Alltagsmaterialien neu entdecktAlter Plunder?

Flaschendeckel, Halskette und Handtaschen: In einer Hamburger Kita werden die Kinder zu einem fantasievollen Umgang mit „altem Krempel“ angeregt. Wir zeigen, wie vielfältig und spannend dieser sein kann.

Jeden Montagmorgen klappert und blinkt es vor der Kita – das Müllauto ist wieder da! Die Kinder eilen ans Fenster, um die Männer und Frauen der Stadtreinigung bei ihrer Arbeit zu beobachten. Auch auf dem Weg zum Spielplatz üben Mülltonnen auf die Kinder eine ganz besondere Faszination aus. Ihr anhaltendes Interesse bildet den Grundstein für das Recycling-Projekt, das die Mädchen und Jungen u. a. an eine umweltbewusste Lebensweise heranführen möchte. Müll, Plastiktüten, Alltagsmaterialien und Alltagskunst: Das Projekt umfasst vier thematische Blöcke, die jeweils mit zahlreichen Aktivitäten verbunden sind. Die Kinder sollen sich dem Thema auf vielfältige Weise nähern können, die pädagogischen Fachkräfte geben ihnen viel Raum und Zeit für eigenständige Erkundungen. Durch Ausflüge, z. B. zu Altpapiercontainern, und das eigenständige Trennen des Kitaabfalls schaffen die Erzieherinnen außerdem direkte Berührungspunkte zum Thema „Müll“.
Schnell stellt sich heraus, dass sich die Kinder vor allem für jene Gegenstände interessieren, die in ihrem Familienalltag eine konstante Rolle spielen. Im Folgenden sollen deshalb die beiden Projektmodule vorgestellt werden, in denen Alltagsmaterialien im Mittelpunkt stehen. Schraubverschlüsse, Brillen oder Portemonnaies bieten aufgrund ihrer Offenheit einen besonders hohen Spielanreiz und ermöglichen Kindern vielfältige Erkenntnisse. Damit sich die jungen Forscher ganz und gar auf die ausrangierten Objekte einlassen können, wird zunächst alles vorgefertigte Kita-Spielzeug gemeinsam in den „Urlaub“ geschickt. Dann kann die spielzeugfreie Zeit beginnen – und mit ihr das kreative Recyceln von spannenden Dingen, die oft achtlos in die Mülltonne geworfen werden.

Wir erforschen Deckel

Während der 14 Monate alte Quentin die Formen und Beschaffenheiten eines Flaschendeckels oral und taktil untersucht, entdecken Mila und Marlene (22 Monate), dass die Marmeladendeckel ineinandergesteckt werden können. Die älteren Kinder der Gruppe sind damit beschäftigt, verschiedenste Deckel nach Größe, Form und Farbe zu sortieren und Deckel-Türme zu bauen. Dabei tauschen sie sich kontinuierlich über ihre Entdeckungen aus: „Der hier fühlt sich kalt an“ – „Meiner kann rollen“.

Nachhaltige Bildung in der Kita

Nachhaltig zu leben bedeutet u. a.:

  • abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt.
  • Sich darüber bewusst zu sein, dass jeder Einzelne durch sein Verhalten die Welt ein Stück verbessern kann.

Es ist Aufgabe der Bildungsinstitutionen, nachhaltige Entwicklung zu fördern. Grundlage hierfür ist die Agenda 21, ein entwicklungsund umweltpolitisches Aktionsprogramm zur Lösung globaler Probleme des 21. Jahrhunderts. In Krippen und Kitas werden die Grundlagen für eine verantwortungsvolle Lebensweise gelegt: Sie ermöglichen den Jungen und Mädchen die spielerische Auseinandersetzung mit zukunftsrelevanten Themen und fördern Kompetenzen, die für nachhaltiges Handeln erforderlich sind. Mit der Auszeichnung als „KITA21“ werden Einrichtungen geehrt, die sich nachweislich für nachhaltige Entwicklung engagieren. Nähere Informationen, u. a. zur Zertifizierung und entsprechenden Fortbildungen unter: www.kita21.de

Für dieses Projektmodul werden zunächst Deckel aller Art in einer durchsichtigen Box gesammelt: von Kronkorken über Deckel von Kunststoffdosen bis hin zu größeren Schraubverschlüssen. Während die Mädchen und Jungen diese Sammlung im Freispiel erforschen, lernen sie mit allen Sinnen – das hilft, neu gewonnene Erkenntnisse nachhaltig zu speichern. Viel wichtiger als abrufbares Wissen ist aber der Prozess des Erkundens an sich: Das zweckfreie Material weckt die kindliche Neugier und regt zu immer neuen Experimenten an.
Um das Erfahrungsfeld zu erweitern, werden nach ein paar Tagen weitere Materialien eingeführt, die zu neuen Aktivitäten anregen. Aenne und Mia befüllen Einkaufsbeutel mit Deckeln und spielen das alltägliche Einkaufen nach. Frida (18 Monate) stopft Deckel in Blechbüchsen und hat damit ein Klanginstrument geschaffen. Jarik und Clara-Sophie (30 Monate) lassen Deckel durch Pappröhren rutschen, und finden dabei Antworten auf wichtige physikalische Fragen: Welche Deckel rollen, welche rutschen? Welcher Deckel ist am schnellsten? Wieso rutschen die Deckel nicht, wenn die Röhre auf dem Boden liegt?
Besonders viel Spaß haben die Kinder an der großen Plastikwanne, die mit Wasser und bunten Flaschendeckeln befüllt wird. Messbecher, Löffel und weitere Schüttgefäße liegen zur freien Verwendung bereit. Die Mädchen und Jungen beginnen, den Inhalt der Wanne hin- und herzuschütten. Wie viele Deckel passen in den Becher? Warum läuft das Wasser aus dem Becher heraus? Die spielerische Beschäftigung ermöglicht erste Erfahrungen mit Mengenverhältnissen und fördert u. a. die Hand-Auge-Koordination.

