Kreativitätsentwicklung U3

Es müssen vier unterschiedliche Blickwinkel genauer betrachtet und aufeinander bezogen werden:

• Die kreative Person: Neugierde und Offenheit sind ein wichtiger Antrieb für Kreativität. Hierbei spielt die Wahrnehmungsfähigkeit eine entscheidende Rolle: Hat das Kind die Möglichkeit, zunächst nur zuzuschauen? Oder wird es gedrängt, gleich tätig zu werden? Die Jüngsten beobachten ältere Kinder im Umgang mit Dingen, dabei entsteht das Bedürfnis, es selbst ausprobieren zu wollen. Ihre Frustrationstoleranz und ihr Durchhaltevermögen helfen ihnen dabei, mit Schwierigkeiten umzugehen. Herausforderungen regen flexibles Denken an, so dass ungewöhnliche Assoziationen entstehen und weiterverfolgt werden: Aufbauend auf ihrem Wissen und ihrer Erfahrung kombinieren Kinder Dinge miteinander. Damit überschreiten sie womöglich die Grenze dessen, wozu der Gegenstand eigentlich da ist, und entwickeln Originalität.

• Der kreative Prozess: Kinder durchlaufen einen kreativen Prozess, der sich in vier Phasen unterteilen lässt

1. Phase der Inkubation: Das Kind „brütet“ eine Idee aus und sammelt zunächst Eindrücke, z. B. beobachtet es die  größeren Kinder.
2. Phase der Präparation: Das Kind bereitet sich vor. Daraufhin wird es selbst tätig: Es untersucht das Material; niemand schreibt ihm dabei vor, was es zu tun hat.          
3. Phase der Illumination: Das Kind hat einen Geistesblitz. Während dieser Tätigkeit reift in dem Kind eine kreative Idee, z. B. verschiedene Materialien zu  kombinieren.
4. Phase der Verifikation: Das Kind überprüft die Umsetzbarkeit der Idee.

• Das kreative Produkt: Kinder erstellen originelle und neuartige Produkte, diese enstehen in einer komplexen Handlungsabfolge. Ein solches Produkt ist durchaus sinnhaft und brauchbar, denn es dokumentiert für das Kind selbst und für die pädagogische Fachkraft den Lern- und Bildungsprozess, den es gerade durchläuft. Auch kann das Produkt als Grundlage für weitere Ideen oder anderen Kindern als Anregung dienen.

• Das kreative Umfeld: In einer kreativitätsfördernden Umwelt hat das Kind die Möglichkeit, an seinen individuellen Erfahrungsstand anzuknüpfen. Davon ausgehend eröffnet die Fachkraft ihm weitere vielfältige und anregende Erfahrungen. Dies geschieht vor allem durch die Schaffung einer Werkstatt-Umgebung, die so eingerichtet ist, dass es inspirierend, aber nicht chaotisch ist. Das bedeutet, dass die Materialien geordnet in transparenten Kisten und Schubladen aufbewahrt werden und die Kinder selbstständig darauf zugreifen können. Denn Kreativität wird durch Materialien und Anlässe geweckt, nicht durch fest vorgeplante Aufgabenstellungen. Toleranz und Offenheit für unterschiedliche Problemlösungen sind wichtig, es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“. Das Kind kann mit Neugier und ohne Zeitdruck probieren, variieren und experimentieren, ungewöhnliche Sichtweisen entwickeln und eigene Perspektiven einnehmen. Die pädagogische Fachkraft wertschätzt das Kind, honoriert auch ungewöhnliche Ansätze und nimmt scheinbar Unpassendes ernst. In einer solchen Atmosphäre kann der sogenannte „Flow“ entstehen: „Flow“ (engl.: fließen) bezeichnet das Erlebnis, selbstgenügsam im eigenen Tun zu versinken und hierbei Zeit und Raum um sich herum zu vergessen.

Grundlegend für die Förderung der kindlichen Kreativität ist es, über das nötige Wissen zur Entwicklung des zwei- und dreidimensionalen Gestaltens in den ersten Lebensjahren zu verfügen.

