Margot Käßmann & Marlehn ThiemeBeschränken wir uns doch selbst!

Klimawandel, Klimakatastrophe gar, Ressourcenver­knappung bei stetig steigender Weltbevölkerung – die Szenarien einer globalen Bedrohung gerade für die nachwachsenden Generationen lassen sich nicht mehr theoretisch wegdiskutieren. Zwei couragierte evangelische Frauen – Marlehn Thieme, einst Bänkerin, und Margot Käßmann, ehemalige Bischöfin – übernehmen Verantwortung.

Beschränken wir uns doch selbst!
Bei der Deutschen Bank machte sie von 1986 bis 2013 Karriere – vom Trainee bis in den Aufsichtsrat. Zuletzt war die Juristin Marlehn Thieme, geboren 1957, für Corpo­rate Social Responsibility, für Bil­dungsprojekte in der gesellschaftli­chen Verantwortung des Konzerns, zuständig. Seit 2015 ist sie Auf­sichtsratsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie eG – KD­Bank. Marlehn Thieme ist daneben stark ehrenamtlich engagiert. Sie ist Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und dessen Vertreterin beim ZDF­Fernsehrat. Von 2007 bis November 2019 war sie Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, den sie sieben Jahre leitete. Seit November 2018 ist Thieme Präsi­dentin der Welthungerhilfe.© epd-bild/Norbert Neetz

Mitten im Leben: Gibt es Wohlstand ohne Wachstum?
Marlehn Thieme: Ja natürlich, aber man sollte auch nicht Wachstum verteufeln. Denn Wachstum ist eine große Antriebsmöglichkeit des Menschen. Es kommt auf das Wie des Wachsens an, darauf, dass das Wachstum nicht nachfolgende Generationen schädigt, deren Lebensgrundlagen vernichtet. Das heißt, es muss ein ressourcen- und emissionsarmes Wachstum sein.

Margot Käßmann: Das Projekt „anders wachsen“ finde ich sehr überzeugend. Da werden die Kriterien verändert. Es geht nicht darum, ständig Gewinne für wenige zu steigern, sondern in Fragen der Gerechtigkeit, der Ressourcenschonung zu wachsen. So wird ein völlig anderer Denkansatz verfolgt.

Was bedeutet eigentlich nachhaltige Entwicklung?
M.Th.: Dass wir so leben, dass wir nachfolgenden Generationen die Möglichkeit erhalten, ihre Lebensoptionen zu verwirklichen: dass sie eine gesunde Umwelt haben, dass sie genügend Ressourcen haben, dass die institutionellen Rahmenbedingungen so sind, wie sie sie vorgefunden haben.

M.K.: „Sustainability“ wurde in den ersten Jahren mit „überlebensfähig“ übersetzt. Das macht klarer als „nachhaltig“, worum es geht. Am Ende geht es um das Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie und sozialen Fragen.

Braucht es eine Ethik des Genug und was verstehen Sie darunter?
M.Th.: Der Begriff „Ethik des Genug“ heißt für mich auch immer eine große Begrenztheit des Denkens. Genug an Konsum – ja! Aber es gibt nie genug Liebe, Zuwendung, Sorge für die Nächsten. Der Begriff hat etwas Miesepetriges. Damit kann man Menschen nicht dafür begeistern, auch in anderem als materiellen Dingen ihre Lebensorientierung zu suchen. Ein schwieriger Begriff.

M.K.: Die Einwände kann ich nachvollziehen. Aber für mich ist der Begriff positiv besetzt, weil Genügsamkeit ja auch eine gute Lebenshaltung mit sich bringt. Da schwingt Gelassenheit mit statt Gier nach mehr.

Gibt es biblische Vorbilder für eine Ethik des Genug?
M.Th.: Ich sehe für eine vorsorgende und vorausschauende ethische Grundhaltung viele Vorbilder in der Bibel. Einer davon ist Josef, der in Zeiten der Fülle seinem ägyptischen Herrn die Vorratsspeicher abgerungen hat. Das müssen wir uns in einer Zeit des übergroßen Wohlstands in Europa immer wieder anschauen: Wer kommt verarmt an unsere Grenzen oder wer lebt auch in unseren eigenen Grenzen verarmt?

M.K.: Josef ist ein sehr gutes Beispiel. Aber Jesus ja auch. Mit seinem „Sehet die Vögel unter dem Himmel“ fordert er auf, diese ewige Hast nach Mehr sein zu lassen und das Jetzt und Hier wahrzunehmen. Auch wenn mir klar ist, dass wir das Thema Vorsorge nicht einfach ignorieren können...

Wie sieht eine Ethik des Genug in Ihrem Alltag aus?
M.Th.: Beschränken wir uns doch selbst, in unserm Wollen, unserer Gier, unserer Lebensgier! Durch meine Arbeit im Nachhaltigkeitsrat musste ich immer viel reisen. Und ich habe eine große Befreiung durch eine Bahncard 100 erlebt. Welche Fülle steckt in einer langsameren Gangart, ich plane einfach anders. Ich esse wenig Fleisch und wenn, dann nur in Bioqualität, wie ich schon aus Geschmacksgründen regionale und saisonale Vollkorn- und Bioprodukte bevorzuge. Das ist bereits aus einer gewissen protestantischen Kargheit meines norddeutschen Elternhauses in mich implementiert worden.

M.K.: Vielleicht besteht die Herausforderung gerade darin, das nicht als Kargheit wahrzunehmen, sondern als Gewinn. Es ist großartig, nachhaltig zu leben nach dem alten Motto: „Weniger ist mehr.“

Welche politischen Wege müssen Ihrer Meinung nach gegangen werden?
M.Th.: Es müssen die Rahmenordnungen geschaffen werden, dass der Wettbewerb sich auf eine nachhaltigere Lebensweise aller Menschen orientiert. Es müssen Vorbilder geschaffen werden. Und der Staat, durch dessen Hände die Hälfte des Bruttosozialproduktes läuft, muss dabei ein großer Treiber sein. Er muss auch den Wettbewerb mitgestalten, indem er die Rahmenordnungen so setzt, dass es zu einem immer nachhaltigeren Wirtschaften kommt. Das lässt sich nicht zentral regeln, sondern man kann es mit klaren Vorgaben den Marktkräften überlassen.

M.K.: Mein Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte des Marktes ist begrenzt. Ich kann es mir leisten „Biofleisch“ zu kaufen. Aber wenn die Politik nicht die Tierhaltung reguliert, verändert sich allzu wenig. Die Nitratbelastung unseres Grundwassers beispielsweise wird nur durch klare politische Vorgaben reduziert werden.

Wo sind Sie in dieser Frage engagiert?
M.Th.: Ich bin bis November letzten Jahres 15 Jahre lang Mitglied und sieben Jahre Vorsitzende des Rates für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung gewesen. Dort beschäftigten wir uns vom nachhaltigen Warenkorb über die Frage nachhaltiger Beschaffung in den staatlichen Stellen auch mit Nachhaltigkeitscodex-Entwürfen und nachhaltigen Finanzmarkt-Entwürfen. Also vom individuellen Lebensstil bis hin zu gesetzgeberischen Vorgaben. In der Kirche werde ich mich auch weiterhin mit diesem Thema beschäftigen. Auch in der Welthungerhilfe, deren Präsidentin ich bin, gibt es ja die Frage der Nachhaltigkeit: Wie bekämpft man die Armut durch Bildung und regionale Märkte?

M.K.: Ich war Marlehns Vorgängerin in diesem Rat. Heute engagiere ich mich durch öffentliche Beiträge zum Thema – und durch den Versuch, privat nachhaltiger zu leben.