Am Kühlschrank hängt ein gelber Zettel: "Ich will, dass meine Kinder gesund auf-wachsen." An der Pinwand im Flur steckt ein Kärtchen: "Es soll nicht nach Qualm stinken". Und an der Tür zum Kinderzim-mer prangt ein handgemaltes Plakat: "Rauchfreie Zone."
Martina Kutterer (Name geändert) will nicht mehr rauchen. Seit dem 14. Lebensjahr griff die 39-Jährige zum Glimmstängel, auch während ihrer dritten Schwanger-schaft. Dann setzten plötzlich die Wehen ein, viel zu früh. Die Ärztin im Kranken-haus wurde hellhörig, als sie hörte, dass ihre Patientin eine starke Raucherin ist. Frühgeburten, Fehlgeburten, Totgeburten - das trifft Raucherinnen ungleich häufiger als Nichtraucherinnen. Martina Kutterers ältester Sohn (14) hat seiner Mutter einen Brief in die Klinik geschickt: "Ich will nicht, dass Du wegen dem Rauchen stirbst." "Das hat mich nicht mehr losgelassen", sagt die Frau aus dem Freiburger Raum. Noch in der Klinik startete sie den Ausstieg.
Deutschland geht zu lax mit den Gefahren des Passivrauchens um, warnen Experten. Eltern, die mit Kippe im Mund den Kinderwagen schieben, gehören genauso zum Alltag wie Raucherzimmer gleich neben dem Kreißsaal. Das Einstiegsalter fürs Rauchen liegt jetzt schon bei 11 Jahren. Dabei sind die Folgen gravierend, auch für Nichtraucher: Mehr als 3000 Menschen sterben jährlich in Folge von Passivrauchen, erklärt das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Kinder pfeifen aus dem letzten Loch
"Zu mir kommen Babys in die Praxis, die kaum atmen können und pfeifen und giemen", sagt Wolf-Rüdiger Horn. Der Kinderarzt behandelt Atemnot und Dauer-husten, Asthma und Lungenentzündung - "auffallend häufiger bei Raucherkindern als bei Nichtraucherkindern."
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Tipps für rauchende Eltern
Nicht in der Wohnung rauchen.
- Wenn Sie zum Rauchen nicht auf den Balkon oder in den Garten ausweichen können: Rauchen Sie nur in einem abgeschlossenen Raum, dessen Tür auch nach dem Rauchen geschlossen bleibt.
- Bitten Sie auch Verwandte, Freunde und Bekannte, nicht in Anwesenheit der Kinder zu rauchen. Meiden Sie verqualmte Orte.
- Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder informieren Sie sich bei der Raucherberatung (siehe Infokasten „Hilfe beim Rauchstopp"). Am besten schützen Sie sich und ihr Kind, wenn Sie gar nicht rauchen.
Quellen: Deutsches Krebsforschungsinstitut, Berufsverband Kinder- und Jugendärzte
Horn - er ist der Suchtbeauftragte des Berufsverandes der Kinder- und Jugendärzte - hat selbst Kinder mit verkümmerten Ärmchen und fehlenden Fingern in seiner Praxis. "Wenn man weiß, dass das mit dem Rauchen in der Familie zusammenhängen kann, macht das schon wütend", sagt der Mediziner. "Manchmal riechen selbst die Vorsorgehefte der kleinen Patienten nach kaltem Rauch." Doch Schuldzuweisungen, so betont der Kinderarzt, helfen nicht weiter. "Rauchen ist Sucht, da kann man nicht mit Moral kommen."
Bis zu acht Millionen Kinder in Deutschland leben in einem Raucher-haushalt, - mindestens jedes zweite Kind. Aus den Glimmstängeln ihrer Eltern entweicht ein Gemisch von mehr als 4000 Chemikalien. Mindestens vierzig davon erregen Krebs. Passivraucher atmen den "Nebenstromrauch" ein, der vorne aus dem Glutkegel strömt: In ihm sind Schadstoffe wie Benzol, Cad-mium oder Formaldehyd zum Teil noch konzentrierter als im "Hauptstromrauch", den der Raucher einsaugt.
