Sie und Ihre Kinder beginnen den Sonntag mit Schmusestunde und Kissenschlacht? Dann sind Sie, wahrscheinlich ohne es zu wissen, schwer aktiv in Sachen Sexualerziehung. Denn Ihr Sechsjähriger erhält bei der Kissenschlacht wichtige Anreize für seine psychosexuelle Entwicklung durch den Körperkontakt, den er Ihnen vor "Zeugen" vielleicht gar nicht mehr erlaubt.
Sexualerziehung, so Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel, ist bedeutend mehr als die traditionelle "Aufklärung". Es geht um Körper, Gefühle und soziale Fähigkeiten.
So verstanden, beginnt Sexualerziehung mit dem Tag der Geburt. Denn Nähe, Zärtlichkeit, Geborgenheit können wir unser Baby gar nicht früh genug ausgiebig fühlen lassen. Und ebenso klar wird, dass Sexualität ein kindlicher Entwicklungsbereich ist, den wir ebenso fördern können wie Motorik, Musikalität oder das Sprachvermögen. Kuscheln, schmusen, zärtlich sein, unsere Körperteile anfassen und benennen, eine Massage genießen, sich zuflüstern "Ich hab dich lieb", all das ist Sexualerziehung.
Und, das betont Gabriele Haug-Schnabel, was immer Kinder im Bereich ihrer Sexualität entdecken und ausprobieren, es mag sich gut und wohlig anfühlen, aber es hat noch nichts mit der erwachsenen, lustvollen Begierde zu tun, die in der Pubertät erwacht. Kinder wollen ihren Körper entdecken und erfahren. Das finden sie ebenso spannend wie das neue ferngesteuerte Auto oder den Sternenhimmel.
Aufklärung? Jederzeit!
Aufklärung beginnt, wenn Ihr Kind es will. Sobald es Fragen zum Thema Liebe, Fortpflanzung, Geburt stellt, ist es auch alt genug für die Antworten. Ganz anders als wir denken, ist das Interesse meistens rein sachlicher Natur. Wie das Baby in den Bauch kommt, muss genauso geklärt werden wie die Frage, warum das Zebra Streifen hat. Deshalb sind die kleinen Fragesteller auch meistens mit altersgemäßen, kurzen und sachlichen Antworten zufrieden. Ist Ihnen eine Frage peinlich, sprechen Sie lieber mit Ihrem Kind über Ihre eigenen Gefühle als über die Frage hinwegzugehen. Wenn Sie Fragen zur Sexualität beantworten, ist das immer eine gute Gelegenheit, Ihr Kind in seinem Selbst zu bestärken. Sagen Sie ihm, wie schön sein Körper ist, wie toll es schmusen kann, wie gut es riecht, wie warm es sich anfühlt. Und wenn es um das Thema Zeugung und Geburt geht, ist für Ihr Kind am wichtigsten zu wissen, so Gabriele Haug-Schnabel, dass es etwas ganz besonderes ist, nämlich das Ergebnis der Liebe seiner beiden Eltern!
kizz Info
Ziele von Sexualerziehung:
- Mein Kind kennt seinen Körper.
- Es fühlt sich mit seinen Gefühlen und in seinem Körper wohl und geborgen.
- Mein Kind kann Zärtlichkeit, Sinnlichkeit, Vertrautheit erleben, genießen und weitergeben.
- Es kennt Werte wie Rücksicht, Verantwortung, Liebe - Basis für eine spätere Partnerbeziehung.
- Mein Kind hat ein stabiles Selbstbild, es kann sich gegen Ungewolltes abgrenzen.
Sind Doktorspiele OK?
