Eigentlich weiß Simon ja, dass es so etwas gar nicht gibt. Staunend sieht er dem Mann auf der Bühne zu, der seinen Spazierstock *schnipp* in einen prächtigen Blumenstrauß verwandelt, Geldscheine zerschneidet, sie im Handumdrehen wieder unversehrt erscheinen lässt und zum Schluss eine endlose Schlange von bunten Bändern aus seinem Hut zieht. Eigentlich weiß Simon, dass das nur Tricks sind. Eigentlich. Aber ein ganz kleines bisschen Zweifel ist doch dabei, und genau das macht die ganze Zauberei so spannend.
Faszination Zauberei
Dieser schmale Grat zwischen Sicherheit und Zweifel ist für Kinder prickelnd aufregend. In den wenigen Jahren, die sie auf der Welt sind, haben sie allmählich die Regeln kennen gelernt, nach denen die Welt funktioniert. Und dann kommt jemand, wie dieser Zauberer auf der Bühne, und stellt das Gelernte ganz augenfällig in Frage. Als Simon noch ganz klein war, hätte er nicht gestaunt. Ein Spazierstock wird zum Blumenstrauß - na und? Für ein kleines Kind, das noch ganz verhaftet ist in der magischen Welt, gibt es wenige Überraschungen. Dass das Gesicht der Mutter, das hinter einem Tuch versteckt war, nun wieder da ist, wenn sie das Tuch fortzieht - das ist überraschend. Doch um sich wie Simon zu freuen und zu staunen über gestörte Gesetzmäßigkeiten, dazu muss ein Kind mit diesen Gesetzmäßigkeiten schon vertraut sein. Erst dann kann es die Faszination zwischen Sicherheit und Zweifel erleben - und genießen.
Zaubern müsste man können ... Dass ältere Kinder dafür sehr empfänglich sind, zeigt ihre Vorliebe für entsprechende Literatur: "Die kleine Hexe" von Otfried Preußler ist noch immer ein gern gelesener Kinderbuchklassiker, und Bibi Blocksberg hat - hexhex - auch den Sprung auf die Kino-Leinwand geschafft. Nicht zu reden von Harry Potter, dem gewitzten Zauberlehrling, der mit magischen Kräften jede Situation meistert. So wie Bibi oder Harry würden die Kinder gern sein: allmächtig und jede Situation beherrschend. Ein leichtes angenehmes Gruseln über diese Kräfte, die es ja eigentlich gar nicht gibt, gehört dazu.
kizz Grusel-Tipps
- Gruseln ist nicht Angst haben. Sich zu gruseln bedeutet, eine angenehme Gänsehaut zu fühlen, aber über den Dingen zu stehen, die emotionale Situation im Griff zu haben.
- Ängste sind bei Kindern ganz normal. Helfen Sie Ihrem Kind, sie zu bewältigen. Niemals aber darf dem Kind bewusst Angst gemacht werden.
- Beobachten Sie Ihr Kind, wie es auf gruselige Situationen reagiert. Zeigt es Angst, sollten Sie ihm sofort ein Gefühl der Geborgenheit geben: Nehmen Sie es in den Arm, sprechen Sie mit ihm, zeigen Sie ihm, dass die Angst einflößende Situation nun vorbei ist.
Gruselig schön ist auch das Halloween-Fest mit seinen schaurigen Masken, Gänsehaut-Partys und unheimlichen Kürbis-Fratzen in den Fenstern. In die Rollen von Gespenstern, Monstern und Hexen schlüpfen die Kinder, und das hat durchaus eine psychologische Ursache: Indem sie sich in die Figuren der Angst machenden Wesen versetzen, besiegen sie ihre eigene Angst vor dem Unerklärlichen. Der berühmte Psychologe Bruno Bettelheim drückt es so aus: "Alles, was man beschreiben und benennen kann, wird dadurch in den eigenen Machtbereich eingezogen. Aber wenn man es nicht benennen kann, dann kann man es nicht bewältigen." Die Verwandlung in ein grässliches Monster bedeutet also für ein Kind: Macht zu haben über das, was ängstigt, es zu personalisieren und dadurch unschädlich zu machen.
Woher kommen Ängste?
Besorgte Eltern fragen sich oft, woher die Ängste kommen, die ihr Kind in sich trägt. Immer haben sie doch versucht, alles Beängstigende von ihm fern zu halten, und nun redet das Kind an jedem Abend von Löwen im Schrank und einem Gespenst unter dem Bett. Die Sorge der Eltern ist verständlich, aber unbegründet: In jedem Kind wohnen Ängste, auch wenn es niemals eine konkrete Angst erregende Situation erlebt hat. Die Angst vor der Dunkelheit etwa entsteht bereits, wenn das Kind um die acht Monate alt ist, ungefähr zeitgleich mit dem Fremdeln. Diese Angst scheint ein Teil unseres evolutionären Erbes zu sein und war für unsere Ur-Vorfahren lebensrettend: Angst macht wachsam. Wilde Tiere, Gespenster oder Dinge, deren Angst machende Wirkung die Erwachsenen gar nicht verstehen können - es gibt vieles, wovor sich Kinder fürchten. Psychologen sehen in diesen Ängsten die Auseinandersetzung des Kindes mit seinen Konflikten: Hat das Kind beispielsweise Angst, von den Eltern verlassen zu werden, wird ihm aber andererseits die Rolle des kleinen Helden abverlangt ("Du bist doch schon so groß"), so kann dieser Zwiespalt im Kostüm eines bedrohlichen Ungeheuers daher kommen.
Wie aber können Erwachsene mit diesen Kinderängsten umgehen? Nicht indem sie diese wegreden, sondern indem sie dem Kind helfen, sie zu personalisieren und dadurch unschädlich zu machen. Ein Bild zu malen kann eine solche Bewältigung sein. Der wilde Stier, der das Kind im Traum verfolgt hat, ist gar nicht mehr so gefährlich, wenn er mit Stift und Farben zu Papier gebracht wurde. Und vielleicht bekommt er noch ein paar Korken auf die spitzen Hörner. So kann das Kind ihn zähmen. Mit Unterstützung seiner Eltern oder anderer Erwachsener kann das Kind seine inneren Angreifer besiegen.
Leichte Gänsehaut darf sein
Das Gruseln aber, das darf bleiben. Bis hin zum Spiel mit dem Tod, das an Halloween seinen Ausdruck in Klapperskeletten und Totenköpfen findet. Auch hier setzen sich die Kinder mit einem Angst machenden Phänomen auseinander, indem sie es personalisieren und in einem spielerischen Schutzraum bewältigen.
Solange das Kind mit leichter Gänsehaut, aber ohne Angst den Gespenstern begegnet, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Zeigt oder äußert das Kind aber Furcht, sollten Sie dem Halloween-Schabernack ein Ende bereiten. Sie merken, wenn es Ihrem Kind zu viel wird: "Mama, lies nicht mit so gruseliger Stimme vor ..." - dann lesen Sie eben mit normaler Stimme die Geistergeschichte zu Ende. Oder Sie klappen das Buch zu. Den Kindern bewusst Angst zu machen ist nicht erlaubt.
Übrigens soll es auch gute und ziemlich lustige Geister geben, auch an Halloween. Erfinden Sie doch welche!