Kunst aus Abfall

Auch beim bildnerischen Gestalten geben die Deckel aufgrund ihrer Zweckoffenheit neue Impulse. Die Jüngsten genießen es, die unterschiedlichen Verschlüsse in Fingerfarbe zu tauchen und mit den Händen einzureiben. Auf der glatten Deckeloberfläche vermischen sich die Farben zu bunten Regenbögen. Die etwas älteren Kinder greifen zum Pinsel und bemalen die Deckel von allen Seiten. Das wiederum hinterlässt auf dem ausgelegten Papier verschiedenfarbige Spuren, die die Kinder bewusst vermischen.
Mit der Deckelsammlung lassen sich zudem farbenfrohe Gemälde nach dem Prinzip von Murmelbildern herstellen. Hierfür wird ein Blatt (Ton-) Papier in einen Pappkarton eingelegt und mit zwei bis drei Fingerfarben kreuz und quer über das Blatt „gekleckert“, z. B. mithilfe eines ausrangierten Löffels. Die Kinder lassen nun einige Kunststoffdeckel in den Karton fallen und schütteln diesen mit vereinten Kräften hin und her. Die Deckel rutschen von links nach rechts – neben der wunderbaren Deckelmusik entsteht dadurch ein kunterbuntes Kunstwerk auf dem Kartonboden, das evtl. künftig den Gruppenraum schmückt. Die ebenfalls farbigen Deckel aus dem Karton werden getrocknet und mit einem Handbohrer durchlöchert (durch die ausschließliche Verwendung von Plastikdeckeln entstehen dabei keine scharfen Bohrlöcher). Schon etwas ältere Kinder können anschließend dabei helfen, die Deckel auf mehrere lange, stabile Bindfäden o. Ä. aufzufädeln, die, an einem Holzkranz befestigt, an der Zimmerdecke aufgehängt werden. Die Fäden werden dabei so lang belassen, dass sie fast bis zum Boden reichen. Ein buntes Klangmobile ist entstanden.

Wir schmücken uns

Eine Verkleidungsbox scheint auf den ersten Blick nichts Neues zu sein. Der Blick in die Kiste ist bei diesem Projektmodul jedoch ein anderer als üblich. Denn der Fokus liegt nicht vorrangig auf ausgedienten Kleidern, sondern vielmehr auf all den anderen Dingen, die in solchen Kisten nicht fehlen sollten: Ketten, Haarbänder, Handtaschen, aber auch alte Schuhe oder Brillen (ohne Brillengläser) sorgen in der Regel für große Begeisterung bei unter Dreijährigen!
Stellen Sie eine größere Auswahl an Accessoires zur Verfügung, können sich die Mädchen und Jungen jeweils ein Schmuckstück aussuchen, das ihnen gefällt und sich intensiv mit diesem beschäftigen. Besonders begehrt sind in der Regel Handtaschen und Portemonnaies: Sie können nicht nur für den Transport von Gegenständen eingesetzt werden, ihre Reißund Klettverschlüsse sowie Druckknöpfe werden immer wieder aufs Neue geöffnet und geschlossen. Das fördert das taktile Empfinden und schult die Frustrationstoleranz – immerhin erfordert diese Handlung ein großes Maß an Geschicklichkeit. Auch Modeschmuckketten, Armbänder und Haarspangen bieten den Mädchen und Jungen einen hohen Spielanreiz. Ihre filigranen Bestandteile, z. B. bunte Perlen, erzeugen faszinierende Geräusche und lassen im Sonnenlicht schöne Farbspiele entstehen. (Hinweis: Beim Spiel mit Ketten und verschluckbaren Kleinteilen sollte immer eine aufmerksame Fachkraft in der Nähe sein.)

Der Wortschatz wächst

Das Spiel mit aussortierten Schmuckstücken und anderen Accessoires fördert die altersübergreifende Bindung zwischen den Kindern: Die älteren übernehmen schnell eine gewisse Vorbildfunktion und stehen den jüngeren zur Seite, z. B. beim Anlegen des Schmucks. Der Verkleidungsprozess jedes einzelnen Kindes wird zusätzlich von einer Pädagogin begleitet. Neben der individuellen Aufmerksamkeit, welche die Kinder dadurch erfahren, kommt dies auch ihrer Sprachentwicklung zugute: Gemeinsam werden die einzelnen Objekte mit Begriffen wie z. B. „glatt“, „kratzig“ oder „kalt“ verknüpft. Fotos von den Kindern, geschmückt mit ihren alten, neuen Accessoires, dienen auch nach dem Projekt noch als schöne und lehrreiche Gesprächsanlässe.

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