Mitten im Leben: Hilft der Glaube beim Sterben?
Schwester Gabriele: Mir persönlich ist der Glaube in der Begleitung Sterbender eine feste Stütze. Es ist schwer zu beurteilen, ob der Glaube beim Sterben hilft. Je nach Lebensperspektive des Einzelnen und auch bezogen auf das Alter erleben wir Unterschiedliches. So erleben wir junge Menschen, die fest im Glauben sind, sich dennoch im Sterben schwertun. Im Gegensatz zu älteren Menschen, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben; diesen fällt es oft leichter, aus dem Leben zu gehen. Jedoch erleben wir auch Menschen, die sich im Leben vom Glauben abgewandt haben und am Lebensende den Wunsch nach Spiritualität verspüren und so weit gegangen sind, dass sie wieder in die Kirche eingetreten sind.
Margot Käßmann: Auf jeden Fall habe ich erlebt, dass Menschen ihr Leben in Frieden loslassen konnten, weil sie wussten, wohin sie gehen. Glaube ist für mich nicht „Opium des Volkes“, wie Karl Marx meinte. Er betäubt nicht, damit wir Leben und Sterben aushalten. Aber er gibt die Kraft zu leben auch angesichts des Todes.
Wenn Sie erleben, dass ein todkranker Mensch nicht sterben will: Wie können Sie ihm beistehen?
Sr.G.: In dem wir mit ihm gemeinsam „aushalten“, dass der Weg der Krankheit unumkehrbar sein wird. „Aushalten“ wenn das Nicht-sterben-Wollen in Wut und Zorn umschlägt.
M.K.: Es ist sicher viel schwerer für einen jungen Menschen, zu sterben, weil da noch so viel ungelebtes Leben im Raum steht. Ich wünsche mir, dass Sterbende ihren Frieden damit machen können, dass sie gehen müssen. Aber dazu ist wichtig, dass wir über das Sterben auch reden. Es wird viel zu sehr tabuisiert, finde ich.
Wie halten Sie persönlich die Arbeit mit sterbenskranken Menschen aus, braucht es einen privaten Ausgleich?
Sr.G.: Ja, es braucht unbedingt ein festes familiäres und privates Umfeld. Ein Netzwerk, das aushält, auch mal über belastende Aspekte zu sprechen, die die Arbeit betreffen – natürlich immer unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte Dritter. In jedem Fall braucht es einen Ausgleich im Privaten, sei es durch Wandern, Kultur erleben, Singen im Chor oder gesellige Runden und Sich-am-Leben-Freuen, also etwas, was im Kontrast zur Arbeit steht. Und bei der Arbeit braucht es für mich persönlich ein gutes Team, mit Sinn für Humor und Fröhlichkeit, Vertrauen und Selbstre exionsfähigkeit, so wie ich es seit 20 Jahren erlebe.
M.K.: Mich hat bei Schwester Gabriele und dem Uhlhorn Hospiz immer berührt, dass es eine wirklich gute Stimmung, ja Heiterkeit gibt, obwohl der Tod im wahrsten Sinne des Wortes im Raum steht. Ich denke an ein Sommerfest, das wir gefeiert haben. Umfragen zeigen übrigens, dass in der Diakonie Mitarbeitende im Bereich Hospiz am zufriedensten sind. Das liegt vielleicht daran, dass sie täglich erleben, wie sehr sie Menschen auf ihrem letzten Weg unterstützen können.
Wie stehen Sie zum assistierten Suizid?
Sr.G.: Es ist schwer, diese Frage in zwei bis drei Sätzen zu beantworten, da für mich das Leben lebenswert ist und es auch hier immer individuelle Entscheidungen geben muss. Es bedarf für mich persönlich immer einer klaren Unterscheidung nach der Motivlage jedes Einzelnen. Ich stelle mich der Begleitung bei der bewussten Entscheidung in fortgeschrittenem Krankheitsstadium, einen Behandlungsabbruch oder gar den freiwilligen Verzicht auf Nahrungsaufnahme zu akzeptieren und eben zu begleiten.
M.K.: Assistierter Suizid sollte niemals „normale Leistung“ und schon gar nicht ein „Geschäft“ sein, da ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Wenn ein Mensch unheilbar krank ist, sollte es aber möglich sein, die letzte Phase zu verkürzen, sei es durch Behandlungsabbruch, Beenden der Nahrungsaufnahme oder in extremen Situationen auch medikamentös unterstützt. Leid ist nicht gottgewollt, davon bin ich überzeugt.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich im Umgang mit Sterbenden von Kirche, Politik und Gesellschaft?
Sr.G.: Wenn wir von sterbenden Menschen sprechen, sprechen wir immer auch von kranken Menschen und hier ist vor allem die Gesellschaft gefragt, wie sie mit kranken Menschen umgeht. Welchen Stellenwert krank, schwach, vielleicht auch einsam und arm – und somit Sterben – in unserer Gesellschaft hat. Hier wünsche ich mir vor allem Akzeptanz und eine Achtung des Einzelnen, damit er seinen Wert als Mensch in der Gesellschaft nicht verliert. Kirche und Politik haben Einfluss auf unsere Gesellschaft, so wünsche ich mir von beiden eine klare Position, wie wir eine würdevolle Unterbringung in Altenpflegeheimen oder die Betreuung kranker, sterbender Menschen in ihrem Zuhause zukünftig gestalten wollen, außerhalb der hospizlichen Begleitung.
M.K.: Schwester Gabriele hat da völlig Recht. Unsere Gesellschaft ist fixiert auf die Gesunden und Leistungsstarken. Niemand will krank und schwach sein. Aber gerade Menschen in einer Situation der Schwäche sind auf die in der Lage der Stärke angewiesen, sie brauchen Fürsprecherinnen und Fürsprecher.