen?" "Wie ist das, wenn man tot ist?" "Warum hat der Mann nur ein Bein?" Kinder fragen und fragen und fragen, am liebsten den ganzen Tag lang. Und so sehr wir Eltern uns freuen über unsere aufgeweckten und wissbegierigen Kleinen - manchmal wollen wir dieser ewigen Fragerei ein Ende bereiten.
Fragen nach dem Sinn
Für Kleinkinder ist die Welt voller Wunder, die sie zunächst als gegeben hinnehmen. Dass die Sonne morgens aufgeht und am Abend hinter dem Horizont verschwindet, dass der Fernsehbildschirm lebendig wird, wenn man auf einen Knopf drückt, dass ein Glöckchen klingelt, wenn es bewegt wird - in seiner ersten Lebenszeit nimmt das Kind all diese Ereignisse in sich auf, lernt allmählich, sich mit ihnen zu arrangieren. Nach einer Weile dann beginnt es, das ihm Bekannte einzuordnen und in Frage zu stellen: Wird die Sonne immer wieder aufgehen, an jedem Morgen? Und tut sie das auch, wenn ich gar nicht hinsehe? Woher kommt der Wind? Und der Regen?
Natürlich möchten wir solchen Fragen korrekt begegnen, strengen unseren Kopf an und suchen nach der richtigen Erklärung. Bloß nichts falsch machen. Suchen vielleicht in Lexika nach physikalischen Erklärungen. Und wundern uns, dass das Kind sich für unsere Antwort dann gar nicht so sehr interessiert.
Eine solche Reaktion zeugt nicht von Desinteresse unseres Kindes, sondern zeigt, dass wir seine Frage nicht richtig verstanden haben. Kinder sind Philosophen. Sie haben eine tiefe Weisheit und Lebensklugheit mit auf die Welt gebracht; sie erahnen die wesentlichen Dinge unseres Lebens. Darum wollen sie, wenn sie noch neugierig auf die scheinbar selbstverständlichen Dinge zugehen, nicht wissen, dass der Regen kondensierter Wasserdampf ist; sie wollen den Grund dafür wissen, warum der Regen auf die Erde fällt. Eine Antwort wie "Weil die Pflanzen das Wasser brauchen" wird sie darum eher zufrieden stellen als jede rationale Erklärung. Durch solche Antworten gewinnen Kinder Vertrauen in die Welt: Alles ist richtig so, wie es ist. Denn Kinder wollen die Bestätigung, dass sie in Sicherheit sind und bleiben, dass auch morgen alles so sein wird, wie es heute ist. Die immer gleichen Fragen sind dafür Beweis: So wie ein Kind jeden Abend die gleiche Geschichte hören möchte, in genau dem selben Wortlaut, so will es auch die immer gleiche Antwort, wenn es eine Frage wieder und wieder stellt. Bekanntes schenkt Geborgenheit in dieser aufregenden und stürmischen ersten Lebenszeit.
"Musst du bald sterben?"
Kinderfragen kennen weder "passenden" Zeitpunkt noch Tabu. Alles, was dem Kind begegnet und was es noch nicht einordnen kann in sein Verständnis von der Welt, will es beantwortet haben, und zwar sofort, sei es im überfüllten Bus oder beim Gottesdienst in der Kirche: "Mama, warum hat die Frau so ein rotes Gesicht?" Und diese Frage ertönt laut und gut verständlich für alle. Selbst wenn sich die Mama am liebsten in ein Mäuschen verwandeln würde und die Leute um die beiden herum kritisch gucken oder unterdrückt kichern - da muss Mutter durch.
