Das Zusammenleben in der Familie ist bekanntlich alles andere als statisch. Je nach Alter und Entwicklungsstufen ändern sich die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kinder. Die Eltern versuchen, den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden und dabei selbst nicht zu kurz zu kommen. Schließlich beeinflussen auch äußere Einwirkungen die innerfamiliäre Balance. So müssen Nähe und Distanz zwischen den Familienmitgliedern immer wieder neu austariert werden.
Nähe bedeutet Geborgenheit und Zuwendung
Elterliche Nähe und Fürsorge im familiären Schon- und Schutzraum - das brauchen Kinder, um sich gesund und glücklich zu entwickeln. In den ersten Lebensjahren entsteht diese Geborgenheit vor allem durch intensiven Körperkontakt. Das Baby wird in den Schlaf gewiegt, gestillt, am Körper getragen. Mit zunehmender Entwicklung werden die Kinder selbstständiger und damit unabhängiger von unmittelbarer körperlicher Nähe. Sie bleiben aber physisch und emotional auf die Zuwendung vertrauter Personen angewiesen. Von ihnen bekommen sie liebevolle Beachtung und Unterstützung, sie vermitteln Werte und Grenzen und sorgen für Anregungen und gutes Essen. All dies muss nicht ausschließlich von den Müttern kommen. Der bekannte Autor und Kinderarzt Remo H. Largo schreibt in seinem Buch Kinderjahre: "Nicht die biologische Herkunft bindet, sondern die Vertrautheit, die durch Fürsorge, Nähe und Zuwendung entsteht." Das gilt für den Vater ebenso wie beispielsweise für die Kinderfrau, wenn das Verhältnis zu dieser Bezugsperson regelmäßig, beständig und zeitlich ausreichend ist.
Fürsorge ja - Überfürsorge nein
Welcher Vater, welche Mutter möchte nicht alles tun, damit das eigene Kind jederzeit die nötige wärmende Nähe für sein Wohlbefinden bekommt? Doch die Grenzen zur Überfürsorge und Überbehütung sind fließend. Werden sie überschritten, hat das Folgen. Denn Beglucken und ständiges Bedienen führen dazu, dass die Kleinen in ihrer Neugier, ihrem Wissensdurst und Bewegungsdrang ausgebremst werden. Sie gebärden sich dann oft sehr fordernd, sind aber weder selbstständig, noch können sie Selbstvertrauen entwickeln. Mit einem Zuviel an Nähe und Behütung tun Sie Ihrem Nachwuchs also keinen Gefallen. Die Alternative: das Verwöhnprogramm reduzieren, eigenständiges und selbst verantwortliches Handeln der Kinder unterstützen - und auch mal wieder die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen.
Lass mich los, aber lass mich nicht allein
Kinder wollen lernen, wollen eigene Erfahrungen machen, etwas Neues ausprobieren. Dazu brauchen sie Freiräume. Die gibt es nur, wenn Eltern zeitweise loslassen und auf Distanz gehen. Dieser Schritt fällt nicht immer leicht, die Nähe der Kinder gibt auch Müttern und Vätern Geborgenheit. Und solange die Kleinen noch rundherum Hilfe brauchen, können Eltern auch die Entwicklungsrichtung bestimmen. Doch irgendwann heißt es: "Lass mich, das kann ich schon alleine." Wenn es sich nicht um wirklich gefährliche Vorhaben handelt, sollten Sie mit Vertrauen und Respekt auf die Wünsche nach Selbstständigkeit reagieren. Dazu gehört auch, den Sohn oder die Tochter nicht ständig zu kontrollieren: "Hast du den warmen Pullover angezogen, aufgegessen, die Katze gefüttert?" Selbst Kinder im Kindergartenalter können schon mit den Folgen eigener Entscheidungen und Handlungen leben. Wichtig ist, dass es bei allen Entfernungsversuchen keinen Zweifel an dem Rückhalt und der Geborgenheit in der Familie gibt. Und natürlich darf die Distanz nicht so groß werden, dass man sein Kind aus den Augen verliert. Da heißt es gegensteuern, nachhaken und Gespräche anbieten, wenn Tochter oder Sohn sich etwa auffallend oft zurückziehen oder niedergeschlagen wirken. Ein kuscheliges Stündchen auf dem Sofa, ein ausgedehnteres Abendritual oder Ähnliches stellen dann die notwendige Nähe wieder her.
Auch Eltern brauchen Zeit für sich
Kinder erwarten - zu Recht - viel von ihren Eltern: die tröstende Umarmung, Aufmerksamkeit, gute Ratschläge, vergnügliche Unterhaltung, Lieblingsessen ... Das alles erfordert ein hohes Maß an Einsatz und Präsenz. Auf Dauer kann dies nur jemand gerne geben, der nicht immer bei den eigenen Bedürfnissen zurückstecken muss, der die Möglichkeit des Rückzugs, der ungestörten Entspannung und Anregung hat. Wenn Sie sich selbst erlauben, mal auf Distanz zu gehen, ein Wochenende zu zweit oder mit der besten Freundin zu verbringen, das Theaterabo doch zu bestellen, dann tun Sie nicht nur sich, sondern der gesamten Familie einen Gefallen. Denn Zufriedenheit und Ausgeglichenheit sind die besten Voraussetzungen für eine entspannte Atmosphäre, in der sich alle geborgen und gut aufgehoben fühlen.