Margot Käßmann & Konstantin WeckerAb jetzt wird nicht mehr bewaffnet!

Dass Pazifismus aktive Friedensarbeit ist, die vor jeder militärischen Auseinandersetzung beginnen muss, darin sind sich der Liedermacher Konstantin Wecker und die Theologin Margot Käßmann einig. Ein Gespräch über Vorbilder, Angst und Schuld.

Ab jetzt wird nicht mehr bewaffnet!
Margot Käßmann und Konstantin Wecker in Wittenberg 2017© Kolja Warnecke

Mitten im Leben: Welche biografischen Erfahrungen brachten Sie dazu, sich für den Frieden zu engagieren?

Konstantin Wecker: Meine Eltern waren Antifaschisten, was ein großer Segen für mich war. Ich konnte mit meinen Eltern über diese grauslige Zeit reden, sie wurde nicht wie bei den meisten meiner Schulkameraden aus Scham totgeschwiegen. Mein Vater hat den Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg verweigert und wie durch ein Wunder überlebt. Meine kämpferische Mutter ging bis zu ihrem Tod auf Friedensdemos. Sie sagte zu mir: „Schau mal Konstantin, da im Münchner Rathaus, da war diese braune Brut, ich habe diese Verbrecher erlebt, aber die Neonazis sind doch viel dümmer als die Nazis damals. Die müssten doch wissen, wie es ausgegangen ist.“
Margot Käßmann: Meine beiden Eltern haben erlebt, was der Krieg alles zerstört. Mein Vater wurde mit 18 Jahren eingezogen und war bis zum Schluss Soldat. Die Angst vor dem Krieg und dass alles dafür zu tun sei, ihn zu verhindern, war bei uns zuhause eine Lebenshaltung. Mein erster Tagebucheintrag stammt vom August 1968, als die Sowjetarmee in Prag einmarschierte. Meine Eltern waren sehr in Angst, denn 400 Kilometer sind nicht weit...

Finden Sie, Ihr jahrzehntelanges Friedensengagement hat sich gelohnt?

KW: Ich antworte mit Hannes Wader: Die Frage ist unfair gestellt, sie müsste lauten: Wie sähe die Welt aus ohne die vielen Mosaiksteinchen, zu denen wir gehören? Es hat etwas bewirkt; es wäre viel schlimmer, wenn es diese Mosaiksteinchen nicht gegeben hätte. Und: Die Deutschen haben ihre Geschichte besser – nicht perfekt – aufgearbeitet als viele andere Länder. Das muss man immer wieder betonen, vor allem denen gegenüber, die sagen: Wir wollen das alles nicht mehr hören. Wir müssen immer wieder in die Herzen hineinrufen, wie schrecklich Krieg ist.
MK: Doch, es hat etwas bewirkt: In Deutschland ist eine Grundskepsis gegen Krieg, Militarisierung, Rüstungsexporte zu spüren! Die Demo gegen den Irakkrieg brachte 2003 eine halbe Million Menschen allein in Berlin auf die Straßen. Ich werde nie die Hoffnung aufgeben. Im Juli wird es in Büchel einen Aktionstag geben gegen die Atomwaffen, die dort noch lagern. Da kommen Leute aus allen Bereichen der Gesellschaft und engagieren sich.

Haben Sie Angst vor einem neuen Krieg?

KW: Ja. Ich hätte mir bis vor drei Jahren nicht vorstellen können, dass so was passiert wie die AfD, wie der weltweite populistische Rechtsruck ins Nationalistische. Das hat mich kalt erwischt, und ich rufe Kolleginnen und Kollegen auf, Stellung zu beziehen Es ist sehr gefährlich, wenn ich nur an Brasilien denke, an Ungarn, an Italien... ja, ich habe Angst. Je älter ich werde, desto unverständlicher ist mir, dass überhaupt Waffen gebaut werden. Wir müssen an einer Welt ohne Waffen arbeiten.
MK: Das mit der Angst geht mir auch so. Es war die große Errungenschaft in unserer Jugend, dass Grenzen gefallen sind. Jetzt sollen wieder Mauern gebaut werden. Wir müssen die Hände reichen über die Mauern hinweg gegen diesen entsetzlichen Nationalismus, den ich für ein Phänomen des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts gehalten hatte. Wir müssen europäisch denken, uns verbünden.

Was sind Ihre Vorbilder im Engagement für den Frieden?

KW: Als Kind habe ich meinen Vater als Held angesehen, der sagte: „Ich war kein Held, Konstantin, ich habe nur nicht eingesehen, mich anbrüllen zu lassen und auf Menschen zu schießen, die ich gar nicht kenne.“ Dorothee Sölle bewundere ich. Und Sophie Scholl. Ich habe mal für ein Hörbuch nach Originaldokumenten den Polizisten gesprochen, der sie verhört hat. Da hat diese junge Frau so atemberaubend selbstverständlich geantwortet, wissend, dass sie sich um Kopf und Kragen redet. Man spürt, der Polizist will sie immer wieder davonkommen lassen. Für so eine Haltung muss man so sicher sein in seinem Innersten, dass man das Richtige tut – ein großes Vorbild.
MK: Ich fange mit Jesus an, der sagte: Liebet eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen. Das ist radikal. Dazu Bertha von Suttner, die für ihren Pazifismus verlacht wurde. Und Martin Luther King, der der Versuchung widerstanden hat, dann doch wieder zu den Waffen zu greifen.

Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, der Pazifismus sei unterlassene Hilfeleistung?

MK: Pazifismus ist nicht Widerstandslosigkeit. Gewaltfreiheit heißt nicht, dass du passiv bist. Ich weiß, dass man schul dig werden kann durch Pazifismus, aber dann werde ich lieber durch Pazifismus als durch Militarismus schuldig.
KW: Ich bin mir sicherer als jemals zuvor in meinem Leben, dass eine Gesellschaft nur überleben kann durch Gewaltfreiheit. Pazifismus heißt übrigens nicht, dass du dich nicht wehren darfst, es ist eine persönliche Entscheidung. Sich zu wehren, wenn dir ein Messer an den Hals gehalten wird, ist etwas anderes als zu beschließen, mit Waffengewalt Frieden zu schaffen. Ja, es ist richtig, ohne das Eingreifen der Amerikaner hätte Hitler noch mehr verwüstet, aber Hitler hätte nie bewaffnet werden dürfen! Pazifistinnen beginnen früher: Ab jetzt wird nicht mehr bewaffnet. Ich habe keine Scham, ein Utopia zu vertreten.
MK: Wie Dorothee Sölle so schön formuliert hat: Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde.

Wie lässt sich Frieden üben?

MK: Mit Kindern kannst du reden, ihnen Geschichten erzählen, sie kennen Bilder vom Krieg und haben Angst davor. Erwachsene in der Rushhour des Lebens haben oft keine Kraft, sich zu engagieren. Aber wir müssen uns klarmachen, dass wir hier auf einer Insel der Seligen leben. Es könnte uns alle schnell betreffen, wenn der INF-Vertrag gekündigt wird.
KW: Es gibt uns auch eine Verpflichtung, dass wir auf einer Insel der Seligen leben. Von einem kriegstraumatisierten Kind oder Jugendlichen kann ich nicht erwarten, dass er mit Peace-Zeichen auf seine Feinde zugeht. Ich habe 71 Jahre ohne Krieg erleben dürfen. Das verpflichtet mich, die Idee von einer friedlichen Welt weiterzutragen.