Den Erwachsenen unangenehm sind auch die Fragen der Kinder nach dem Tod. "Musst du bald sterben?" fragt der Dreijährige seine Großtante, die schon so viele Falten im Gesicht hat. Alte Leute müssen sterben, das hat er schon gelernt. Warum sollte er jetzt sein Wissen nicht anwenden und vertiefen? Er kann nichts für Tabus und Verdrängungen, die die Erwachsenen mit sich herumschleppen. "Wie tief ist ein Grab?" wollen die Kinder wissen - und die Erzieherinnen gehen mit ihnen auf den Friedhof, sehen sich ein ausgehobenes Grab an, beantworten Fragen nach Kleidung und Lage der Toten und danach, was in den Urnen zurückbleibt. Lara legt schnell noch ein gepflücktes Blümchen auf das Grab einer Unbekannten und hüpft hinter der Gruppe her: Schauder, der beim Namen genannt wurde, kann nicht in Entsetzen umschlagen. Die Frage nach dem Sinn des Todes ist da schon schwieriger zu beantworten. Aber müssen wir denn immer wasserdichte Antworten parat haben? Kann eine solche Frage nicht auch Anlass für ein gemeinsames Gespräch sein, in dem wir durch unsere Kinder lernen, das für uns selbstverständlich Gewordene neu zu überdenken und eingefahrene Gedankenbahnen zu verlassen? Eine Frage verlangt nicht unbedingt Antwort, aber immer das Gespräch.
Ganz deutlich wird das in diesen endlos langen rhetorischen Frageketten, die unsere Geduld so sehr auf die Probe stellen. "Warum hat der Mann einen Bart?" "Weil er sich nicht rasiert hat." "Warum hat er sich nicht rasiert?" "Weil er vielleicht keine Lust dazu hatte." "Warum hatte er keine Lust?" "Weil er einen Bart schön findet." "Warum?" Unermüdlich können Kinder solche Frageketten fortsetzen. Damit zeigen sie, dass sie mit den Antworten noch nicht zufrieden gestellt wurden. Und sie zeigen, dass sie kommunizieren möchten. Eine schlichte Gegenfrage des Erwachsenen - "Was meinst du: Warum hatte er wohl keine Lust, sich zu rasieren?" - kann den endlosen Fragewurm unterbrechen und ein Gespräch in Gang bringen, in dem das Kind das ihm Wesentliche benennen kann.
Antworten aus der Kniebeuge
Die Fragen kleiner Kinder sind Sinn-Fragen. Sie wollen Antworten, aus denen die Seele spricht und nicht der Verstand. Es gibt keine Frage, für die ein Kind noch zu jung wäre; es gibt nur unpassende, dem Alter nicht angemessene Antworten. Darum müssen wir uns mit unseren Antworten in die Perspektive des Kindes begeben - quasi in die Kniebeuge gehen und die Welt aus dem Blickwinkel des kleinen Menschen betrachten. Verständlich müssen unsere Antworten sein, ein Dialog mit dem Fragenden, frei von der wissenden Arroganz der Riesen.
Mit dem Schuleintritt verändert sich die Qualität der Fragen. Nun wollen die Kinder Informationen, sie wollen Zusammenhänge verstehen. Unser Sachwissen wird da auf eine harte Probe gestellt; wer weiß schon, ob ein Känguru schneller ist als ein Nashorn... "Weiß ich nicht" - diese Antwort sollten Eltern sich verbieten. Denn auch hier, wie in allen Lebensbereichen, zählt ihr Vorbild. Wenn ein Kind auf seine Fragen zu oft ein "Weiß ich nicht" hört, wird es dieses "Weiß ich nicht" verinnerlichen, faul werden in seiner Suche nach Antworten. Und fort ist die Neugier, die einen Menschen lebendig macht und kreativ. Statt des "Weiß ich nicht" also eher ein "Mal sehen, ob wir das herausbekommen!" Und hinein in die Bücherei oder ins Internet, gemeinsam suchen und forschen und fragen. So ganz nebenbei lernt Ihr Kind damit auch die Instrumente kennen, mit denen es später selbst die Antworten auf seine Fragen herbeischaffen kann. Eine solche gemeinsame Recherche bringt Ihnen beiden viel mehr als jedes didaktisch noch so gut aufbereitete Buch.
Jede Frage, die ein Kind uns stellt, zeigt, dass es neugierig ist auf die Welt und dass es zusammen mit uns, seinen Eltern, das Leben verstehen und erkunden möchte. Wir dürfen darauf stolz sein.