In Zeiten von medialer Reizüberflutung, Stress und Bewegungsmangel bietet Yoga Kindern den idealen Ausgleich und tritt immer mehr ins Bewusstsein vieler Eltern. Doch was genau ist Yoga, was bewirken die Übungen, wie sieht eine Kinderyoga-Stunde aus, und ab welchem Alter können Kinder damit beginnen? Lesen Sie ein Interview mit Petra Proßowsky, Grundschullehrerin und Diplom-Yogalehrerin, die seit vielen Jahren Kinderyoga unterrichtet und es sogar als Schulfach etabliert hat.
Kann man so etwas wie einen Grundgedanken des Yoga formulieren? Mit welchem Ziel wird Yoga praktiziert?
Ein wesentliches Ziel der Yogalehre ist die Beruhigung der Gedanken. Damit verbunden beruhigt sich der Geist, und Körper und Geist finden Entspannung. Es gibt verschiedene Yogawege, doch allen gemeinsam ist das Ziel der Selbsterkenntnis und der Erkenntnis allen Seins.
Was unterscheidet Yoga für Erwachsene von Kinderyoga?
Bezogen auf die Körperhaltungen üben Erwachsene Yoga mit dem Ziel, sich zu regenerieren. Kinder sind im Aufbau und brauchen deshalb einen anderen Yoga. Die Wirkungen der Asanas treten bei Erwachsenen erst durch längeres Halten der Positionen ein. Kinder sollten die Positionen nicht so lange halten. Besonders Übungen, die auf das Drüsensystem wirken, sollten Kinder nur kurze Zeit einnehmen. Das machen sie normalerweise auch schon ganz automatisch.
Kinderyoga ist bewegter und abwechslungsreicher als Erwachsenenyoga. Während Erwachsene gern ruhig auf der Yogamatte liegen, knien oder stehen und den Anweisungen der Yogalehrer folgen, mögen Kinder Geschichten, Lieder, Sprechverse, Spiele und Tänze, in denen sie die Yogaübungen spielerisch üben. Mit zunehmendem Alter tritt das Spiel immer mehr in den Hintergrund. Im Erwachsenenyoga wird der Atem oft mit den Bewegungen koordiniert. Auch das können Kinder noch nicht. Kinder kräftigen im Yoga spielerisch den Atem durch Pustespiele, Tönen von Tierlauten und Spiele, bei denen die Wahrnehmung des Atems gefördert wird.
Wie hilft die Yoga-Praxis Kindern? Welche Körperfunktionen werden gestärkt?
Yogaübungen fördern die Beweglichkeit, kräftigen den Körper und halten ihn gesund. Der Kreislauf und das Verdauungssystem werden angeregt. Kinder lernen im Yoga, das Gleichgewicht zu halten, was sich auch positiv auf die Psyche auswirkt.
Die Kinder erleben innere Ruhe und finden für einige Momente zu sich selbst. Das ist in unserer schnelllebigen und von ständigen Veränderungen geprägten Zeit ein wesentlicher Aspekt. Durch die Yogaübungen lernen die Kinder, sich zu entspannen, ihre Bewegungen zu koordinieren und die Konzentration zu steigern. Auch das soziale Verhalten verbessert sich, wenn Kinder in einer Gruppe oder Schulklasse gemeinsam Yoga üben.
Ab welchem Alter ist Yoga für Kinder sinnvoll?
In Indien und auch schon hier in der westlichen Welt bereiten sich viele werdende Mütter mit Yogaübungen auf die Geburt vor. So werden die Kinder schon vor ihrer Geburt mit Yoga in Kontakt gebracht. Auch für Babys gibt es in der Yogatradition liebevolle Massagen und gezielte Übungen, die sie an Yoga heranführen.
Ich kenne einige Erzieherinnen, die schon in Kinderkrippen mit kleinen Kindern die ersten Yogaübungen machen. Dreijährige Kinder können in einer Gruppe von 5-6 Kindern Yoga üben, spielerisch und nicht länger als eine halbe Stunde.
Meine Erfahrungen stützen sich auf 5-6-jährige Vorschulkinder. Die sind in der Lage, 45-60 Minuten am spielerischen, abwechslungsreichen Yogaunterricht teilzunehmen.
