Wenn Kinder in die Hose machen, nachdem sie schon sauber waren, geraten betroffene Eltern meist sehr schnell unter Druck. Eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Doch es gibt Wege, das Problem in den Griff zu bekommen.
Sven* war bereits mit gut zwei Jahren Tag und Nacht trocken gewesen. Selbst in brenzligen Situationen konnte er seinen Harndrang kontrollieren. Inzwischen besuchte er die dritte Klasse, kam dort gut zurecht und war bei Mitschülern und Lehrern beliebt. Umso härter traf es die Eltern, als Sven plötzlich nachts ins Bett machte und kurz darauf auch am Tage einnässte. Wenig später kam er sogar mit nassen Hosen aus der Schule nach Hause. Obwohl die Eltern Sven liebevoll und ohne Vorwürfe begegneten, war der Junge verstört, weinte viel und wollte nicht mehr in die Schule gehen. Svens Eltern handelten schnell. Sie suchten sich Hilfe in einer Familienberatungsstelle.
Die Ursachen erforschen
Martina Braun* erinnert sich: "Meinem Mann und mir war sehr schnell klar, dass wir dieses Problem alleine nicht in den Griff bekommen würden. Wir waren selbst so verunsichert und konnten Sven, der gerade in dieser schwierigen Zeit unsere Hilfe brauchte, keine wirkliche Stütze sein. In der Beratungsstelle sind wir zunächst alleine erschienen, und das war auch gut so. Besonders ich konnte meine Ängste und meine Verunsicherung offen äußern, ohne Angst haben zu müssen, Sven damit zusätzlich zu belasten. Die Therapeutin in der Beratungsstelle ließ sich von uns sehr genau alle wichtigen und scheinbar weniger wichtigen Ereignisse der letzten Monate berichten. Dabei kam auch zur Sprache, dass mein Mann nach fast einem Jahr Arbeitslosigkeit nun seit drei Monaten endlich wieder eine feste Stelle als Gartenbau-Ingenieur hat. Wir konnten endlich aufatmen, zumal die ganze Zeit das Damoklesschwert über uns schwebte, aus unserem Haus ausziehen zu müssen, weil wir die Raten nicht länger zahlen konnten. Dass Sven dann Monate später einnässte, brachten wir zunächst gar nicht in Zusammenhang mit diesen Ereignissen. Erst durch die Therapeutin, Gespräche mit der Lehrerin und der behutsamen Auseinandersetzung mit Sven wurde uns klar, dass unser Sohn in dieser Zeit tief verunsichert wurde. So tief offensichtlich, dass ihn ein schlechtes Diktat und ein heftiger Streit mit seinem besten Schulfreund, den er seit der Kindergartenzeit kennt, total aus der Bahn warfen."
Nur sehr selten liegt eine funktionale Blasenstörung vor
Familie Braun hatte Glück. Sven konnte durch eine Spieltherapie im Rahmen einer systemischen Familientherapie schnell wieder stabilisiert werden, und das Einnässen verschwand zuerst in der Nacht und kurze Zeit später auch am Tage.
Kinder, die nach langer Zeit wieder einnässen, sind durch irgendein Ereignis oder auch eine länger andauernde belastende Situation aus ihrem inneren Gleichgewicht gebracht. Eine andere Erklärung wäre ausschließlich im Bereich einer funktionalen Störung der Blase zu suchen. Um diese Option ausschließen zu können, ist es sinnvoll, dies von Seiten des Kinderarztes diagnostisch abklären zu lassen. Sollte zum Beispiel eine akute Blasenentzündung vorliegen, muss diese behandelt werden, und der Gang zum Therapeuten erübrigt sich.
Oft sind Trennungs- und Verlustängste der Auslöser
Jedoch sind organische Störungen als Grund für erneutes Einnässen eher die Ausnahme. In der Regel stecken Trennungs- und Verlustängste hinter dem Problem. Ständige Streitereien zwischen den Eltern, eine drohende oder vollzogene Trennung oder ein Umzug können mögliche Ursachen für Einnässen sein. Aber auch ein Schulwechsel, der Tod von Oma oder Opa oder Mobbing in der Klasse können dahinterstecken. Dabei muss das Ereignis nicht immer zeitlichgleich ablaufen, so wie in unserem Beispiel von Familie Braun. Die kindliche Seele verarbeitet belastende Situation nach keinem bestimmten Schema. Außerdem lässt sich nicht immer ergründen, was Kinder so aus der Bahn wirft. Was das eine Kind recht locker wegsteckt, ist für das andere schwer zu verkraften.
Professionelle Hilfe kann wertvoll sein
Sinnvoll ist immer, nicht unnötig lange damit zu warten, sich professionelle Hilfe zu suchen. Das entlastet im Idealfall alle Familienmitglieder. Eine Empfehlung für eine entsprechende Therapie kann der Kinderarzt geben, betroffene Familien können aber auch das Hilfsangebot kirchlicher und städtischer Beratungsstellen in Anspruch nehmen. Wichtig ist dabei, dass Sie als Eltern und natürlich auch Ihr Kind das Gefühl haben, bei dem Therapeuten gut aufgehoben zu sein. Ist dies nicht der Fall, zögern Sie nicht lange und suchen Sie sich jemand anderen. So schwierig Ihnen die Situation im Moment erscheinen mag - es wird wieder trockene Hosen geben. Wichtig ist für Ihr Kind, dass Sie zu ihm stehen und ihm versichern: "Wir haben dich lieb, jetzt erst recht."
*Namen von der Redaktion geändert