• Das Spurschmieren in den ersten Lebensmonaten:
  Der Säugling hinterlässt zunächst zufällige und unwillkürliche Spuren, etwa auf dem Tisch, auf dem er Brei, ausgelaufene Milch oder Essensreste mit den Fingern verteilt. Erst in den darauffolgenden Monaten erkennt das Kind immer deutlicher, dass seine Bewegungen bestimmte Veränderungen in dem Material hervorrufen: Der Brei-Fleck zeigt deutlich die eigenen Fingerspuren. Etwa mit zwölf Monaten beginnt das Kind, dieses Phänomen systematischer zu erforschen: Es macht willentlich Bewegungen in Material wie Salbe, Brei oder Spucke und stellt fest, dass seine Bewegungen zu bestimmten Formen führen. Meist handelt es sich hier um rhythmische Wiederholungen, um sich der erkannten Verbindung zwischen der eigenen Bewegung und der hierdurch verursachten Spur zu vergewissern. Das Kind erlebt sich auf diese Weise rudimentär als „Schöpfer“ eines „Werks“. Fachkräfte sollten solche Tätigkeiten nicht aus hygienischen oder ethischen Gründen („Mit Essen spielt man nicht.“) immer und überall unterbinden. Im Gegenteil: Die Fachkraft kann dem Kind zusätzlich alternative Materialien bereitstellen. Im Sommer lässt sich bspw. draußen eine Matschecke einrichten; auch Fingerfarbe, Salbe oder Rasierschaum halten Bewegungen und Gesten fest.

• Der Einsatz von Werkzeugen:
  Ab ca. zwölf Monaten eignet sich das Kind an, Dinge als Werkzeuge zu fassen und zu führen – meist mit der ganzen Faust. Beispiel hierfür ist der Löffel, der gezielt geführt werden will, um die Nahrung in den Mund zu befördern. Er kann aber auch als Werkzeug dienen, um Breiflecken auf dem Tisch zu verteilen. Hier zeigen sich Vorformen des Zeichnens und Malens mit Stift oder Pinsel. Entscheidend ist, dass nicht mehr die Finger selbst benutzt werden, um die Spuren zu erzeugen. Hält das Kind einen Stift oder weiche Wachsmalkreide in der Hand, erfährt es, dass es damit durch bestimmte Bewegungen Kritzel hinterlassen kann.

• Die Kritzelphase:
  Die sensomotorischen Kritzelspuren haben bis zum Alter von 18 bis 24 Monaten für das Kind keine inhaltliche Bedeutung, sie sollen nichts darstellen. Die Frage von Erwachsenen „Was ist das denn?“ hilft dem Kind nicht, sie führt zu Antworten wie „Weiß nicht“. Dies ändert sich in der Phase des sinnunterlegten Kritzelns mit etwa zwei bis zweieinhalb Jahren. Hier hat das Kind mit voranschreitender Sprachentwicklung unwillkürlich konkrete Assoziationen beim Betrachten seiner eigenen Kritzelspuren. Es entdeckt in den Kritzeln Dinge oder Zeichen, die es aus seiner alltäglichen Umwelt kennt. Ein geschlossener Kreis kann ein Ball oder eine Sonne sein. Wird dieser Kreis mit zwei Punkten und einem Strich gefüllt, entsteht die Assoziation zu einem Gesicht. Und werden an diesem Kreis außerdem zwei Linien angesetzt, ist unter Umständen ganz bewusst die erste Menschendarstellung entstanden.

• Dreidimensionales Gestalten:
  Durch die Vorliebe des Kindes für sämige und teigige Materialien beim Spurenschmieren ist der Übergang zum dreidimensionalen Gestalten mit leicht formbaren Materialien fließend: Indem das Kind erkundet und hantiert, entstehen fast von selbst plastische Objekte, etwa durch das Zusammendrücken von Matsch oder Knete. Auch hier wird die zunächst zufällige Veränderung des Materials vom Kind schließlich willentlich gesteuert: Es bohrt mit den Fingern Löcher in die Masse, klopft einen Klumpen flach oder zerreißt ihn in kleinere Stücke. Diese verteilt es bspw. auf der Tischplatte, reiht sie nebeneinander auf oder setzt sie wieder aneinander. Solche Ordnungsprinzipien lassen sich auch beim dreidimensionalen Gestalten mit festen Materialien wie Bauklötzen erkunden. Schon vor dem dritten Geburtstag können auch hier „sinnunterlegte“ Benennungen hinzukommen, etwa wenn das Kind die aufgereihten Tonstückchen als ein großes Ganzes sieht und als „Zoo“ oder die Bauklötze als „Häuser“ bezeichnet.