Gibt es gesundheitliche Einschränkungen, die gegen Yoga sprechen?
Wenn Yoga den Kindern altersgemäß und ohne Druck vermittelt wird, kann ich mir keine Einschränkungen vorstellen. Natürlich sollte ein Kind, wenn es krank ist und Fieber hat, keine Yogaübungen machen.
Im Yoga werden die Kinder sensibilisiert, auf ihren Körper zu achten und ihn nicht zu überfordern, aber auch nicht zu unterfordern. Kinder mit psychischen Krankheiten sollten keine Fantasiereisen machen, und Kinder mit körperlichen Behinderungen machen das, was ihnen möglich ist.
Sehen die Kinder im Yoga eher einen Sport oder ein Spiel, ist es für sie fremd und gewöhnungsbedürftig oder ganz normal?
Kinder, die von klein auf Yoga üben, finden Yoga ganz normal. An meiner Schule ist Yoga Unterrichtsfach. Ein Junge wechselte durch Umzug der Eltern nach ca. drei Monaten die Schule. Als er uns nach einiger Zeit wieder besuchte, sagte er: "Stell dir vor, an meiner Schule gibt es kein Yoga!"
Für ältere Kinder ist es sicher gewöhnungsbedürftig. Ich habe mal einer 4. Klasse Yoga vorgestellt, die vorher noch keinen Yogaunterricht hatten. Da hatten einige Kinder Probleme, sich mit dem Körper auszudrücken. Wenn ich Yoga bei Schulanfängern einführe, ist es für sie etwas Besonderes, das Spaß macht. Wichtig ist, dass Kinder in diesem Alter Yoga spielerisch und kindgerecht lernen.
Wie hat man sich eine Kinderyoga-Stunde vorzustellen? Können Sie ein paar Beispiele für die praktizierten Übungen nennen?
Ich beginne den Yogaunterricht immer mit einem Kerzenritual. Die Kinder schauen still in eine Kerze und schicken das Licht dann in die Welt, dorthin, wo es gebraucht wird. Es folgt ein Bewegungsablauf, in dem die Kinder die Wirbelsäule in acht Richtungen bewegen und in einem Sprechvers die Welt begrüßen.
Dann erzähle ich eine Geschichte, in der Yogahaltungen vorkommen, die von den Kindern ausgeführt werden. Zum Schluss entspannen die Kinder, reflektieren über die Geschichte oder massieren sich gegenseitig den Rücken, auch nach einem Sprechvers. Ältere Kinder, etwa ab der dritten Klasse, machen schon den Sonnengruß, den auch Erwachsene praktizieren, sie lieben Übungsreihen mit Schwerpunkten, wie z.B.: Wie kann ich meine Wut loslassen? Was hilft mir, wenn ich traurig bin? Wie steigere ich meine Konzentration und Aufmerksamkeit? Gerne üben sie auch Yoga nach Musik und machen Spiele mit Yogahaltungen.
kizz Linktipps
Wo findet man Informationen, wenn man Näheres über Kinderyoga erfahren möchte oder einen Lehrer/Lehrerin in der Nähe sucht?
Informationen gibt es im Internet unter:
www.kinderyoga.de
www.pro-yoga.de
kizz Literaturtipps
Petra Proßowsky: Bewegung und Sprache / Kleine kommen ganz groß raus!. Sportjugend Berlin, Jesse Owens Allee 2, 14053 Berlin, bestellen unter Tel.: 030/30002193 (Frau Bahn) oder www.lsb-berlin.net
Petra Proßowsky / DeFlyer (2003): Traumgeschichten. Entspannungs- und Konzentrationsübungen mit CD und Musik . Auer Verlag
Gunhild Delitz / Petra Proßowsky (2002): Bri- Bra- Brillenbär. Sprachspiele für Kinder in multikulturellen Gruppen. Auer Verlag
Petra Proßowsky (1999): Hokus Pokus Asana. Yogaspiele für jeden Monat des Jahres . Aurum Verlag
Petra Proßowsky (2007): Kinder entspannen mit Yoga. Von der kleinen Übung zum kompletten Kurs. Verlag an der Ruhr
Petra Proßowsky / Michael Chissick (2005): Bewegungsgeschichten. Körperwahrnehmung fördern, Selbstbewusstsein stärken. Auer Verlag