Ja: betrachten, befühlen, cremen, tasten, spritzen, abhören, Fieber messen, gucken, ob "untenrum" alles gesund ist: das sind völlig normale Spiele und Zeichen einer gut verlaufenden psychosexuellen Entwicklung. Denn was die Kleinen antreibt, ist riesengroße Neugierde und keine sexuelle Begierde. Das ist nur unsere Sorge, die wir getrost vergessen können. Wenn die Kinder sich mit ihrem Doktorkoffer in ihrem Zimmer verdrücken, halten Sie sich zurück, respektieren Sie den Wunsch nach Intimität. Aber es ist wichtig darauf zu achten, dass bestimmte Regeln eingehalten werden.
Klare Spielregeln bei Doktorspielen:
- Nicht mit deutlich älteren Kindern.
- Alle müssen mitspielen wollen.
- Nur das tun, woran alle Spaß haben.
- Nur solange, wie alle wollen.
- Keine Gegenstände in Körper-Öffnungen stecken.
- Das Doktorspiel ist nur ein Spiel unter vielen anderen.
Greifen Sie nur ein, wenn Sie das Gefühl haben, jüngere Kinder können sich nicht abgrenzen.
Auch wenn Kinder Geschlechtsverkehr spielen, ist das kein Grund zur Besorgnis. In solchen Rollenspielen üben sie ihre möglichen späteren sozialen Rollen - eine ganz normale Sache. Spannend werden diese Dinge für Kinder erst, wenn Eltern unsicher reagieren oder bestimmte Beschäftigungen strikt verbieten. Diese Kinder entwickeln häufig ein untypisch großes Interesse für Sexualität. Für alle anderen werden solche Spiele bald langweilig und die kleinen Entdecker gehen zu Neuem über.
Hilfe, mein Kind onaniert
Auch dann gilt: gelassen bleiben. Ihr Kind ist gut entwickelt und völlig normal, wenn es - meistens im Vorschulalter - entdeckt, dass es sich schön anfühlt, sich selbst zu berühren. Häufig befriedigen sich Kinder zur Beruhigung, wenn sie sich wohl und gemütlich fühlen.
Allerdings ist es nicht unbedingt im Sinne aller Familienmitglieder, wenn der Vierjährige beim Mittagstisch genussvoll seinen Penis liebkost. Es gilt also, Ihrem Kind die Onanie als wichtige und schöne körperliche Erfahrung zu ermöglichen und ihm gleichzeitig beizubringen, dass die Selbststimulation eine sehr intime Sache ist, die man in einem intimen Raum wie dem eigenen Zimmer machen sollte. Das Bewusstsein, dass der eigene Körper und bestimmte körperliche Handlungen das Recht auf Schutz und Privatheit haben, ist wichtig, um Kinder vor Missbrauch und Fremdbestimmung zu bewahren.
Onaniert ein Kind allerdings länger als zwei Monate mehrfach täglich, ist das eher untypisch und man sollte überlegen, warum das Kind so offensichtlich auf diese eine Art der körperlichen oder seelischen Befriedigung fixiert ist.
Wenn Eltern beim Sex überrascht werden
Es kommt in den besten Familien vor, dass der Sprössling mit großen Augen am Fußende des Bettes auftaucht, wenn Eltern gerade miteinander schlafen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Erklären Sie dem kleinen Nachtgeist, dass Sie jetzt gerne unter sich sein und miteinander schmusen möchten und bringen Sie ihn in sein Bettchen zurück. Und wenn das nicht funktioniert, holen Sie ihn zum Kuscheln mit ins Elternbett. Vielleicht ist der kleine Zaungast ja nach ein paar Minuten bereit, sich wieder zurückzuziehen - nur, bis dahin sind Sie wahrscheinlich längst eingeschlafen.
kizz Buchtipp
Bilderbücher zum Thema:
Grethe Fagerström/Gunilla Hansson: Peter, Ida und Minimum. Familie Lindström bekommt ein Baby. Ravensburger Buchverlag, 2009.
Gunilla Hansson: Ein Baby für uns alle! Ravensburger Buchverlag, 2008.
Trixi Haberlander/Dorothea Cüppers: Hurra, mein Geschwisterchen! Ein Klapp- und Entdeck-Buch. Ars Edition, 2005