Mobiliar für interaktive Pflege"Möchtest du die Hose selbst zumachen?"

Wickeln auf Augenhöhe – im physischen wie psychischen Sinne. Der Stehwickeltisch fördert die Kooperation mit dem Kind, fordert jedoch auch einige Kompetenzen von der Fachkraft.

© Dennis Meiners

Abhängig von den Betreuungszeiten werden Mädchen und Jungen in Kindertageseinrichtungen mehrmals täglich und teilweise von verschiedenen Fachkräften gewickelt. Während des Wickelns sind die Kinder nackt und werden von Ausscheidungen im Genitalbereich befreit. Für diese intime Handlung bedarf es eines sensiblen Blicks. Ein Wickelmobiliar ohne Haltemöglichkeit richtet sich oft weniger an autonome und interaktive Kinder. Zudem entsprechen Wickelflächen etwa der Durchschnittsgröße eines Zweieinhalbjährigen, was die Partizipation bei der Pflege im Liegen weiter erschwert. Außerdem beeinträchtigt der Abstand zwischen dem Gesicht des auf der Wickelfläche liegenden Kindes und seiner Fachkraft eine ausreichend gute Kommunikation. Durch die horizontale Lage des Kindes ist es diesem nicht möglich, die Handlungen der pädagogischen Fachkraft zu beobachten. Damit hat das Kind keinen Einfluss auf das Geschehen im Intimbereich und kann sich mit der Fachkraft nicht über einen gemeinsamen Fokus, z.B. den Inhalt der Windel, austauschen. Um ein Umkleiden oder Wickeln im Stehen zu ermöglichen, müssen weitreichende Aspekte beachtet werden, bspw. kann ein Kleinkind auf herkömmlichen Wickelplätzen mit weichen Schaumstoffunterlagen, jedoch ohne umgebendes Gitter, nicht sicher stehen.

In Anbetracht dieser Herausforderungen stellt sich die Frage:
Wie kann eine Fachkraft in Kita und Kindertagespflege einen Pflegeprozess auf Augenhöhe gestalten und welches Mobiliar ist dabei unterstützend?

Wickelmobiliar nach Pikler

Nimmt man die Aussage „Wickeln auf Augenhöhe“ wörtlich, so lohnt sich ein Blick in die Kleinkindpädagogik nach Emmi Pikler. Im damaligen Waisenheim Lóczy in Budapest gestaltete die Kinderärztin mit ihren Pflegerinnen ein Heim für die Jüngsten. Ihr Bild von einem kompetenten Säugling war ausschlaggebend für eine achtsame Haltung auch in Schlüsselmomenten wie der Pflege. Nicht zuletzt das Wickelmobiliar spielte dabei eine große Rolle.
Während sich die aktuellen Anforderungen im Nationalen Kriterienkatalog (NKK) an einen geeigneten Wickelplatz lediglich auf „angemessene Höhe, sicher, weich gepolstert“ beschränken (Tietze u.a. 2016), hatte Pikler einen höheren Anspruch an entsprechendes Mobiliar. Ihr Ziel war eine Pflege voller Zuwendung und insbesondere ein einfühlsames Miteinander.
Der Wickelplatz nach Pikler ist an drei Seiten von einem Gitter aus senkrechten Holzstäben umgeben. Die Fläche für das Kind ist nicht gepolstert, so ist es ihm während der Pflege möglich, sich frei und sicher zu bewegen. Es kann sich an den Stäben hochziehen und je nach Entwicklungsstand während des Wickelns oder Umkleidens stehen oder sitzen. Für die größeren Kinder bieten sich Wickelplätze an, die niedriger sind, damit sie den Fachkräften in Pflegesituationen weiterhin auf Augenhöhe begegnen. Auf diesen können die Mädchen und Jungen jedoch nicht mehr liegen. Aus diesem Grund ist es wichtig zu beachten, dass die aufrechte Haltung bspw. während des Säuberns für das Kind zunächst ungewohnt oder aufgrund von Müdigkeit zu anstrengend sein kann. Deshalb sollten immer beide Optionen zur Auswahl bestehen: Wickeln in der horizontalen sowie vertikalen Ausrichtung.

Aufrechtes Gegenüber

Eine im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführte Studie aus dem Jahr 2020 hat gezeigt, dass die aufrechte Haltung des Kindes während eines Wickelprozesses seine aktive Rolle im Dialog mit der Fachkraft begünstigt (Weis 2020; s. INFO). In Form von Gesten oder einzelnen Worten können die Jüngsten in dieser Haltung eigene Themen einbringen, so ein Ergebnis der Untersuchung. Aufgabe der Fachkraft ist es, diese in einen Kontext zu bringen, die Gesten der Kinder zu versprachlichen und so in einen aufmerksamen Austausch mit ihnen zu gehen (s. Ausgabe 6/2018, S. 8–9). Grundlegend für diese Begegnung ist der Wunsch von beiden, sich näher kennenzulernen. Auch eine offene Körperhaltung ist dabei essenziell (Tardos 2016). In der Studie beschrieben pädagogische Fachkräfte die Interaktion mit einem aktiven Gegenüber, welches sich mit seinen Kompetenzen und Bedürfnissen einbringt, als angenehm. Zeitgleich kann es aber herausfordernd sein, das Kind zu wickeln, mit diesem im Austausch zu stehen und gleichzeitig seinen Bewegungen und Positionen zu folgen. Die parallele Aufmerksamkeit auf das Kind und die Pflegehandlungen verlangt eine hohe Konzentration der Fachkraft. Kurze Zeitfenster für Wickelprozesse und damit Zeitstress während der Pflege können zusätzlich zu Anspannung und Unruhe führen und damit mögliche Interaktionen und Berührungen negativ beeinflussen. Als hilfreich werden in solchen Situationen die Gitter um den Wickelplatz empfunden. Die Jüngsten können ihren Bewegungsimpulsen frei nachgehen und ihre Positionen selbstbestimmt wählen (Vincze 2016). Zu keinem Zeitpunkt muss die Fachkraft ein Kind zum Liegen bringen oder darauf achten, dass es nicht vom Wickeltisch fällt.

Das Bedürfnis teilzunehmen

In der Studie erlebten die Fachkräfte das Kind auf dem Stehwickeltisch als sehr kooperativ, ausgeglichen und interessiert. Je nach Entwicklungsstand der Mädchen und Jungen können dabei verschiedene Themen im Fokus stehen.
Während es bei einem Säugling möglicherweise zunächst die verwendeten Materialien, die Berührungen und der Wickelvorgang an sich sind, steht bei einem Kleinkind die Selbstständigkeit, Sprache oder das soziale Miteinander mit der pädagogischen Fachkraft im Mittelpunkt.
Abschließend betrachtet ist der Stehwickeltisch keine Garantie für einen Wickelprozess auf Augenhöhe. Zeitdruck und damit einhergehende Anspannung der pädagogischen Fachkräfte können dem im Wege stehen. Dennoch lädt der Stehwickeltisch in einer intimen Begegnung zwischen Kind und Fachkraft zu einem achtsamen, wertschätzenden und kooperierenden Miteinander ein.

INFO

Stehwickeltisch in der Praxis

Im Rahmen ihrer Masterarbeit „Wickeln auf einem Stehwickeltisch“ führte die Autorin unter Begleitung von Prof. Dr. Dorothee Gutknecht eine Studie durch. Für diese wurden auf einem dem Entwicklungsstand des Kindes angemessenen Mobiliar drei Wickelvorgänge von Pikler-Expertinnen kommentiert.

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