Für die Kinder der Raucher gibt es kein Entrinnen: Die Schadstoffe kleben an Möbeln, Teppichen, Gardinen und Wänden, so dass selbst gutes Lüften nichts bringt. "Kleine Kinder atmen häufiger ein und aus und nehmen somit mehr Schadstoffe durch die Atemluft auf als große", erklärt Kinderarzt Wolf-Rüdiger Horn. "Ihre Organe sind noch nicht ausgereift und viel anfälliger für Gifte." Kinder aus Raucherhaushalten klagen häufiger über Bauchweh, Schwindel, Kopfschmerzen oder Übelkeit und sind besonders anfällig für Atemwegser-krankungen. Kinderkrankheiten verlaufen bei ihnen schwerer, das Risiko einer Mittelohrentzündung ist für Raucherkinder etwa doppelt so hoch wie für Nicht-raucherkinder. Experten schließen nicht einmal aus, dass das Qualmen Schwangerer bei Kindern zu Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität führen kann.
Eine geschädigte Elterngeneration
"Jedes fünfte Kind ist schon im Mutterleib vom Tabakrauch gefährdet", sagt Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungsinstitut in Heidelberg. Zwanzig Prozent der Schwangeren rauchen - ihre Kinder wiegen im Schnitt weniger, haben kleinere Köpfe und wachsen schlechter als die Säuglinge von Nichtraucherinnen. Die Schadstoffe wandern direkt mit der Muttermilch in den kindlichen Organismus. Etwa 60 Säuglinge sterben jährlich, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft geraucht hat oder die Umgebung verqualmt war.
Und noch ein ganz anderes Problem tut sich auf: "Wir haben inzwischen eine junge Elterngeneration, die wegzusterben droht", sagt Martina Pötschke-Langer.
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Nach dem Rauchstopp…
- 20 Minuten nach der letzten Zigarette gleichen sich die Herzschlagfrequenz und die Körpertemperatur derjenigen des Nichtrauchers an.
- 8 Stunden nach der letzten Zigarette hat sich das Kohlenmonoxid in den Blutbahnen verflüchtigt und dem Sauerstoff Platz gemacht.
- 2 Tage nach dem Rauchstopp verfeinert sich der Geruchs- und Geschmacksinn.
- 3 Tage nach dem Rauchstopp bessert sich die Atmung merklich.
- 3 Monate nach dem Rauchstopp kann sich die Lungenkapazität um bis zu 30 Prozent erhöhen.
Die Zahl der Raucherinnen sei in den vergangenen zwanzig Jahren dramatisch angestiegen. Jetzt kämen immer mehr junge Frauen mit Lungenkrebs in die Kliniken. "Zwischen den Jahren 1990 und 2000 stieg die Zahl der Lungenkrebspatientinnen im Alter bis zu 55 Jahren um 60 Prozent", sagt die Forscherin. "Die mittlere Generation ist durchs Rauchen stark geschädigt."
"Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, weil ich rauche, aber ich habe den Schalter im Kopf nicht umlegen können", sagt Martina Kutterer. Jetzt lässt sie sich beim Rauchausstieg durch eine Raucher-beratungsstelle helfen. Der Berater hatte gute Tipps. Sie bekam interessante Prospekte. Mit ihren Kindern hat sie einen Vertrag geschlossen: "Ich höre auf". Und in ihrer Wohnung hat die Frau nach der Rück-kehr aus der Klinik lauter Zettel aufgehängt: "Ich möchte meine Kinder schüt-zen", "ich spare viel Geld durch den Rauchstopp", "ohne Rauchen schmecke ich mehr, rieche ich besser und habe eine frischere Haut." Noch einen weiteren Zettel hat sie geschrieben, mit einem "krassen Satz", den ihre Kinder nicht sehen sollen. Er steckt im Geldbeutel: "Ich will nicht sterben!"
kizz Linktipps und Adressen
www.rauchfrei-info.de
www.justbesmokefree.de
Rauchertelefon des Deutschen Krebsforschungszentrums: 0 62 21 /42 42 00, Montag bis Freitag 14.00 h - 18.00 h
Beratung bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: 01805 / 31 31 31, Montag bis Donnerstag 10.00 h - 22.00 h, Freitag bis Sonntag 10.00 h bis 18.00 h
Kostenloses Material zum Rauchausstieg bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, www.bzga.de