Das Kind in den Blick nehmen, Beziehung gestalten, Bewegung fördern: Hohe Betreuungsqualität in Kitas und Tagespflegestellen drückt sich nicht zuletzt in der konkreten Gestaltung von Pflegemomenten aus. Im Zentrum steht dabei vor allem eine responsive, also auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmte Gestaltung der Wickelsituation. Das Kinaesthetics Infant Handling gibt pädagogischen Fachkräften hier wertvolle Impulse.
Dieses pflegewissenschaftliche Bewegungskonzept stammt ursprünglich aus den USA. Es versteht Pflegesituationen im u3-Bereich als sogenannten Bewegungs- und Berührungsdialog zwischen Kind und Bezugsperson, an dem beide Interaktionspartner aktiv beteiligt sind. Es beruht weiterhin auf der Annahme, dass der Mensch Bewegung erlernt, indem er den Bewegungen seiner Umwelt folgt und diese nachahmt. Fachkräfte sollten deshalb in allen Alltagssituationen, ob beim Wickeln, Tragen oder An- und Ausziehen, in einen sensiblen, an die besonderen Bedürfnisse angepassten Kontakt mit Kleinkindern treten, auf ihre Bewegungen eingehen und diese unterstützen. Das ist umso bedeutsamer, als Interaktion mit Kindern unter drei Jahren noch sehr häufig auf der körperlichen Ebene stattfindet.
Der Ansatz des Kinaesthetics Infant Handling bietet vor allem auch auf dem Weg zur inklusiven Krippe wichtige Erkenntnisse zum Umgang mit behinderten Kindern: Er ermöglicht Fachkräften, jedem Kind gemäß seinen individuellen motorischen Fähigkeiten und Bedürfnissen zu begegnen.
Vorteile für Kind und Fachkraft
In der Praxis werden Kinder häufig noch in der sogenannten „Truthahnstellung“ gewickelt – im Hinblick auf Eigenaktivität eine äußerst ungünstige Position. Das Kind kann auf diese Weise weder am Bewegungsaustausch teilnehmen noch seine Körperhaltung selbstständig verändern, es muss das Wickeln passiv geschehen lassen. Das gesamte Körpergewicht ruht infolge dieser Stellung außerdem auf dem Brust- und Kopfbereich, was zu einer erhöhten Druckbelastung in der oberen Körperhälfte führt. Aus diesem Grund nehmen Kinder mittels ihrer Körperspannung oftmals eine abwehrende Haltung ein. Im Gegensatz hierzu ermöglicht das Kinaesthetics Infant Handling dem zu wickelnden Kind ein deutlich höheres Maß an Eigenaktivität. Durch gezielte Bewegungsschulungen lernen pädagogische Fachkräfte, ihr eigenes Interaktionsverhalten kontinuierlich zu reflektieren und dieses auf das Kind und seine Signale, seinen Muskeltonus und die Art seiner Bewegungsabläufe abzustimmen.
Wenn Pflegesituationen nicht mehr nur durch rein mechanische Tätigkeiten der Fachkraft, sondern durch einfühlsame Bewegungen beider Interaktionspartner geprägt sind, kann aus dem Wechseln einer Windel eine Lernsituation für das Kind und ein inniger Moment der Zweisamkeit werden. Durch die aktive Einbeziehung in die Interaktion werden Kinder in ihrer motorischen Entwicklung unterstützt und erfahren Selbstwirksamkeit und Wertschätzung. Doch auch die Fachkräfte profitieren: Studien zeigen, dass sich solch interaktiv gestaltete Wickelsituationen für sie körper- und kräfteschonend auswirken. Insbesondere hohe Belastungen für Oberkörper und Rücken werden durch das Kinaesthetics-Konzept minimiert – Körperregionen, die in der täglichen Arbeit mit sehr jungen Kindern besonders beansprucht werden.
Bewegung durch Impulse
Im Folgenden soll eine beispielhafte Wickelsituation nach Kinaesthetics Infant Handling beschrieben werden. Zunächst ist es wichtig, eine harte Wickelunterlage zu verwenden – sie bietet dem Kind den Widerstand, den es benötigt, um Bewegungen selbst auszuführen. Auf einer weichen Unterlage sind Eigenbewegungen des Kindes nur mit großen Anstrengungen möglich. Während ältere Kinder in der Regel bereits weitgehend selbstständig auf den Wickeltisch klettern können, sollten Babys behutsam auf die Ablage gelegt werden. Um die Kinder in die Bewegungsvollzüge des Wickelns einzubeziehen, kann die Fachkraft diese durch leichte Berührungsimpulse an knochenlastigen Körperteilen wie etwa Schultern, Knie oder Becken anregen (s. Abb. S. 29). Etwas ältere Kleinkinder kann die Fachkraft bitten, die gewünschte Seitwärtsbewegung eigenständig auszuführen. Wenn sehr junge Kinder die äußeren Impulse noch nicht alleine in Bewegung umsetzen können, gibt die Fachkraft ihnen zusätzliche Unterstützungshilfe an Knie, Becken und / oder Schulter und passt die Drehbewegung an die Geschwindigkeit des Kindes an. Durch die spiraligen Drehbewegungen, bei denen die kindlichen Bewegungsressourcen genutzt werden, können die Kinder besser nachvollziehen, was mit ihnen geschieht, sie entsprechen dem natürlichen menschlichen Bewegungsmuster und sind angenehm auszuführen. Zudem bringen Kinder eigene Anstrengungen ein. Die Wickelsituation wird somit zu einem kooperativen, aufeinander abgestimmten Bewegungsaustausch.